
Akteur

Prof. Dr. med. Ehrig Lange (1921–2009)
Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“ Dresden
Reformer und engagierter Forscher für die Suizidprävention
Ehrig Lange war eine prägende Figur der deutschen Sozialpsychiatrie. 1958 übernahm er eine marode Klinik in Mühlhausen-Pfafferode und wandelte sie binnen fünf Jahren in ein Modell psychiatrischer Versorgung mit offenen Türen, Tagesklinik, moderner Psychopharmakotherapie und regional vernetzter Fürsorge um. Sein Konzept, verbunden mit einem Studienaufenthalt am Londoner Moodsley-Hospital, machte ihn früh zu einem führenden Reformpsychiater. Die Veröffentlichung der Rodewischer Thesen 1963 verschaffte ihm internationale Anerkennung. Im selben Jahr wurde er jüngster Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie der DDR in Dresden. Während seiner Amtszeit öffnete er die Klinik: Gitter verschwanden, multiprofessionelle Teams und therapeutische Gemeinschaften prägten den Alltag. Lithiumtherapie und moderne Psychopharmaka wurden etabliert, ebenso wie neue Ansätze in der forensischen Psychiatrie.
Gemeinsam mit Karl Seidel und Helmut Kulawik setzte er mit der Einrichtung einer Betreuungsstelle für Suizidgefährdete in Dresden neue Impulse in der Suizidprävention und eröffnete einen lange vermiedenen medizinischen Diskurs über das gesellschaftlich tabuisierte Thema Suizid in der DDR.
Die Psychiatrie einer Zukunft, die bereits begonnen hat und die von der sozialistischen Entwicklung wie der wissenschaftlich-technischen Revolution geprägt wird, verlangt aktives Aufgeben aller noch bestehenden Rand- und Parastellungen innerhalb der Medizin, eines zum Teil noch bestehenden Konservatismus und Fatalismus bezüglich der Verursachung und grundsätzlichen Beeinflußbarkeit psychischer Krankheitszustände.
Ehrig Lange: Zur Aufgabe der Psychiatrie, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 62 (4), S. 212–213, hier S. 212.Porträt
1921 | 20. September: Ehrig Lange wird in in Großrückerswalde/ Erzgebirge geboren. |
1939 | Abitur in Grimma an der Fürsten-und Landesschule St. Augustin |
1939–1945 | Dienst bei der Wehrmacht als Sanitätsfeldwebel, seit 1945 Mitglied in der CDU |
1945–1951 | Studium der Humanmedizin an der Universität Jena, 1951 ärztliche Approbation |
1952 | Dissertation an der Universität Jena zum Thema „Die syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems, ihre Behandlung und deren Ergebnisse während der letzten sechs Jahre (1945-1951)“ |
1951–1958 | Arzt für Psychiatrie und Neurologie an der Nervenklinik der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 1956 Facharztanerkennung für Psychiatrie und Neurologie, 1958 Habilitation zum Thema: „Die psychischen Besonderheiten sinnesdefekter und körperlich verbildeter Menschen, ihre pathopsychologische Sonderstellung und ihre Bedeutung für die allgemeine Psychiatrie, zugleich ein Versuch zur Bestimmung des paranoiden Beeinträchtigungssyndroms“ |
1958–1963 | Ärztlicher Direktor am Landeskrankenhaus Pfafferode-Mühlhausen, Umwandlung der Anstalt zum psychiatrischen Fachkrankenhaus mit 90 Prozent offener Krankenführung als Open-Door-System, mit regionalem System psychiatrischer Fürsorge, Tagesklinik, systematischer Einführung der Psychopharmakotherapie, Modernisierung der Arbeitstherapie und des therapeutischen Klimas |
1961–1963 | In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Rehabilitation (Karlheinz Renker), den Psychiatern Rolf Walther (Rodewisch), Liese-Lotte Eichler (Brandenburg) sowie den Gesundheitspolitikern Kurt Winter, Gerhard Misgeld und Alexander Mette bereitet Lange des Internationale Symposium zur Rehabilitation in Rodewisch vor. Daraus entstehen die Rodewischer Thesen. |
