Katathymes Bilderleben / Katathym-imaginative Psychotherapie

Das Katathyme Bilderleben (KB), seit Ende der 1990er Jahre auch als Katathym-imaginative Psychotherapie (KiP) bezeichnet, ist ein tiefenpsychologisch fundiertes Imaginationsverfahren. Mithilfe vorstrukturierter Standardmotive werden die Patienten im KB angeleitet, einen Tagtraum zu erleben und diesen zeitgleich zu beschreiben. Über die Aufdeckung und Beeinflussung unbewusst ablaufender psychischer Prozesse wird so versucht, bei den Patienten eine Einstellungs- und Verhaltensänderung sowie eine Linderung der Symptome zu erwirken.

Kurzbeschreibung des Verfahrens

Das Katathyme Bilderleben (KB) kann sowohl als eigenständige Kurzzeittherapie über 15-30 Stunden als auch im Rahmen einer Langzeittherapie, kombiniert mit anderen psychotherapeutischen Methoden, Anwendung finden. Es ist im Einzel- sowie im Gruppensetting mit Patienten im Kindes-, Jugendlichen- und Erwachsenenalter durchführbar. Das KB kann prinzipiell bei allen psychogenen und psychosomatischen Krankheitsbildern sowie bei Kriseninterventionen angewendet werden. Bei Vorliegen einer schweren Intelligenzminderung, einer akuten Psychose, hirnorganischen Defekten oder einer depressiven oder histrionischen Persönlichkeitsstörung ist das KB nicht indiziert.

Beim KB handelt es sich um eine Tagtraumtechnik, die Imaginationen (das heißt innere Vorstellungen) als zentrales therapeutisches Medium nutzt. Es dient damit als Mittel zur Aufdeckung vor- und unbewusster (das heißt nicht direkt zugänglicher) psychischer Inhalte und Konflikte. Im Therapieverlauf soll somit eine Verschiebung von sogenannten „kindlichen Primärvorgängen“ (das heißt unbewusste, impulsive, nicht-logische psychische Prozesse) hin zu sog. „reiferen Sekundärvorgängen“ (das heißt logisches und realitätsbezogenes Handeln) erreicht werden. Als persönlichkeitszentriertes Verfahren versucht das KB damit, durch die Beeinflussung unbewusst ablaufender psychischer Prozesse etwaige Krankheitssymptome der Patienten zu lindern.

Das KB wurde insbesondere an der Universitätsnervenklinik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg aufgegriffen und durchgeführt.

Zeitliche Einordnung

Das Katathyme Bilderleben (KB) wurde in den 1950er Jahren von Hanscarl Leuner in der Psychiatrischen Klinik der Universität Marburg (BRD) entwickelt. Als Vertreter und Schüler der Psychoanalyse nach C. G. Jung interessierte ihn schon früh insbesondere die Symbolik von Nachtträumen. Durch Leuners experimentelle Anwendung dieser Symbolbedeutungen auf Imaginationen (Tagträume) erregte er schließlich das Interesse seiner Fachkollegen und begründete das KB zunächst als strukturierte psychotherapeutische Methode in der BRD.

Mit der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG) konnte Ende der 1960er Jahre in der DDR erstmalig ein psychodynamischer Therapieansatz für die Gruppentherapie etabliert werden . Um neben den gruppentherapeutischen Ansätzen auch ein tiefenpsychologisch fundiertes Werkzeug für die Einzeltherapie in der DDR zu entwickeln, begann Anfang der 1970er Jahre eine kleine Arbeitsgruppe an der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (DDR) damit, das KB nach Leuner zu studieren und aufzugreifen. Die rasch wachsende Arbeitsgruppe erprobte das KB kurz darauf an Patienten im ambulanten und stationären Bereich der Universitätsklinik, publizierte entsprechende Therapieergebnisse und verbreitete das KB langsam auf wissenschaftlichen Tagungen in der DDR. Es entstanden bald erste Fortbildungskurse, in denen die therapeutische Arbeit mit dem KB sowohl theoretisch, als auch praktisch in Form von Selbsterfahrungssitzungen vermittelt wurde. Aus den anfänglichen Fortbildungskursen entwickelte die Arbeitsgruppe zu Beginn der 1980er Jahre schließlich eine systematische Ausbildung im KB. Sie richtete sich an Ärzte und Psychologen, die bereits in einer anderen psychotherapeutischen Methode (Suggestivtherapie, Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie oder dynamische Einzel-/Gruppentherapie) ausgebildet und erfahren waren.

