Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Berlin

Psychotherapeutische Abteilung

Das Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Berlin wird im November 1893 als „Anstalt für Epileptische Wuhlgarten bei Biesdorf“ eröffnet. Ab 1927 werden neben Epileptikern zunehmend ebenfalls Personen mit Paralyse, Alkoholabhängigkeit und anderen psychiatrischen Krankheitsbildern aufgenommen, was 1928 zur Umgestaltung in eine allgemeine Nervenanstalt und zur Umbenennung des Krankenhauses in „Städtische Heil- und Pflegeanstalt (für Epileptische) Wuhlgarten“ führt. Bis 1954 werden die Patienten überwiegend medikamentös und mit chemisch-induzierter Krampfbehandlung therapiert. Daneben werden sie nach Möglichkeit in die sogenannte Arbeitstherapie einbezogen, bei der die arbeitsfähigen Patienten täglich sieben Stunden Arbeit im Garten, in der klinikeigenen Land- und Viehwirtschaft, in Werkstätten verschiedener handwerklicher Tätigkeiten oder mit Haus- und Küchenarbeiten verrichten – es also durch Beschäftigung zu einem verbesserten Gesundheitszustand kommen soll, während Kinder die Klinikschule besuchen.

In der Zeit des deutschen Nationalsozialismus werden an der Klinik Zwangssterilisationen psychisch kranker und behinderter Personen durchgeführt. Zudem ist das Krankenhaus an der sogenannten „T4-Aktion“ beteiligt, bei der in den Jahren 1940 und 1941 Patienten in Vernichtungsanlagen deportiert werden. Aus den Dokumentationen dieser sogenannten „Patientenverlegungen aus Wuhlgarten in die Provinz“, bei denen die Patienten formal in „Zwischenanstalten“ verlegt werden, tatsächlich jedoch auf direktem oder indirektem Weg in Vernichtungsanstalten gebracht und getötet werden, gehen insgesamt 689 Fälle hervor. Viele Akten aus dieser Zeit werden jedoch in den letzten Kriegstagen vernichtet, die Anzahl der tatsächlich veranlassten Deportationen aus der Städtischen Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten wird auf über 1.000 Patienten geschätzt. Zum Kriegsende diente die Klinik als Lazarett.

Ab 1954 werden die Patienten verstärkt mit Elektrokrampfbehandlung und Pawlow’scher Schlaftherapie behandelt. Im Jahr 1961 wird das Krankenhaus erneut umbenannt in „Städtisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie“ und 1968 schließlich in „Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Berlin“.

Im Oktober 1966 wird eine psychotherapeutische Abteilung eröffnet, die von Dietfried Müller-Hegemann geleitet wird. Bei einer initialen Anzahl von 28 Betten werden die Patienten nach der Idee der therapeutischen Gemeinschaft zunächst in einer Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie in offenen und geschlossenen Gruppen mit dem Verfahren des Autogenen Trainings behandelt. Die therapeutische Strömung ist dabei zum einen nach der staatlich forcierten „sowjetischen Psychologie“ ausgerichtet, die auf den Erkenntnissen Pawlows fußt. Infolge der analytischen Ausbildung, die der Klinikleiter D. Müller-Hegemann vor 1945 bei Schultz-Hencke absolviert hat, ist die Psychotherapie der Abteilung zum anderen aber auch analytisch geprägt:

„Das Fundament der praktischen Psychotherapie, die in dieser Abteilung durchgeführt wurde, war aber keineswegs so »pawlowistisch«, wie man vermuten könnte. Der Satz »Aber der Mensch ist kein Hund« war ein geflügeltes Wort in der Abteilung. (…) Aber auch unter solch einem Therapieregime gibt es natürlich eine unbewusste Gruppendynamik, es gibt Träume, schwer zu entschlüsselnde auffällige Verhaltensweisen, kurzum, das Unbewusste lässt sich nicht aussperren. Es wurde in den Fallbesprechungen auch durchaus diskutiert.“

Kruska & Kruska, 2011, S.180.

