Akteur

Prof. Dr. med. Dr. phil. Richard Arwed Pfeifer (1877–1957)

Psychiater und Hirnforscher

Richard Arwed Pfeifer war ein bedeutender Hirnforscher und Nervenarzt, der vor allem durch seine anatomischen und neurophysiologischen Arbeiten bekannt wurde. Seine enge Beziehung zu den Arbeiten von Paul Flechsig, dem ersten Leiter der Leipziger Nervenklinik, prägte Pfeifers wissenschaftlichen Weg maßgeblich. In der Leipziger Klinik führte Pfeifer zahlreiche anatomische Untersuchungen durch, darunter seine Dissertation über den Bau des zentralen Nervensystems eines Anencephalus.

Grundlagen der Hirnforschung

Nach dem Ersten Weltkrieg und seiner Tätigkeit im Lazarett für Hirnverletzte trat Pfeifer 1919 in die Leipziger Nervenklinik ein und übernahm 1920 die Leitung des Hirnmorphologielabors. Er arbeitete an myelogenetisch-anatomischen Fragen, beschäftigte sich mit der Hör- und Sehleitung und publizierte über die kortikale Gestaltung dieser Sensoriken. Mit seiner bahnbrechenden angioarchitektonischen Methode gelang es Pfeifer, die vollständige Gefäßverteilung im Gehirn darzustellen.Seine Erkenntnisse führten dazu, die damals vorherrschende Theorie der Cohnheimschen Endarterien zu widerlegen. Er zeigte, dass die Hirngefäße ein enges, kontinuierliches Netz bilden, was wichtige Konsequenzen für das Verständnis der Hirnentwicklung und -erkrankungen hatte. 1927 wurde Pfeifer die erste planmäßige Professur für Hirnforschung in Deutschland verliehen, die er an seinem neu gegründeten „Hirnforschungsinstitut“ in Leipzig innehatte. Er sah die Bedeutung seiner Arbeit im Zusammenspiel von Grundlagenforschung und klinischen Fragestellungen, was er zeitlebens betonte. Neben der Anatomie widmete sich Pfeifer auch der klinischen Hirnforschung: Er erforschte die Pathologie der Seh- und Hörbahnen sowie deren kortikale Repräsentationen. Seine wichtigsten Beiträge sind hier die detaillierten Beschreibungen der neuroanatomischen Grundlagen dieser Funktionen. Sein bedeutendster Beitrag war die Entwicklung einer Methode zur vollständigen Abbildung der Gehirngefäße, die bis heute Maßstab ist. Damit widerlegte er die Theorie der Cohnheimschen Endarterien.

1927 erhielt Pfeifer die erste planmäßige Professur für Hirnforschung in Deutschland und gründete das Leipziger Hirnforschungsinstitut, das er bis in die 1950er Jahre leitete.

Bilder, die ihre eigene Sprache reden [… sind eine] Erkenntnisquelle von allgemeinmenschlicher Bedeutsamkeit.

Pfeifer, Richard Arvid: Grundsätzliches zur medizinischen Pädagogik, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 3 (9), 1951, S. 275–281, hier S. 275.

Porträt

187721. November: in Brand (Sachsen) geboren
1893–1901Ausbildung zum Volksschullehrer, in Meißen tätig
1901–1906Studium der Pädagogik- sowie Naturwissenschaftsstudium an der Universität Leipzig ohne Abitur, während dieser Zeit Koassistent am experimentalpsychologischen Laboratorium von Wilhelm Wundt (1832–1920), 1906 Promotion zum Dr. phil.
1911–1920Auf Anraten von Paul Flechsig (1847–1929) holt er das Abitur nach und studiert Medizin. Stabsarzt, Mitarbeit in einer Hirnverletztenabteilung in Leipzig während des Ersten Weltkriegs, 1920 Habilitation mit dem Thema: „Myelogenetisch-anatomische Untersuchungen über das kortikale Ende der Hörleitung“
1920er JahreBeginn der Beschäftigung mit kinder- und jugendpsychiatrischen sowie Fragen der Heil- bzw. Sonderpädagogik, Leiter der Kinderabteilung der Universitätsnervenklinik, 1924 außerordentlicher Professor an der Universität Leipzig. Mit der Berufung von Paul Schröder (1873–1941), der selbst aktiv auf diesem Gebiet arbeitet, widmet sich Pfeifer wieder vorrangig der Hirnforschung.
1930er JahreÜbernahme der Leitung des 1937 neu gegründeten Hirnforschungsinstituts an der Universität Leipzig. Neben dieser Tätigkeit führt er eine nervenärztliche Praxis.
1932ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina
1943fast vollständige Zerstörung der Leipziger Nervenklinik und des Hirnforschungsinstituts
1946–1952kommisarische Leitung der Nervenklinik auf Bitten der Medizinischen Fakultät
– 1949 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
– 1954 Nationalpreis der DDR
1957Auf Wunsch von Pfeifer wird das 1947 wieder eröffnete Hirnforschungsinstitut aus der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik ausgegliedert.
195715. März: Tod in Leipzig

„Schizophrene Kunst“ und Hirnforschung

Ab den 1920er Jahren beschäftigte sich Richard Arwed Pfeifer mit „schizoiden Kunstwerken“. Er wollte die Ästhetik dieser Werke erfassen und herausfinden, warum sie so kraftvoll und faszinierend wirken. Pfeifer betonte, dass nur wenige Werke die Fähigkeit besitzen, den Kunstsinn zu fesseln, und sah in den schizoiden Bildern eine „dämonische“ Kraft, die sowohl unheimlich als auch beeindruckend ist. Für ihn spiegeln die Werke die Zerfallsprozesse des Ichs wider, gleichzeitig weisen sie aber eine tiefe, oftmals verborgene Kreativität auf.

