Internationale Pawlowtagung 1953 in Leipzig

Unter der Leitung des ersten Vorsitzenden der staatlichen Pawlow-Kommission beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR, Max­im Zetkin, wurde die große Pawlow-Tagung der DDR vom 15. bis 16. Januar 1953 in Leipzig organisiert und abgehalten. Die Tagung sollte die Impulse der Moskauer Konferenz von 1950 sowie der Nachfolgetagungen von 1952 in die DDR übertragen. Sie markiert sowohl den Beginn als auch den Höhepunkt einer noch stark von Stalins „Genie“ geprägten Aneignung der Pawlowschen Theorie.

Sie stand unter der wissenschaftlichen Verantwortung von Dietfried Müller-Hegemann. Die Psychotherapie der DDR wurde nachdrücklich auf die Lehre Pawlows eingeschworen, was auch die Ablehnung der Psychoanalyse einschloss.

Resolution von der Pawlow-Tagung

Die Resolution der Pawlow-Tagung am 15. und 16. Januar 1953 in Leipzig betonte die Bedeutung der Pawlowschen Lehre für die Medizin und die Physiologie. Iwan Petrowitsch Pawlow hatte eine objektive Methodik zur Erforschung des Verhaltens des tierischen und menschlichen Organismus in seiner Umwelt entwickelt, die die zentrale Rolle der Großhirnrinde auf alle Körperprozesse nachweisen sollte und die Einheit von Organismus und Umwelt betonte. Seine Lehre galt besonders in der sowjetischen Physiologie und Medizin als Grundlagentheorie, beeinflusste zeitweise alle medizinischen Zweige und sollte Theorie und Praxis stärker verbinden. Da in Deutschland – so die Verantwortlichen – kaum etwas über Pawlows Theorie bekannt und kaum in Lehre, Forschung oder Klinik integriert sei, wurde eine Resolution mit folgenden Schwerpunkten veröffentlicht:

  • Die beschleunigte Übersetzung und Veröffentlichung von Pawlows Werken.
  • Die Gründung eines Pawlow-Instituts für experimentelle Forschung, Ausbildung und Koordination.
  • Möglichkeiten für Forschungsaufenthalte im Ausland zur Ausbildung qualifizierter Fachkräfte.
  • Die Einrichtung klinischer Zentren für Studium und Anwendung der Pawlowschen Lehre.
  • Die Integration der Lehre in den universitären Unterricht und eine verpflichtende Vorlesung.
  • Die Veranstaltung von Fachtreffen und deren Berücksichtigung in wissenschaftlichen Gesellschaften.
  • Die praktische Anwendung der Pawlow-Lehre in Klinik und Krankenhausbetrieb.

Zudem wurde die Bedeutung der Lehre Pawlows für benachbarte Wissenschaften wie Biologie, Veterinärmedizin, Psychologie, Pädagogik, Sprachwissenschaft und Philosophie hervorgehoben. Die Tagung sollte maßgeblich zur Entwicklung der deutschen Medizin beitragen.

Stiller Rückzug

In den 1950er-Jahren erreichte der Pawlowismus in der psychiatrischen Forschung der DDR seinen Höhepunkt, doch schon in der zweiten Hälfte der Dekade begann sein allmähliches Verblassen. Dieser Rückgang wurde durch mehrere Faktoren verursacht: Zunächst verlor Pawlow in der Sowjetunion und den Satellitenstaaten zunehmend die politische Unterstützung. Zudem konnte die Lehre Pawlows kaum Anschluss an die bestehende wissenschaftliche Forschung finden, da ihr die notwendige Innovationskraft und bahnbrechende Ergebnisse fehlten. Darüber hinaus waren die experimentellen Erfolge begrenzt, und es gab kaum bedeutende wissenschaftliche Publikationen, die den Pawlowismus nachhaltig in der Praxis verankerten. Die Propaganda konnte den begrenzten Einfluss auf die klinische Arbeit nicht kompensieren; nur eine kleine Gruppe von Forschern beschäftigte sich intensiv mit Pawlows Arbeiten, und an den Hochschulen sowie in Fachgesellschaften wurde die Lehre kaum diskutiert oder integriert. Auch in den führenden Nervenkliniken, etwa an der Charité, wurde Pawlows Ansatz nur wenig rezipiert. Lehrbücher und Fachliteratur reflektierten diese Ablehnung: Autoren wie Rudolf Lemke und Helmut Rennert wiesen darauf hin, dass die Anwendung Pawlowscher Konzepte vor allem in philosophischen und physiologischen Grundfragen relevant sei, jedoch im klinischen Alltag kaum eine Rolle spiele.

Obwohl die Arbeit an Forschungsprojekten mit Pawlow-Bezug bis Mitte der 1950er-Jahre weiterging, zeigte sich bereits deutlich, dass die Lehre an Bedeutung verlor. Ende 1955 wurde Pawlow in vielen Fachzeitschriften kaum noch im Index geführt, und die Bedeutung seiner Theorie für die neuropsychiatrische Forschung nahm deutlich ab. Die wissenschaftliche Diskussion und Selbstreflexion innerhalb der DDR wandten sich zunehmend anderen Ansätzen zu. Die Organisationen und Kommissionen, die sich mit der „Pawlowisierung“ der Psychiatrie beschäftigten, stellten im Spätjahrzehnt ihre Arbeit ein, und auch die wichtigste Fachzeitschrift für höhere Nerventätigkeit erschien nur noch bis Anfang der 1960er-Jahre. Die anfänglichen Verfechter der Pawlow’schen Theorie, wie Müller-Hegemann, distanzierten sich im Laufe der Jahre immer mehr. Seine späteren Beiträge zeigen, dass er die direkte Bezugnahme auf Pawlow nur noch selten in seinen Veröffentlichungen wiederaufnahm, und wenn, dann rückte dies in den Hintergrund seiner Argumentation.

Der allmähliche Rückzug vom Pawlowismus in der DDR vollzog sich somit still und ohne große öffentliche Diskussion. Es handelte sich um eine schleichende Abkehr, die den Wandel in der wissenschaftlichen Praxis widerspiegelte: War Pawlow einst als zentraler Anker für neuropsychiatrische Reformen angesehen worden, so wurde dieser Kurs nach und nach aufgegeben. Das Ende einer Ära, in der der Pawlowismus für die DDR-Forschung eine bedeutende Rolle gespielt hatte, wurde somit mehr durch den schlichten Ablauf der Zeit und den Wandel des wissenschaftlichen Klimas als durch offizielle Beschlüsse bestimmt.

Quellen und Literatur

Dörre, Steffen: Wissenschaft und Ideologie. Der Pawlowismus in der frühen DDR, in: Kumbier, Ekkehardt (Hg.): Psychiatrie in der DDR II Weitere Beiträge zur Geschichte., Berlin 2020, S. 95–117.

Weiterführende Literatur

Busse, Stefan: „Von der Sowjetwissenschaft lernen“: Pawlowismus und Psychologie, in: Psychologie und Geschichte 8, 1998, S. 150–173.

Bernhardt, Heike: Mit Sigmund Freud und Iwan Petrowitsch Pawlow im Kalten Krieg. Walter Hollitscher, Alexander Mette und Dietfried Müller_Hegemann in der DDR, in: Bernhardt, Heike; Lockot, Regine (Hg.): Mit ohne Freud: Zur Geschichte der Psychoanalyse in Ostdeutschland, Giessen 2001, S. 172–203.

Verwandte Artikel und Themen