Psychotherapieverfahren der DDR –
Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie (IDG)

Begründer und Hauptvertreter in der DDR

Die Entwicklung der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG) geht auf den Arzt und Psychotherapeuten Kurt Höck zurück (1920 – 2008). Dieser entwickelt Mitte des 20. Jahrhunderts das Konzept der IDG am Haus der Gesundheit in Berlin und trägt maßgeblich zur Verbreitung dieser Therapieform in der DDR bei. Durch Kurt Höck und seine Mitarbeitenden am Haus der Gesundheit finden über viele Jahre hinweg fortlaufend empirische Untersuchung zur IDG statt.

Zeitliche Einordnung

Die Anfänge der IDG liegen in den 1950er Jahren. In dieser Zeit bemerkt Kurt Höck bei Sitzungen des Autogenen Trainings, dass sich unter den Teilnehmenden Diskussionen entfachen beziehungsweise Gruppensituationen herausbilden. In dieser Beobachtung liegt einer der Ursprünge der Idee, eine gezielte Gruppentherapie zu entwickeln.

In den darauffolgenden Jahren wird mit verschiedenen gruppentherapeutischen Methoden experimentiert. 1969 wird innerhalb der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie der DDR (GÄP) eine Sektion für dynamische Gruppenpsychotherapie gegründet, deren Vorsitzender Höck wird. In einem „pragmatisch-experimentierenden“ Prozess wird die Methode der IDG weiter konkretisiert, sodass bei der Tagung der Sektion Gruppenpsychotherapie im Jahr 1974 erstmals das Grundkonzept der IDG offiziell vorgestellt werden kann. Dieses wird mit Höcks Habilitation im Jahr 1977 weiter erläutert und verschriftlicht. Zudem werden ab den 1970er Jahren regelmäßig Weiterbildungskurse in Form sogenannter Selbsterfahrungskommunitäten für Psychotherapeuten angeboten, die zur zunehmenden Verbreitung der IDG an immer mehr Kliniken der DDR beitragen.

In den folgenden Jahren wird versucht, die Konzeption unter verschiedenen Rahmenbedingungen zu erproben. So wird unter anderem mit verschiedenen Behandlungsformaten experimentiert und versucht, das Modell der IDG auf Krankheitsbilder wie Psychosen, Essstörungen oder Suchterkrankungen zu übertragen. Höcks aktive Wirkungszeit endet 1986. Durch die nachfolgende Psychotherapeuten-Generation wird das Konzept der IDG weiter modifiziert. In abgewandelter Form wird die IDG von einigen Psychotherapeuten noch heute angewendet.

Kurzbeschreibung des Verfahrens

Bei der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie handelt es sich um ein gruppentherapeutisches Behandlungsverfahren mit psychodynamischer Orientierung. Die therapeutische Situation ist durch eine „Minimalstrukturierung“ gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass von den Therapeuten keine Anleitungen oder Themenvorschläge vorgegeben werden, um so die Gruppendynamik zwischen den Gruppenmitgliedern zu einer Entfaltung zu bringen. Diese Erfahrung, eingebettet in das Gruppenerleben, führt Höcks Ansicht nach zum Abbau von Fehlentwicklungen und ermöglicht die Entstehung von neuen Einstellungen und Verhaltensweisen.

Höck geht davon aus, dass sich diese Entwicklung in einem Phasenprozess vollzieht. So ist der Gruppenprozess in sechs Phasen unterteilt. Idealerweise übernehmen die Patienten selbst eine therapierende Rolle und bearbeiten abwechselnd die Probleme einzelner Gruppenmitglieder (Arbeitsphase). Die Therapeuten nehmen dagegen eine vermittelnde Rolle ein und stehen der Gruppe mit ihrer psychosozialen Kompetenz zur Seite.

Höck unterfüttert die Konzeption der IDG durch verschiedene theoretische Standpunkte. Er bezieht sich unter anderem auf die marxistische Persönlichkeitstheorie sowie auf Erkenntnisse des britischen Psychoanalytikers und Gruppenpsychotherapeuten Wilfred Bion. Ebenso stützt er sich auf Erkenntnisse der (marxistischen) Sozialpsychologie und der pädagogischen Psychologie.

Quellen und Literatur

Geyer, M. (2011). Ostdeutsche-Psychotherapiechronik 1960 – 1969. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.245-256. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Höck, K. (1980). Dynamische Gruppenpsychotherapie in der DDR. Entwicklung und Perspektive. Berichte Psychotherapie und Neurosenforschung des Hauses der Gesundheit Berlin, 3, S. 5-14.

Höck, K. (1981a). Konzeption der intendierten, dynamischen Gruppenpsychotherapie. Psychotherapie und Grenzgebiete, Bd. 1, S. 13-34.

Höck, K. (1981b). Zum Modell der intendierten dynamischen Gruppenpsychotherapie. Berichte Psychotherapie und Neurosenforschung des Hauses der Gesundheit Berlin, 6, S. 5–18.

Höck, K. (1985). Berliner Psychotherapie – Entwicklung und Perspektive. Psychotherapie – Berichte HdG Berlin, 31, S. 78–94.

Kruska, W. (2011). An der Wiege der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG). In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 169–172. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Ott, J. & Geyer, M. (2011). Die Weiterentwicklung der Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 490-491. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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