Seine Forschungen trugen dazu bei, den Zusammenhang zwischen psychischer Verfassung und künstlerischer Schöpfung besser zu erfassen. Pfeifer sah die Werke nicht nur als Symptome, sondern als tiefe menschliche Ausdrucksformen, die Urbilder des Menschseins widerspiegeln. Er forderte ein Umdenken im Umgang mit schizophrenen Kunstwerken: Sie seien mehr als krankhafte Produkte – sie enthalten eine bedeutungsvolle Sprache und offenbaren tiefere Wahrheiten. Die Werke seien nicht nur Zeichen von Krankheit, sondern Ausdruck einer kreativen, menschlichen Tiefe, die den Blick auf das menschliche Bewusstsein erweitern. Die Erforschung dieser Kunstwerke zeige, dass psychische Erkrankung und Kreativität eng verbunden sein können und neue Einblicke in das menschliche Bewusstsein ermöglichen. Ähnlich äußerten sich seine Kollegen Helmut Rennert, Rudolf Lemke und Erich Drechsler.

Wiederaufbau der Leipziger Klinik

Nach dem Krieg half Pfeifer beim Wiederaufbau der durch Bomben zerstörten Klinik und des Instituts. 1947 wurde das neu gegründete Leipziger Hirnforschungsinstitut wieder aufgenommen. 1946 hatte er kommissarisch die Leitung der Leipziger Nervenklinik übernommen. Er galt als unbelastet, da er nicht Mitglied der NSDAP war. Trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme trieb er die Entwicklung und den Neubau der neurochirurgischen Abteilungen voran.

Kurz vor seinem Tod 1957 konnte er die Verselbständigung seines Instituts miterleben. Neben seinem Hirnforschungsinstitut engagierte sich Pfeifer insbesondere für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie für die eigenständige Entwicklung der Neurochirurgie. Nach der Einrichtung der ersten neurochirurgischen Station in der DDR mit 20 Betten an der Klinik im Jahr 1949 wurde sein Schüler Georg Merrem (1908–1971) im Jahr 1953 zum Leiter einer eigenen Klinik ernannt und 1955 erhielt er einen eigenen Lehrstuhl.

Auswahl Publikationen

Pfeifer, Richard Arwed: Myelogenetisch-anatomische Untersuchungen über das kortikale Ende der Hörleitung, Diss. med., Teubner, Leipzig 1920.

Pfeifer, Richard Arwed: Der Geisteskranke und sein Werk: eine Studie über schizophrene Kunst, Leipzig 1923.

Pfeifer, Richard Arwed: Leitende Gesichtspunkte für die Psychopathologie des Kindes im vorschulpflichtigen Alter: Antrittsvorlesung, Halle 1926.

Pfeifer, Richard Arwed: Die Angioarchitektonik der Grosshirnrinde, Berlin 1928.

Pfeifer, Richard Arvid: Grundsätzliches zur medizinischen Pädagogik, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 3 (9), 1951, S. 275–281.

Pfeifer, Richard Arwed: Die Darstellung von Lymphströmungen im inneren Milieu des Gehirs̱ mit Hilfe der Ausbreitung von Bakterien bei entzündlichen Hirnkrankheiten, Berlin 1951.

Professor Dr. phil. et med. Richard Arwed Pfeifer zum 75. Geburtstag am 21.11.1952, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 4 (11), 1952, S. 349; Suckow, Johannes: Festschrift. Herrn Prof. Dr. phil. et med. Richard Arwed Pfeifer zum 75.Geburtstage am 21. November 1952, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 5 (1/2), 1953, S. 1–3; Wünscher, Wolfgang: In memoriam Richard Arwed Pfeifer, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 9 (5), 1957, S. 131–132.

Quellen und Literatur

Professor Dr. phil. et med. Richard Arwed Pfeifer zum 75. Geburtstag am 21.11.1952, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 4 (11), 1952, S. 349.

Suckow, Johannes: Festschrift. Herrn Prof. Dr. phil. et med. Richard Arwed Pfeifer zum 75. Geburtstage am 21. November 1952, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 5 (1/2), 1953, S. 1–3.

Wünscher, Wolfgang: In memoriam Richard Arwed Pfeifer, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 9 (5), 1957, S. 131–132.

Somburg, Oliver; Steinberg, Holger: Richard Arwed Pfeifer. Die Ästhetik „schizophrener Kunst“ und die Hirnforschung, in: Der Nervenarzt 9 (11), 2008, S. 1313–1318.

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