Hochschulpolitik an den Universitätsnervenkliniken
in der SBZ und DDR bis 1961

Die Neuorientierung der deutschen Psychiatrie nach 1945 war eng mit der Frage von personellen Kontinuitäten und Brüchen verbunden – in West wie Ost. In der SBZ/DDR prägte die Personalpolitik der SED bis 1961 auch die psychiatrisch-neurologischen Lehrstühle. Dabei wirkten politische Vorgaben und fachspezifische Bedingungen gleichermaßen auf die akademischen Biografien.

Zwischen Pragmatismus und Kontrolle:
Personalpolitik in der Nachkriegspsychiatrie

Die Entnazifizierung verlief regional unterschiedlich und verschärfte zunächst den Ärztemangel, besonders in der Psychiatrie. Ab 1948 setzte daher eine pragmatische Personalpolitik ein: nominelle NSDAP-Mitglieder wurden rehabilitiert, belastete Hochschullehrer kehrten zurück, und weniger als 15 Prozent der Medizinprofessoren verloren endgültig ihre Laufbahn. Damit begann die Reintegration bürgerlich geprägter Eliten, um die medizinische Versorgung und die Lehre zu sichern. An den Universitätsnervenkliniken bedeutete dies eine Rückkehr zu älteren Fachvertretern: in Jena Rudolf Lemke, in Halle Fritz Flügel (später Karl Pönitz), in Leipzig Richard Arwed Pfeifer (später Dietfried Müller-Hegemann) sowie an der Berliner Charité Jürg Zutt, gefolgt von Rudolf Thiele. Doch trotz der Rückkehr „belasteter“ Mediziner setzte die SED bald auf eine politisch verlässliche Neuausrichtung des Hochschulwesens.

Rein praktisch dürfte es im Raum der Deutschen Demokratischen Republik so sein, daß uns überhaupt nicht genügend Kräfte zur Verfügung stehen, um der Frage Neurologie oder Psychiatrie personell näher zu treten.

Hanns Schwarz, Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Greifswald, über den akuten Personalmangel in Psychiatrie und Neurologie, Quelle: Brief von 1957, UAR, Med. Fak., Nervenklinik, Strukturelle Veränderungen 1957–1959: Bl. 1685.

Neue Hochschullehrergeneration zwischen Tradition und Sozialismus

Mit der „Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens“ von 1951 und der „Verordnung über die weitere sozialistische Umgestaltung des Hoch- und Fachschulwesens“ (Dritte Hochschulkonferenz) von 1958 sollten die Universitäten fest unter politische Kontrolle gestellt werden. Gefordert war die konsequente Umsetzung marxistisch-leninistischer Lehren. In der Konsequenz wurden Hochschullehrer in der DDR massiv unter Druck gesetzt, die Parteilinie bedingungslos zu befolgen. Nach der Dritten Hochschulkonferenz eskalierte die Repression: Verhaftungen und Abwanderungen folgten, während die Universitäten um die Besetzung medizinischer Lehrstühle kämpften. Bis zum Mauerbau hatten Fakultäten noch ein begrenztes Mitspracherecht, doch danach setzten rigide Kaderpläne politische Loyalität über fachliche Qualifikation.

Ende der 1950er Jahre etablierte sich so eine neue, nach außen loyale Lehrergeneration in Psychiatrie und Neurologie, die dennoch an fachlichen Traditionen anknüpfte.

Aber auch die Expertise bürgerlich orientierter Wissenschaftler wusste die DDR zu nutzen, wie am Beispiel Karl Leonhards sichtbar wird: Leonhard kam aus Westdeutschland, wirkte ab 1955 in Erfurt und ab 1957 an der Berliner Humboldt-Universität, leitete die Psychiatrische Klinik der Charité bis 1970 und erhielt Privilegien für seinen Verbleib. Er entwickelte eine differenzierte Klassifikation endogener Psychosen, prägte Schüler in der DDR und BRD und gehörte zu den wenigen international anerkannten Psychiatern der DDR.

Die Zweite Generation der Hochschullehrer

Ende der 1950er Jahre etablierte sich in der DDR die Zweite Generation von Hochschullehrern, meist nach dem Krieg in Ostdeutschland ausgebildet, aber weiterhin mit der Ersten Generation verbunden. Die Berufung dieser neuen Hochschullehrer erfolgte in einem recht kurzen Zeitraum, häufig noch vor dem Erreichen des 40. Lebensjahres. Die Karriere verlief rasch: Die Berufungen zu ordentlichen Professoren, die bisher eher den älteren, etablierten Wissenschaftlern vorbehalten waren, wurden bei den jüngeren Fachärzten deutlich beschleunigt, was auf die akute Personalknappheit nach dem Krieg und die Notwendigkeit zurückzuführen war, eine funktionierende medizinische Forschung und Ausbildung sicherzustellen.

