
Psychotherapieverfahren der DDR –
Psychodynamische Einzeltherapie
Begründer und Hauptvertreter in der DDR
Die Psychodynamische Einzeltherapie wird von dem Psychotherapeuten Hans-Joachim Maaz (*1943) unter Mitwirkung einer Arbeitsgruppe bestehend aus dem Psychiater Harro Wendt (1918 – 2006), seinem Mitarbeiter Infrid Tögel (1927 – 2021) und Helmut Kulawik (1941 – 1992) entwickelt. In der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie der DDR (GÄP) gibt es ab Anfang der 1980er Jahre eine Sektion für Dynamische Einzelpsychotherapie, dessen Vorstand neben den genannten Akteuren auch Gudrun Tscharntke (1928 – 2023) und Heinz Kerber angehören.
Zeitliche Einordnung
Psychoanalytisch begründete Verfahren werden vor allem in den frühen Jahren der DDR von gesundheitspolitischer Seite als bürgerlich angesehen und abgelehnt. Dennoch etablieren sich psychodynamische Verfahren in der Psychotherapielandschaft. In den 1970er Jahren führen wirtschaftliche Schwierigkeiten und wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu politischen Neubewertung: Der Fokus auf das Subjekt nimmt mehr Bedeutung in Politik, Philosophie und Popkultur – und auch in der Psychotherapie ein. Es häufen sich daraufhin Bestrebungen, auch im Einzelsetting ein psychodynamisches Verfahren zu etablieren. Der Psychiater Harro Wendt arbeitet schon in den 1960er Jahren im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Uchtspringe mit einer Einzeltherapie mit psychodynamischer Orientierung. Dies könnte einen der Ausgangspunkte für die Entwicklung und Systematisierung der Psychodynamischen Einzeltherapie in der DDR darstellen. 1978 wird eine erste Arbeitsgruppe, die AG „Psychotherapeutisches Gespräch“, gegründet, die Konzepte für eine persönlichkeitszentrierte Einzeltherapie entwickelt. Etwa vier Jahre später, 1982, wird eine Sektion für Psychodynamische Einzelpsychotherapie innerhalb der GÄP gegründet. Noch im selben Jahr wird durch Hans Joachim Maaz ein systematisches Ausbildungsprogramm für Psychodynamische Einzeltherapie erstellt, was die ersten Teilnehmenden 1984 durchlaufen. Kulawik, Maaz, Wendt und Tögel fungieren dabei als Ausbildungsleiter. 1984 erscheint von Kulawik außerdem eine erste einschlägige Publikation, die unter dem Titel „Psychodynamische Kurzzeittherapie“ veröffentlicht wird. Die Ausbildungskurse werden in den folgenden Jahren und auch über 1989 hinaus fortgeführt und stellen einen wichtigen Faktor für die berufsrechtliche Anerkennung der ostdeutschen Psychotherapeuten nach dem Mauerfall dar.
Kurzbeschreibung des Verfahrens
Bei der Psychodynamischen Einzeltherapie (kurz PdE) handelt es sich um ein tiefenpsychologisch fundiertes Therapieverfahren, das auf analytisch begründeten Techniken und Konzepten, wie Übertragung und Gegenübertragung, Deuten und Bearbeiten oder Widerstandsanalysen beruht. Mit der PdE wird fokussierend gearbeitet, das heißt, dass eine aktuelle intrapsychische Konfliktdynamik („Fokalkonflikt“), die sich im gegenwärtigen Erleben zeigen kann, im Hier und Jetzt verarbeitet wird. Im Gegensatz zu einer psychoanalytischen Langzeittherapie stehen bei der PdE nicht eine volle Übertragungsneurose und strukturelle Veränderung der Persönlichkeit im Fokus. Stattdessen formuliert sie einen aktuellen Fokalkonflikt. Hinsichtlich des Fokalkonflikts wird auf den Psychoanalytiker Thomas M. French Bezug genommen, der die Begrifflichkeit in den 1950er Jahren einführt. Darüber hinaus sind in der Konzeption auch Verweise auf Techniken und Methoden der Psychoanalytiker Michael und Enid Balint zu finden.
Besonderheiten in der DDR
Das Menschenbild der PdE ist ein Gegenentwurf zum kollektivistischen Staatsverständnis – der Mensch wird als ganzheitlich aktives Wesen gesehen, dessen Erleben und Verhalten unter anderem durch eigene unbewusste Triebkräfte beeinflusst wird. Unbewusste Triebkräfte und Konflikte existierten nach dem sozialistischen Weltbild nicht. Eine Kultur der Reflexion, Therapie, Supervision und ein Infragestellen der Umstände waren nicht erwünscht. Durch die negative öffentliche Wahrnehmung von Psychoanalyse wurden psychoanalytische Begriffe häufig getarnt. Zum Beispiel wurde anstatt „psychoanalytisch“ bevorzugt das Wort „dynamisch“ verwendet.
Quellen und Literatur
Geyer, M. & König, W. (2011). 1970 – 1979: Methodenentwicklung und Aufbau der stationären Versorgung. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 271-275. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Geyer, M. & König, W. (2011). 1980 – 1989: Wege der Emanzipation. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 473-480. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Kulawik, H. (1984). Psychodynamische Kurztherapie. Beiträge zur klinischen Neurologie und Psychiatrie, 52.
Maaz, H. J. (1997). Methodik und Technik der psychodynamischen Einzeltherapie. In H. J. Maaz (Hrsg.), Psychodynamische Einzeltherapie, S. 16-57. Pabst Science Publishers.
Maaz, H. J. (1997). Methodik und Technik der psychodynamischen Einzeltherapie. In H. J. Maaz (Hrsg.), Psychodynamische Einzeltherapie, S. 85-90. Pabst Science Publishers.
Maaz, H. J. (2011a). Die Psychodynamische Einzeltherapie. Eine ostdeutsche Entwicklung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 481-483. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Maaz, H. J. (2011b). Zur Geschichte der Psychotherapie in der DDR. European Journal of Mental Health, Bd. 6, S. 213-238.