Neben der ursprünglichen Arbeitsgruppe in Halle bildeten sich Ende der 1970er Jahren zudem Interessentengruppen in weiteren Bezirken der DDR. Die zunehmende Verbreitung des KB und der zugehörigen regionalen Arbeitsgruppen führte schließlich 1985 zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Katathymes Bilderleben (AGKB-DDR) innerhalb der Sektion Autogenes Training und Hypnose der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie (GÄP) in der DDR. Den Status einer unabhängigen, nicht-sektionsgebundenen Arbeitsgruppe innerhalb der GÄP erlangte die AGKB-DDR im Dezember 1988. Ein erstmaliger Erfahrungsaustausch zwischen Psychotherapeuten für KB aus Ost- und Westeuropa wurde auf einem internationalen Seminar für KB in Szeget (Ungarn) im September 1988 möglich. Im gleichen Jahr begann die AGKB-DDR zudem mit der Planung eines internationalen Symposiums zum KB an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das vom 22.-25. August 1990 mit ca. 400 Teilnehmenden stattfand.

Kurz vor der politischen Wende gründete der Vorstand der AGKB-DDR schließlich den gemeinnützigen Verein „Gesellschaft für Katathymes Bilderleben und imaginative Verfahren in der Psychotherapie und Psychologie e. V.“ (GKB), der im Mai 1989 als eigenständige Sektion in die Internationale Gesellschaft für Katathymes Bilderleben (IGKB) aufgenommen wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde der Verein 1991 schließlich in „Mitteldeutsche Gesellschaft für Katathymes Bilderleben in der Psychotherapie und Psychologie e.V.“ (MGKB) umbenannt. Im gleichen Jahr gründete die MGKB zusammen mit weiteren Fachgesellschaften den ostdeutschen psychoanalytischen Dachverband „Deutsche Gesellschaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie e.V.“ ( DGAPT), der v.a. als Austausch- und Verhandlungspartner mit westdeutschen analytischen Gesellschaften diente. 1991 begann zudem eine Zusammenarbeit zwischen der MGKB und der westdeutschen „Arbeitsgemeinschaft Katathymes Bilderleben und imaginative Verfahren in der Psychotherapie e.V.“ (AGKB), die zunächst insb. die Kompatibilität der Ausbildungscurricula in Ost- und Westdeutschland sicherstellte und später (ab 2010) in der Gründung des gemeinsamen Dachverbandes „Deutsche Gesellschaft für Katathymes Bilderleben und imaginative Verfahren in der Psychotherapie“ (DGKB) mündete. Ende der 1990er Jahre begann die allmähliche Veränderung der Verfahrensbezeichnung vom „Katathymen Bilderleben“ zur „Katathym-Imaginativen Psychotherapie“ (KiP).

Schließlich war die MGKB auch an der Gründung des „Mitteldeutschen Instituts für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie e.V.“ (MIP) in Halle/Saale im September 1993 beteiligt, das als erstes ostdeutsches Ausbildungsinstitut für tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie in die Liste der Ausbildungsinstitute der kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgenommen wurde. Erst 2004 wurde das MIP schließlich als freies Institut in den gesamtdeutschen Dachverband „Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V.“ (DGPT) aufgenommen.

Besonderheiten in der DDR

Der Name des KB gab zunächst wenig Auskunft über die tiefenpsychologische Orientierung und erregte dadurch wenig politische Aufmerksamkeit. Die Anbindung der Arbeitsgruppe an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg war für die Erarbeitung und Verbreitung des KB in der DDR von großem Vorteil, da damit die Einfuhr von westlicher Fachliteratur zum KB wesentlich erleichtert wurde. Zudem bot der damalige Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie, Prof. Helmut Rennert, als gleichzeitiger Vizepräsident der hoch angesehenen Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ in Halle der Arbeitsgruppe einen gewissen politischen Schutzraum. Im Jahr 1980 konnte die Arbeitsgruppe für KB über diese noch gesamtdeutsch-agierende Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ Kontakte zu Hanscarl Leuner und weiteren KB-Therapeuten im Westen knüpfen. So konnte. Hanscarl Leuner bspw. die DDR im Jahr 1985 besuchen und referierte in Seminaren an der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg persönlich über die von ihm entwickelte Methode

Begründer

Der Begründer des KB in der BRD ist Hanscarl Leuner. Ausgehend von seinen Veröffentlichungen wurde das KB insb. von Heinz Hennig und Erdmuthe Fikentscher an der Universität Halle/Saale aufgegriffen und in der DDR verbreitet. Hennig und Fikentscher gründeten Anfang der 1970er Jahre an der Universität Halle/Saale sowohl die erste Arbeitsgruppe für KB in der DDR als auch 1985 die AGKB-DDR und bildeten zusammen den Vorstand des überregional agierenden Vereins. Den erweiterten Vereinsvorstand bildeten Armin Morich, Wolf Hempel, Hans-Jürgen Günther, Holger Fietzke, Renate Hochauf und Bernhard Schmitt. Die Funktion des Sekretärs und Schatzmeisters erfüllte Wolfram Rosendahl. Rainer Gunkel war als Ausbildungsreferent der AGKB-DDR beauftragt.

