Die Gesellschaft
für Ärztliche Psychotherapie (in) der DDR

Die Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie (GÄP) der DDR wird am 10. Juni 1960 gegründet. Planungen dafür scheint es schon im Jahr zuvor gegeben zu haben: Dietfried Müller-Hegemann nimmt bereits im November 1959 mit seinem Züricher Kollegen Professor Dr. Medard Boss Kontakt auf und legt die Pläne zur Gründung der GÄP vor. Dabei fragt er an, ob einer Aufnahme der zu gründenden Gesellschaft in die „Internationale Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie“ die Tatsache im Wege stehen könnte, dass sich unter den über 100 potentiellen Mitgliedern, die der Gesellschaft beitreten wollen, auch viele Psychologen befinden. Dies wird klar verneint und einem Beitritt freudig entgegengeblickt. Ein Beitritt erfolgt jedoch erst 1971. Die Mitgliedsbeiträge werden über ein Rubelkonto bei der Deutschen Außenhandelsbank entrichtet. Erste Vorstände sind Dietfried Müller-Hegemann und Hellmuth Kleinsorge. Die Gesellschaft macht es sich zur Aufgabe, „der Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens (Forschung, Ausbildung und Fortbildung), auf dem Gebiet der Psychotherapie“ zu dienen. Diese Ziele aus dem Statut wurden vorab mit dem Ministerium für Gesundheitswesen abgesprochen. Um ein geeignetes Statut abzufassen, wurde vom Ministerium hierfür eine Orientierung an dem der „Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie“ vorgeschlagen. Die ersten Mitgliedsbeiträge belaufen sich auf 10 Deutsche Mark bzw. 20 Deutsche Mark für Professoren und Chefärzte. In der GÄP – wie auch in der gesamten DDR – stehen sich zwei fachlich konkurrierenden Lager gegenüber, die die Entwicklung der DDR-Psychotherapie jeweils auf eigene Weise beeinflussen: Internisten (wie Kurt Höck und Hellmuth Kleinsorge) und Psychiater (wie Karl Leonhard oder Alexander Mette).

1965 kommt es auf der 5. Jahrestagung der GÄP zu größeren Veränderungen. Es werden fünf Sektionen gegründet: Gruppenpsychotherapie (Höck), Autogenes Training und Hypnose (Klumbies), Kinderpsychotherapie (Göllnitz), Klinische Psychologie (Szewczyk) und Musiktherapie (Kohler). Weitere Sektionen folgen: Ein Jahr später kommt die Sektion Geistige Gesundheit hinzu, unter der Leitung von Dietfried Müller-Hegemann. 1979 wird eine Sektion Soziotherapeutische Methoden anvisiert und 1982 die Sektion Dynamische Einzeltherapie sowie die Sektion Verhaltenstherapie gegründet. 1988 wird schließlich noch eine Sektion Spezielle Psychotherapie ins Leben gerufen. Oftmals geht den Sektionen schon das jahrelange Bestehen von Arbeitsgruppen zum Thema voraus.

Die Konferenzen und Symposien der Sektion für Gruppenpsychotherapie beschäftigen sich ab Ende der 1970er Jahre intensiver mit Forschungsfragen, die in den 1980er Jahren besonders relevant werden. Zwischen 1974 und 1986 dominiert die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie den methodologischen Fokus dieser Veranstaltungen. Das dritte Gruppenpsychotherapiesymposium im Jahr 1990 weist einen recht spezifischen Fokus auf zu Sozialisation, Pädagogik und Altersgruppen.

Ab den 1970er/80er Jahren werden Regionalgesellschaften auf Bezirksebene gegründet. So können bereits 1977 ganze 13 Regionalgesellschaften verzeichnet werden. Diese setzen beispielsweise Grundkurse zur Psychotherapie um, aus denen oftmals Problemfallseminare entstehen. Die GÄP bemüht sich in den nachfolgenden Jahren intensiv um Ausbildungscurricula, aber auch um eine Feststellung von Bedarfen: Im August 1978 werden die gesetzlichen Bestimmungen für den Zweitfacharzt für Psychotherapie verabschiedet. Vorab ist Werner König von der GÄP beauftragt worden, sich mit den staatlichen Stellen zu verständigen. Eine vorbereitende Fachkommission besteht neben Werner König aus Kurt Höck (Vorsitzender), Michael Geyer, Helmut Kulawik, Klaus Weise und Harro Wendt. Kurt Höck gestaltet damit als Hauptverantwortlicher die Facharztausbildung aus. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten GÄP und die „Gesellschaft für Psychologie“, federführend durch Hans-Dieter Rösler, für die Anerkennung eines „Psychologen im Gesundheitswesen“ zusammen. 1984 kommt es auch zu einer Zusammenarbeit von GÄP und der in der BRD angesiedelten „Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie“. Auch Mitgliederstatistiken führt die GÄP: So finden sich beispielsweise für das Jahr 1985 insgesamt 735 ärztliche, 700 psychologische sowie 112 sonstige Mitglieder. 1989 wird die GÄP umbenannt in „Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der DDR“ (GPPMP).

Quellen und Literatur

BArch, DQ 123/2

BArch, DQ 123/5

BArch, DQ 123/7

BArch, DQ 123/8

BArch, DQ 123/9

BArch, DQ 123/21

 

Geyer, M. (Hrsg.) (2011). Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Karkossa, J. K., Bauer, M., & Strauß, B. (2023). Die Sektion für Dynamische Gruppenpsychotherapie der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie der DDR – Eine Qualitative Inhaltsanalyse der Arbeitstagungen und Symposien im Zeitraum von 1969–1990. In: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Bd. 59(2), S. 87-103.

Lockot, R. (2012a). Chronik zur Geschichte der Psychotherapie und zur Psychoanalyse von 1946 bis 1960.

Sonnenmoser, M. (2009). Psychotherapie in der DDR: Versunkene Welt. In: S. 115-116.

Strauß, B., Kirschner, H., Paripovic, G., Storch, M., & Gallistl, A. (2022). Aufarbeitung der DDR-Psychotherapie als transdisziplinäres Forschungsfeld. In: Die Psychotherapie, Bd. 67(5), S. 420-429.

 

 

 

 

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