Die analytischen Anschauungen des Klinikleiters treten schließlich bei einem Symposium im Jahre 1968 im Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus öffentlich zutage, bei dem Müller-Hegemann ein Manuskript mit dem Titel „Bewusstsein und Unbewusstes“ zu (s)einer „neuen Psychotherapie“ herausgibt. Die Veröffentlichung dieses Manuskriptes in der DDR scheitert jedoch, mutmaßlich aufgrund staatlicher Einschränkungen bezüglich Müller-Hegemanns analytischer Anschauungen. D. Müller-Hegemann setzt sich 1971 in die BRD ab.

Neuer Chefarzt der Abteilung wird 1973 Werner König, der zuvor als Oberarzt der psychotherapeutischen Abteilung am Haus der Gesundheit in Berlin tätig ist. Durch zwei Erweiterungen kann die Bettenanzahl zunächst auf 41 und im Jahr 1979 schließlich auf 62 Betten erhöht werden. Zudem wird das Behandlungsprogramm ab Anfang der 1970er Jahre um ergänzende Therapiemethoden wie Musiktherapie, kommunikative Bewegungstherapie, Gestaltungs- und Arbeitstherapie erweitert.

Das Gelände der Klinik zeichnete sich durch großzügige Garten- und Parkanlagen aus, die den Patienten als Erholungsanlagen zur Verfügung stehen. Zudem sind einige Flächen als landwirtschaftliche Nutzflächen angelegt, es gibt eine eigene Tierhaltung, eigene Wasser- und Energiequellen, eine Krankenhauskirche und verschiedene Werkstätten, die im Rahmen der Gestaltungs- und Arbeitstherapie genutzt werden.

Neben der Psychotherapie der Patienten widmet sich die Station für klinische Psychotherapie verschiedenen Forschungsthemen. Forschungsaufträge sind u.a. die „Sozialpsychiatrisch-epidemiologische Analyse der in Zweijahresfrist aufgenommenen Psychosen im Städtischen Krankenhaus Wuhlgarten, Berlin“, die „Untersuchungen der höheren Nerventätigkeit bei chronischen Schizophrenien, Depressionen, hirnorganischen Veränderungen und Zuständen psychischer Gesundheit“ und die „Ermittlungen von Bedürfnissen und Verhaltensweisen in städtischen Wohngebieten“.

1997 wird das Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Berlin mit dem Krankenhaus Kaulsdorf zum „Krankenhaus Hellersdorf“ fusioniert. Heute gehört die Mehrzahl der Klinikgebäude zum Vivantes Klinikum Hellersdorf (genauer: Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik), ein kleinerer Teil zum BG Unfallkrankenhaus Berlin sowie zur Verwaltung des psychosozialen Zentrums „Wuhletal Psychosoziales Zentrum gGmbH“.

Leitungen

  • 1964 – 1971: Dietfried Müller-Hegemann
  • 1973 – 2000: Werner König

Kongresse

Symposien der Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie der DDR (GÄP) mit internationaler Beteiligung:

  • 26. Mai 1965 mit dem Thema „Theoretische Grundprobleme der Psychotherapie“
  • 17. und 18. März 1967 mit dem Thema „Bewusstsein und Unbewusstes“

Quellen und Literatur

Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf. (2014). Das Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus und seine Parkanlage, der Wuhlegarten. Berlin.de. Abgerufen am 27. August 2024, von https://web.archive.org/web/20141104125330/http:/www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/verwaltung/natur/griesinger.html

Goldhan, W. (2011). Vom Anfang der Musiktherapie im Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus (WGK) Berlin. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995, S. 323-325. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.

Kruska, W. & Kruska, B. (2011). Psychotherapie im Griesinger-Krankenhaus Wuhlgarten. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 178–181. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Lindemann, C. (2011). Die Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten 1933-1945: Ein Ort bekennt sich zu seiner Vergangenheit. Wuhlgarten – Hilfsverein für psychisch Kranke e.V., 2014. https://www.wuhletal.net/buch/gliederung.html

Verlag Pharus-Plan GmbH i.G. (o. D.). Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus: Wuhlgarten, Vivantes Klinikum Hellersdorf, Unfallkrankenhaus Marzahn. berliner-stadtplan.com. Abgerufen am 27. August 2024, von https://www.berliner-stadtplan.com/poi/59235_Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus-Wuhlgarten-Vivantes-Klinikum-Hellersdorf-Unfallkrankenhaus-Marzahn

Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus Berlin. (1969). 75 Jahre Städtisches Krankenhaus Wuhlgarten Berlin: 1893 – 1968.