1963–1987 | Ruf auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“ in Dresden, auch hier Öffnung der Klinik, Etablierung von Spezialrichtungen: Epileptologie, Neurophysiologie, Neuroophthalmologie, Neuropsychologie, Physiotherapie |
1967 | Einrichtung einer Betreuungsstelle für Suizidgefährdete gemeinsam mit Karl Seidel und Helmut Kulawik |
1977–1981 | 1977 wird Lange als IMS „Ehrenberg“ vom MfS als Inoffizieller Mitarbeiter geworben. Lange berichtet vorwiegend über den Weltkongress für Psychiatrie 1977 in Honolulu. Insgesamt war die Stasi unzufrieden mit Lange, da er kaum über die Klinik und die Patienten berichtet. Am 20.11.1981 wird der Vorgang archiviert und die Zusammenarbeit faktisch beendet. |
1960er–2000 Jahre | Mitgliedschaften: – 1959 Vorsitzender des Fachausschusses für Psychiatrie beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR – 1971–1983 Mitglied des Komitees des Weltverbandes für Psychiatrie – 1972 Mitglied der Zentralen Fachkommission für Neurologie und Psychiatrie an der Akademie für ärztliche Fortbildung – 1982 Mitglied der Akademie der Naturforscher „Leopoldina“, beratender Psychiater im Arbeitskreis des Arzneimittelwerkes Dresden |
1986 | Verleihung der Karl-Bonhoeffer-Medaille in Anerkennung hervorragender wissenschaftlicher Leistungen auf dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie |
1987–1991 | 1987 Emeritierung, 1991 offiziell aus dem Dienst an der Medizinischen Akademie Dresden ausgeschieden |
2009 | 31. Mai: Tod von Ehrig Lange |

Plakat für den Aufklärungsvortrag von Ehrig Lange im Jahr 1970 zum Thema „Normal – unnormal – krankheitswertig – krank – Psychologie und Psychopathologie des Verbrechens – Aufgabe der Psychiatrie bei der Bekämpfung der Kriminalität“, Quelle: Deutsches Hygiene-Museum 2002/2308.
Auswahl Publikationen
Lange, Ehrig: Zur Aufgabe der Psychiatrie, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 62 (4), 1968, S. 212–213.
Lange, Ehrig: Grundsätzliche Überlegungen zur Anwendung von Psychopharmaka – klinische Aspekte, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 71 (8), 1977, S. 399–400.
Lange, Ehrig: Depression. Ergebnisse des Symposiums der Sektion Psychiatrie der Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie der DDR vom 29./30. Oktober 1986 in Neubrandenburg, Bd. 41, Leipzig 1988 (Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie. Beiheft).
Lange, Ehrig: Zur Nosologie der Psychosen. Multifaktoriell-synoptische Erfassung mit syndromgenetischem Zugang, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie. Beiheft 15, 1972, S. 42–54.
Lange, Ehrig: Grundsätzliche Erwägungen zu Freiwilligkeit, Willigkeit und Unwilligkeit psychisch Kranker, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 68 (13), 1974, S. 662–663.
Lange, Ehrig; Riedel, Christa; König, Liesbeth u. a.: Klinische Vergleichsprüfung Trazodone – Clomipramin, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 32 (12), 1980, S. 748–750.
Lange, Ehrig; König, Liesbeth; Eymann, Bernd: Besonderheiten und Schwierigkeiten beim gezielten medikamentösen Einsatz in der Behandlung von chronisch Schizophrenen (Schizophrener «Defekt»), in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 33 (1), 1981, S. 34–38.
Lange, Ehrig: Wandel und Konstanz des Depressionsbegriffes, in: 41, 1988, S. 11‒13.
Lange, Ehrig: Brandstiftung als symbolischer Suizid, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 41 (5), 1989, S. 304–305.
Quellen und Literatur
Felber, Werner; Sauermann, Wolfgang: Nachruf für Prof. Dr. med. habil. Ehrig Lange, in: Ärzteblatt Sachsen 20 (8), 2009, S. 449–450.
https://tu-dresden.de/ua/archiv-bestaende/medienarchiv/professorenbildnisse (05.08.2025).
BArch, MfS AIM Nr. 13788/83 Bd. 2.
BArch, ASt Dresden, AIM 4344/81, Teil I, Bd. 1.