
Entwicklungsphasen
der Psychotherapie in der DDR
1945 – 1949: Nachkriegszeit
Das methodische und wissenschaftliche Potential der Psychotherapie ist in den Nachkriegszeiten zunächst sehr ausgedünnt. Nach Gründung der DDR werden erste Institutionen der Psychotherapie wiederbesetzt. Dazu gehören u. a. die Psychoanalytiker Dietfried Müller-Hegemann und Alexander Mette, die später offiziell gegen die Psychoanalyse eintreten, ihr jedoch in einer ambivalenten Art und Weise verbunden bleiben und leitende Positionen in der Gesundheitsverwaltung einnehmen. Sie werden in den folgenden 20 Jahren zu den einflussreichsten Vertretern der Psychotherapie in der DDR.
1950 – 1959: Pawlow und die Folgen
Die Zeit nach der Gründung der DDR 1949 ist auch im Fachbereich der Psychotherapie durch den sogenannten Pawlowismus geprägt. Um einen Kontrapunkt gegenüber der angloamerikanischen Psychosomatik zu setzen, wird auf der Pawlow-Konferenz 1950 in Moskau durch die dortige Akademie der Wissenschaften die kortiko-viszerale Pathologie als neue Theorie der Psychotherapievorgestellt und besonders die Psychoanalyse als inhuman und nicht an wissenschaftlichen Standards orientiert stigmatisiert. Damit ist die Psychoanalyse nicht länger ein Teil der offiziellen psychotherapeutischen Verfahren der DDR. Dagegen entwickeln sich auf dem Gebiet der rationalen Psychotherapie eigenständige Psychotherapiekonzepte. Einen der wichtigen neuen Standards bildet hier die sogenannte Schlaftherapie, die im Wesentlichen auf den Ideen Pawlows begründet ist. Aber auch andere Therapieformen, wie zum Beispiel die Hypnose und das Autogene Training werden als Therapieformen aufgenommen und weitergeführt. Auch in den Kliniken halten diese neuen Psychotherapieformen zunehmen Einzug, zudem kommt es zur Herausbildung erster psychotherapeutischer Klinikabteilungen. Den Anfang machte hier 1953 die Universitätsklinik in Leipzig.
1960 – 1969: Beginnende Institutionalisierung
Die 1960er Jahre sind von einer zunehmenden Institutionalisierung der bestehenden psychologischen Fachgebiete geprägt. Hierbei tritt insbesondere die der Gründung der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie (GÄP) der DDR im Jahr 1960 hervor. Diese Gesellschaft wird in den Folgejahren vor allem für die institutionelle Verankerung und Interessenvertretung der Psychotherapie im DDR-Gesundheitswesen relevant.
Auch neue Therapieverfahren werden in diesem Jahrzehnt an verschiedenen Institutionen der DDR erarbeitet, am psychologischen Institut der Humboldt-Universität (Berlin) u. a. die DDR-Gesprächspsychotherapie. Eine besondere Stellung gewinnt die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie (IDG) als ein zentrales Therapieverfahren der DDR: Ausgehend vom Berliner Haus der Gesundheit verbreitet sich die durch Kurt Höck entwickelte Methode in alle Bezirke der DDR.

1970 – 1979: Methodenentwicklung und Aufbau der stationären Versorgung
Ab 1971 bildet sich der Plan heraus, die Psychotherapeut*innen der sozialistischen Länder für einen engeren Austausch gemeinsame Arbeitsgruppen bilden zu lassen. Dies wird 1973 mit einem Symposium in Prag realisiert. Dadurch kommen die ostdeutschen Psychotherapeut*innen mit ihren tschechischen Kolleg*innen in Kontakt, die bis zum Ende des Ostblocks eine bedeutende Rolle in der Psychotherapieforschung einnehmen. Auf internationaler Bühne gelingt es der GÄP 1971, Mitglied der von Carl Gustav Jung gegründeten International Federation for Medical Psychotherapy (IFP) zu werden. Ebenso wird eine Sektion soziotherapeutischer Methoden ins Leben gerufen, die musik-, bewegungs-, schreib- und gestaltungstherapeutische Verfahren beinhaltet.
1980 – 1989: Wege der Emanzipation
In das psychotherapeutische System werden zunehmend auch andere Techniken und Ansätze integriert, darunter unter anderem das Katathyme Bilderleben (etwa Heinz Hennig, Erdmuthe Fikentscher) in Halle. Der Umgang mit der Psychoanalyse ändert sich in diesem Jahrzehnt zunehmend und eine offenere Diskussion über Perspektiven und Möglichkeiten wird möglich. 1978 wird der Zweitfacharzt für Psychotherapie in der DDR eingeführt, 1981 Jahre folgt die Einführung des Fachpsychologen der Medizin, der gleichberechtigt neben den ärztlichen Psychotherapeut:innen geführt wird, 1989 schließlich die Einführung des Erstfacharztes für Psychotherapie in der DDR.
Im Jahr 1982 bildet sich eine erste Sektion Dynamische Einzeltherapie. Im September 1987 findet das internationale Psychotherapiesymposium in Erfurt statt, an dem auch 250 westdeutsche Psychotherapeuten teilnehmen.
1990 – 1995: Wende- und Nachwendezeit
Ab 1990 werden die geltenden Strukturen und Regelungen der BRD-Psychotherapierichtlinien auch in den neuen Bundesländern übernommen. DDR-Psychotherapeuten erfahren bei der Integration in das bundesdeutsche Richtlinien-System allerdings immer wieder einen gewissen Anpassungsdruck, insbesondere hinsichtlich der Anerkennung und Zulassung ihrer beruflichen Abschlüsse und Qualifikationen. Nahezu alle bestehenden wissenschaftlichen DDR-Fachgesellschaften lösen sich mit dem Beitritt auf. Lediglich die GÄP, die 1989 in „Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie“ (GPPMP) umbenannt wird, besteht noch einige Jahre über den Beitritt hinaus fort.