Publikationen

Die erste Publikation, die sich mit dem KB befasste, erschien 1955 von Hanscarl Leuner (BRD) mit dem Titel „Experimentelles Katathymes Bilderleben als klinisches Verfahren der Psychotherapie“ in der westdeutschen „Fachzeitschrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie“.

In der DDR wurde das KB nach Leuner erstmals 1974 von Gerhard Klumbies in einem Lehrbuch mit dem Titel „Psychotherapie in der Inneren und Allgemeinmedizin“ zunächst als rein suggestives Verfahren beschrieben (also ohne Erwähnung der tiefenpsychologischen Fundierung). 1980 folgte eine Veröffentlichung von Heinz Hennig mit dem Titel „Zur Einbeziehung dynamischer Aspekte in den Verlauf psychotherapeutischer Imaginationen“ in der DDR-Fachzeitschrift „Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie“, die die grundlegende Nutzung von Imaginationen im Kontext dynamischer Aspekte thematisierte.

Die erste grundlegende Darstellung des KB mit ausdrücklicher Formulierung der tiefepsychologisch-psychoanalytischen Orientierung und Strukturierung veröffentlichte Hennig im Jahr 1982 mit dem Titel „Das Katathyme Bilderleben als psychotherapeutisches Imaginationsverfahren – Grundlagen und praktisches Vorgehen“ in der „Zeitschrift für die gesamte Nervenheilkunde und Psychotherapie“, die als offizielles Fachorgan für Psychotherapie der DDR galt. Weitere Publikationen zu Ausbildungserfahrungen, Therapieverläufen oder methodischen Vorgehensweisen folgten. 1986 begann Hennig mit dem Verfassen eines konkreten Leitfadens für das KB, das als handbuchartiges Lehrbuch v.a. für die Ausbildung benötigt wurde. Die Veröffentlichung des bereits Ende 1987 fertiggestellten Lehrbuches mit dem Titel „Psychotherapie mit dem Katathymen Bilderleben, Grundlagen und Praxis der psychotherapeutischen Arbeit mit dem Tagraum“ zog sich jedoch noch bis ins Jahr 1990 hin. Grund dafür war insbesondere das Geleitwort, das von Hanscarl Leuner, einem Psychoanalytiker aus der BRD, verfasst worden war und (ideologische) Probleme bereitete.

Quellen und Literatur

Die Katathym-imaginative Psychotherapie – ein Lehrfilm (Die katathym-imaginative Psychotherapie, ein Lehrfilm).

Fikentscher, E. & Hennig, H. (2011). Die Gründung des Mitteldeutschen Institutes für Psychoanalyse e. V. (MIP) in Halle/Saale. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 737-742. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Geyer, M. (2011). Ostdeutsche Psychotherapiechronik 1980-1989. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 461-473. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Hennig, H. (1990). Psychotherapie mit dem Katathymen Bilderleben. Grundlagen und Praxis der psychotherapeutischen Arbeit mit dem Tagtraum. Leipzig: VEB Georg Thieme.

Hennig, H. & Fikentscher, E. (2011a). Katathymes Bilderleben. Zum Aufbau einer Arbeitsgruppe für Katathymes Bilderleben (KB) und die Verbreitung der Methode. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 312-316. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Hennig, H. & Fikentscher, E. (2011b). Katathymes Bilderleben. Die Etablierung der Arbeitsgruppe für Katathymes Bilderleben in der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie der DDR und der Aufbau eines curricularen Ausbildungssystems sowie der Ausbau internationaler Kontakte. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 529-537. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Hennig, H. & Fikentscher, E. (2011c). Die Gründung der Mitteldeutschen Gesellschaft für Katathymes Bilderleben e. V. (MGKB) mit eigenem Ausbildungsinstitut – Vom Katathymen Bilderleben (KB) zur Katathym-Imaginativen Psychotherapie (KIP). In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 787-792. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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