Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten

In der Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten werden Patienten ab 1964 im Rahmen eines sechswöchigen stationären Aufenthaltes insbesondere mit der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG) psychotherapeutisch behandelt. Unter der Leitung von Kurt Höck (1964 – 1986) und später Christoph Seidler (1987 – 1991) ist die Klinik der ambulanten Abteilung für Psychotherapie und Neurosenforschung des Hauses der Gesundheit angeschlossen. Dies führt zur Herausbildung eines stationären Therapiekonzepts, das durch eine ambulante Vor- und Nachbehandlung am Haus der Gesundheit ergänzt und in der Folge zu einem Modell für stationäre Psychotherapie in der DDR wird.

Die Belegung der Klinik erfolgt von Anfang an in drei geschlossenen Gruppen, die geschlechts- und überwiegend altersgemischt sind und jeweils im Abstand von 14 Tagen aufgenommen werden. Gruppentherapie wird in diesen Kerngruppen in täglichen, jeweils 60-minütigen Sitzungen durchgeführt. Die Klinik wird nach dem Prinzip der therapeutischen Gemeinschaft geleitet, d.h. administrative und therapeutische Aufgaben werden getrennt. Zudem gibt es im Rahmen der Hausordnung feste Regeln, die für Patienten wie auch das Personal gelten. Das Organ der therapeutischen Gemeinschaft bildet hierbei eine strukturierte Großgruppe mit allen Klinikangehörigen, die einmal wöchentlich zusammenkommt. Diese Großgruppe wird von wechselnden Patienten und ihren jeweils gewählten Gruppensprechern geleitet, welche gemeinsam die Entwicklungen der einzelnen Kerngruppen und ihrer Gruppenmitglieder diskutieren. Eingebettet in diesen Therapierahmen werden zudem Regelverstöße aller Art verhandelt und Beurteilungen über Therapeuten abgegeben. Neben den Kerngruppen und der strukturierten Großgruppe tagt wöchentlich in jeweils 90-minütigen Sitzungen auch eine unsystematische Großgruppe, an der die Mitglieder aller drei Kerngruppen mit ihren jeweiligen Therapeuten teilnehmen und die der Begegnung der Gruppen untereinander dient. Ergänzt wird die Gruppentherapie durch therapeutische Elemente wie Arbeitstherapie, Musiktherapie, kommunikative Bewegungstherapie und Gestaltungstherapie.

Untergebracht werden die Patienten der Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten in Ein- bis Vierbettzimmern. Neben drei Gruppenräumen gibt es eine Gemeinschaftsküche mit Speisesaal und einen Garten mit Gartenhaus, künstlich angelegter Grotte und einem Springbrunnen. Später wird eine Kegelbahn und eine große Baracke hinzugefügt, die für die Bewegungstherapie genutzt werden. Es gibt gemeinschaftliche Sing- und Tanzabende, sowie Märchen- und Handpuppenspiele im Rahmen der Gruppentherapie bzw. als Abendveranstaltung. An Feiertagen oder gegen Ende der Therapie werden den Patienten zur Klärung häuslicher Fragen häufig auch Kurzurlaube bewilligt.

Neben der stationären Behandlung sieht das Therapiemodell in der Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten eine ambulante Vor- und Nachbehandlung in der angeschlossenen Abteilung am Haus der Gesundheit vor. Dabei beginnt der zuständige Therapeut bereits vier Wochen vor der stationären Aufnahme ambulant mit seiner zukünftigen Patientengruppe zu arbeiten. Nach der Entlassung schließt sich die ambulante Nachbehandlung am Haus der Gesundheit an, bei der noch über ein Jahr wöchentliche Gruppensitzungen mit dem zuständigen Therapeuten stattfinden. Mit diesem Behandlungskonzept wird die Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten zu einem Modell für stationäre Psychotherapie in der DDR, nach dessen Beispiel fortan zahlreiche Einrichtungen Psychotherapie durchführen. Unter der späteren Leitung von Christoph Seidler (von 1987 bis 1991) existiert die Klinik bis ins Jahr 1991, anschließend wird sie aufgelöst und ist seither geschlossen.

Quellen und Literatur

Hess, H. (2011a). Psychotherapeutische Forschung im Haus der Gesundheit – Probleme, Anfänge und Entwicklung in den 1960er Jahren. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland – Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 172-176. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Hess, H. (2011b). Die Herausbildung eines Institutes für Psychotherapie und Neurosenforschung (IfPN) mit Integration der Ambulanz, Klinik und Forschung. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland – Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 369-378. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Hess, H., Müller, A., Schwarz, E., Tscharntke, G. (2011). Die Kinderpsychotherapie im Haus der Gesundheit (HdG) Berlin – Ein nahezu vergessenes Juwel. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 225-228. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.

Kruska, W. (2011). Haus der Gesundheit (HdG) Ostberlin und Klinik Hirschgarten (Higa). In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 112-114. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Sommer, P. (1997). Kurt Höck und die psychotherapeutische Abteilung am „Haus der Gesundheit“ in Berlin – institutionelle und zeitgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Gruppenpsychotherapie in der DDR. Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, 33(2), S. 130-147.