Trotz erwarteter politischer Loyalität führten Abwanderungen – besonders junger Medizinerinnen und Mediziner zwischen 30 und 40 – zu erheblichen Verlusten. Um die neuen Wissenschaftler zu halten, bot die DDR Privilegien wie höhere Einkommen, Kongressreisen und Zugang zu Literatur. Viele machten schnell Karriere, erhielten Lehrstühle oft vor dem 40. Lebensjahr, etwa die Neurologen Peter Feudell, Johannes Sayk oder die Psychiater wie Helmut Rennert und Richard Heidrich. Schnelle Beförderungen waren besonders in Fächern mit Personalmangel, wie in der Nervenheilkunde, üblich. Eine SED-Mitgliedschaft war bis 1961 nicht Voraussetzung; Loyalität zur DDR genügte, sodass der Anteil der Parteimitglieder unter Medizinprofessoren bis Mitte der 1960er Jahre niedrig blieb.

Die Zweite Generation von Hochschullehrern prägten als führende Fachvertreter und akademische Lehrer ihre jeweiligen Fachgebiete und bildeten viele Mitarbeiter und Fachkollegen aus. Während die erste Hochschullehrergeneration noch weitgehend von den politischen Verwerfungen und ideologischen Konflikten zwischen West- und Ostdeutschland geprägt war, zeigte die zweite eine relative Kontinuität hinsichtlich der Loyalität zur DDR-Regierung. Dennoch war die Berufung der jungen Wissenschaftler keine rein politische Entscheidung, sondern lag vor allem in der Notwendigkeit einer funktionierenden, leistungsfähigen Medizin und Forschung begründet. Die Berufungsprozesse unterlagen einer komplexen Hierarchie: Die endgültige Entscheidung traf das Staatssekretariat für Hochschulwesen, das im Rahmen der zentralistischen Planung häufig politische Vorgaben über die Auswahl der Kandidaten stellte. Gleichzeitig waren die Führungspositionen in den Hochschulen mit Fachleuten besetzt, die in der Regel keine Partei- oder SED-Mitgliedschaft voraussetzen mussten, aber dennoch loyale Haltung zur DDR und ihrem politischen Kurs zeigen mussten.

Es ist wichtig zu betonen, dass die zweite Generation durchweg eine gewisse Autonomie in ihrer wissenschaftlichen Arbeit beanspruchte, diplomatisch auf ihre Loyalität verwies und die Forschung in ihrer Fachrichtung unabhängig zu gestalten versuchte. Die ideologische Steuerung war zwar präsent, aber sie stieß auf Widerstand, wenn wissenschaftliche Innovationen oder internationale Kontakte im Widerspruch zu offiziellen Vorgaben standen.

Quellen und Literatur

Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Hochschullehrer in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR bis 1961 – Der akademische Generationswechsel an den Universitätsnervenkliniken, in: Der Nervenarzt 86 (5), 2015, S. 624–634.

Hecht, Arno: Konservative Kontinuität und ihre Konsequenzen für die medizinische Wissenschaftselite der DDR, Berlin 2008 (Veröffentlichungen der Interessengemeinschaft Medizin und Gesellschaft e.V. 59).

Jessen, Ralph: Vom Ordinarius zum sozialistischen Professor: Die Neukonstruktion des Hochschullehrerberufs in der SBZ/DDR, 1945-1969, in: Bessel, Richard; Jessen, Ralph (Hg.): Die Grenzen der Diktatur: Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 76–107.

Weiterführende Literatur

Kowalczuk, Ilko-Sascha: Geist im Dienste der Macht: Hochschulpolitik in der SBZ-DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003.

Krätzner-Ebert, Anita: Der Mauerbau und die Universitäten der DDR, in: Hechler, Daniel; Pasternack, Peer (Hg.): Ein Vierteljahrhundert später: Zur politischen Geschichte der DDR-Wissenschaft, Bd. 1, Wittenberg 2015, S. 12–23.

Kumbier, Ekkehardt: Kontinuität im gesellschaftlichen Umbruch – Der Psychiater und Hochschullehrer Rudolf Thiele (1888-1960), in: Helmchen, Hanfried (Hg.): Psychiater und Zeitgeist: zur Geschichte der Psychiatrie in Berlin, Lengerich [Germany]; Miami 2008, S. 319–332.

Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Psychiater im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft: Hochschullehrer an den Universitätsnervenkliniken in der SBZ und DDR bis 1961, in: Psychiatrie in der DDR, 2018, S. 95–108.

Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Sozialistische Hochschulpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Das Beispiel Hans Heygster an der Universitäts-Nervenklinik Rostock, in: Würzburger Medizinhistorische Mitteilungen 30, 2011, S. 139–162.

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