
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Neurologie
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Psychotherapieabteilung
Die Stadt Halle gilt als Geburtsstätte der Psychiatrie durch den dort wirkenden Arzt Johann Christian Reil (1758-1813). In der DDR wirken in der Psychotherapieabteilung der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Neurologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter anderem Erdmuthe Fikentscher, Heinz Hennig und Helmut Rennert. Das multimodale Konzept der Klinik setzt einen Fokus auf die psychodynamische Behandlung: In Einzeltherapie wird das Katathyme Bilderleben (KB) angewandt während in der Gruppentherapie der Fokus daneben auf der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG) liegt. Die Forschung setzt eine Vielzahl an Schwerpunkten.
Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
In den frühen Jahren (1959 bis ca. 1970) der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Neurologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg setzt die Psychotherapieabteilung ihren Fokus zunächst auf tiefenpsychologische Verfahren, darunter z.B. die Traumdeutung nach Freud oder die Gestaltungstherapie. Später kommen übende Verfahren, wie Autogenes Training und Hypnose, aber auch die Bewegungs- und Maltherapie Anwendung hinzu. Das therapeutische Angebot wird ebenfalls um die Musiktherapie ergänzt.
Geleitet wird die psychotherapeutische Abteilung zunächst von Oberarzt Karl Liebner, die Stationsführung wechselte halbjährig. Ab 1970 wird eine geschlossene Gruppe für eine sechswöchige Behandlung aufgenommen mit dem Ziel, die Klinik durch ein gruppen- statt einzeltherapeutisches Setting finanziell zu entlasten. Es erfolgt eine systematische Einführung der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG) und alle Interessierten werden in diesem Zuge zu Ausbildungszwecken oder zur Hospitation an das Haus der Gesundheit in Berlin vermittelt, welches in Verbindung mit Kurt Höck den Ursprungsort der IDG bildet.
Die daraus entstehende Überbetonung der Gruppentherapie an der Klinik Halle wird in den Folgejahren wieder reduziert. So entsteht ein multimodales Konzept zum einen von Gruppentherapie mit Fokus auf der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie, zum anderen von Einzeltherapie mit Fokus auf der Methode des Katathymen Bilderlebens (KB) nach Leuner. Als Hanscarl Leuner, der in den 1980er Jahren Halle besucht, leistet bezüglich letztgenannter Therapiemethode praktische und wissenschaftliche Unterstützung in der Klinik. Ab Ende der 1970er wird zudem Verhaltens- und Gesprächspsychotherapie dem Behandlungsangebot beigefügt.
Forschung und Lehre
Helmut Rennert arbeitet mit Karl Liebner und Erdmuthe Fikentscher in den 1960er Jahren an einem sexualwissenschaftlichen Projekt, das in der West-Ost-Veröffentlichung als Buch jedoch scheitert, da der westdeutsche Ko-Autor Giese in einem Unfalltod ums Leben kommt (Fikentscher, 2011). Ab den 70er Jahren entstehen Forschungsergebnisse beispielsweise zu sexualwissenschaftlichen Themen, aber auch zur Veränderung von Riechen und Schmecken durch Psychotherapie (Fikentscher & Hennig, 2011a) oder zur Neurosenbehandlung (Fikentscher & Hennig, 2011b).
Trotz der allgemeinen Erweiterung des Forschungsspektrums bleiben die Veröffentlichungsmöglichkeiten allerdings weiterhin eingeschränkt. Beispielsweise findet die Entwicklung eines Konzepts durch Erdmuthe Fikentscher statt, dass mit Prävention, Therapie und Rehabilitation psychischer Störungen bei Lehrern und Erziehern dienen soll – doch auch hier wird die Buchveröffentlichung und Umsetzung verhindert (Fikentscher & Hennig, 2011b).
Allgemein ist der überregionale, wissenschaftliche Austausch beschränkt, wie Fikentscher (2011) berichtet:
Es „ließ[en] uns DDR-Psychotherapeuten enger zusammenrücken, aber den fachlichen Anregungen waren deutliche Grenzen gesetzt.“
Fikentscher, 2011, S.564Zur Entwicklung des Standorts
Johann Christian Reil (1758-1813) gilt als Begründer der Psychiatrie. 1879 entsteht in Halle erstmals unter Eduard Hitzig ein eigenständiger Psychiatrielehrstuhl. Albert Hauptmann ist anfangs während der NS-Zeit Direktor der Universitätsnervenklinik Halle. Er ist nicht „arisch“ und emigriert 1939 in die USA. Zu DDR-Zeiten leitet zunächst Karl Pönitz bis 1958 die Klinik, dann Helmut Rennert und später Helmut Späte (Campus Halensis, 2013).
1968 gründet Rennert die Kinder- und Jugendpsychiatrische Station (Fikentscher & Hennig, 2011a). In den 80er Jahren findet eine Trennung der Lehrstühle für Psychiatrie und Neurologie statt (Fikentscher & Hennig, 2011b). Die Psychotherapieabteilung eröffnet eine tagesklinische Station und erhöht seine Kapazität von 15 auf 24 Betten (Höck, 1979; Fikentscher & Hennig, 2011b).
Heute ist die „Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“ die Bezeichnung der universitären Psychotherapiebehandlungsstelle.
Quellen und Literatur
Campus Halensis (2013). Von der Geburt der „Psychiatrie“ bis zur Wendezeit. https://www.campus-halensis.de/artikel/von-der-geburt-der-psychiatrie-bis-zur-wendezeit/
Fikentscher, E. (2011). Die Anfänge der Psychotherapie an der Universitätsnervenklinik Halle. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 214–215. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Fikentscher, E., Hennig, H. (2011a). Psychotherapie an der Universitätsnervenklinik Halle/Saale. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 391–394. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Fikentscher, E., Hennig, H. (2011b). Psychotherapie an der Universitätsnervenklinik Halle 1980-1989. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 563–565. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Fikentscher, E., Hennig, H. (2011c). Gründung des Mitteldeutschen Instituts für Psychoanalyse e.V. (MIP) in Halle/Saale. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 737–743. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.
Mäthner, H., Fischer, U., Gillner, M., & Weiske, W. (1980). Die sozialpsychiatrische Nachtstation der Universitäts-Nervenklinik Halle. Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie, 32(2), S. 65–69.
Mitteldeutsches Institut für Psychoanalyse Halle e. V. (o. D.). Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Heinz Hennig. https://mip-halle.de/profile/hennig/
Universitätsmedizin Halle. (o. D.). Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. https://www.umh.de/einrichtungen/kliniken-und-departments/psychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik