
Haus der Gesundheit Berlin
Abteilung für Psychotherapie und Neurosenforschung
In der Abteilung für Psychotherapie und Neurosenforschung am Haus der Gesundheit werden ab 1949 zunächst Beratungen, tiefenpsychologische Explorationen sowie Hypnose und autogenes Training für Personen aus dem Bezirk Berlin-Mitte durchgeführt. Ab 1956 wird hier unter Kurt Höck erstmals in therapeutischen Gruppen gearbeitet, auf Grundlage derer er kurz darauf, gemeinsam mit Mitarbeitenden, die Intendierte Dynamische Gruppentherapie (IDG) konzipiert. Mit diesem neuen Therapieverfahren wird die Abteilung für Psychotherapie und Neurosenforschung am Haus der Gesundheit ab 1971 zu einem Ausbildungszentrum für Psychotherapeuten. Der Anschluss der Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten im Jahr 1964 erweitert die ambulante Psychotherapieabteilung zudem um einen stationären Therapiestandort, wodurch sich die Abteilung am Haus der Gesundheit hinsichtlich ambulanter und stationärer Psychotherapie zu einem Vorreiter in der DDR entwickelt.
Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
Am 01. Oktober 1949 wird im Haus der Gesundheit Berlin unter dem leitenden Psychiater Hermann Tillmann die Abteilung für Psychotherapie und Neurosenforschung eingerichtet. Die therapeutische Arbeit findet zunächst im Rahmen einer psychologischen Beratungsstelle statt. Im Einzelsetting wird hier in Form von Beratung, tiefenpsychologischer Exploration, Hypnose und autogenem Training symptomzentriert und auf der Grundlage der neoanalytischen Anschauungen Harald Schultz-Henckes therapeutisch gearbeitet. Als Kurt Höck 1956 nach einigen Jahren als ärztlicher Mitarbeiter die Leitung der psychotherapeutischen Abteilung übernimmt werden insbesondere die tiefenpsychologischen Einzelanalysen reduziert und die Patienten (zunächst aus Kapazitätsgründen) vermehrt mit autogenem Training in Gruppen von bis zu 25 Patienten behandelt. Auf Grundlage der beobachteten neuen Gruppendynamiken entwickelt Kurt Höck kurze Zeit später am Haus der Gesundheit die Intendierte Dynamische Gruppentherapie (IDG), ein psychodynamisches Therapieverfahren, das sich schnell in der gesamten DDR verbreitet und fortan zum Haupttherapieverfahren im Haus der Gesundheit wird. Mit diesem werden hier in der Folge wöchentlich etwa 50 Neuaufnahmen und jährlich etwa 2.800 Patienten aus allen Stadtbezirken Großberlins versorgt. Von 1957 bis 1972 gibt es am Haus der Gesundheit außerdem eine angeschlossene kinderpsychotherapeutische Abteilung.
Bei der Neuvorstellung durchlaufen die Patienten jeweils tiefenpsychologische und biographische Explorationen und werden zunächst auf Grundlage der von Werner König formulierten Definition und Klassifikation der Neurosen diagnostisch zugeordnet. Danach erfolgt auf Grundlage des abgestuften Systems der Diagnostik und Therapie neurotisch-funktioneller Störungen von Kurt Höck und Werner König eine therapeutische Zuordnung zur symptomzentrierten oder persönlichkeitszentrierten Therapie. Unter symptomzentrierter Therapie werden dabei Therapieformen wie Autogenes Training in Gruppen und psychologische Einzelgespräche verstanden. Ab den 1970er Jahren wird das ambulante Behandlungsangebot zudem um Gesprächstherapie, Paartherapie und verschiedene Formen der Verhaltenstherapie erweitert. Außerdem werden Spezialgruppen für Frauen und für Jugendliche von 17-22 Jahren eingerichtet. Die persönlichkeitszentrierte Therapie am Haus der Gesundheit beinhaltet wiederum die Behandlung mit der Intendierten Dynamischen Gruppentherapie (IDG), die üblicherweise nach einem ambulant-stationär-ambulantem Fließsystem verläuft.
Der psychotherapeutischen Abteilung am Haus der Gesundheit wird im Jahr 1964 die Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten angeschlossen, die bislang nur ambulant arbeitende Abteilung fortan als stationärer Therapiestandort ergänzt. Mit dieser Erweiterung entsteht das oben genannte therapeutische Fließsystem, bei dem die geschlossenen Gruppen, die sich aus jeweils 12 bis 14 Patienten zusammensetzen, mit ihrem zuständigen Therapeuten über vier Wochen ambulant auf die anschließende sechswöchige stationäre Therapie in der Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten vorbereitet werden. Nach der stationären Entlassung erfolgt anschließend über ein Jahr hinweg eine ambulante Nachbehandlung in Form von wöchentlichen Gruppensitzungen mit dem selben Therapeuten.
In den 1970er Jahren beschäftigt sich die Forschungsgruppe der Abteilung am Haus der Gesundheit hauptsächlich mit zwei Forschungsprojekten: 1969-1975 mit dem Themenkomplex „Funktionelle und psychisch bedingte Störungen im Krankengut des ambulanten Gesundheitswesens“ und 1976-1980 mit dem Themenkomplex „Erprobung in der Basisversorgung und Aufbau einer spezialisierten Psychotherapie“. Aus diesen Projekten geht unter anderem das „Abgestufte System der Diagnostik und Therapie neurotisch-funktioneller Störungen und Krankheiten“ von Kurt Höck und Werner König hervor, welches ein Netz psychotherapeutisch geschulter Ärzte zur Verbesserung der ambulanten Psychotherapieversorgung vorsieht. Weitere Untersuchungen im Gesamtgefüge der Therapie widmen sich der Kompatibilität verschiedener psychotherapeutischer Verfahren und therapieergänzender Elemente wie der Musik- oder Arbeitstherapie.
Mit der fortschreitenden Etablierung der IDG entwickelt sich die psychotherapeutische Abteilung am Haus der Gesundheit zunehmend zu einem Ausbildungszentrum für Psychotherapeuten. Ab 1971 werden hier auf Grundlage der IDG durch Kurt Höck, Jürgen Ott und Hubert Urban zunächst Selbsterfahrungs- und Trainerseminare angeboten, ab 1974 dann auch eine erste systematische Ausbildungskommunität mit dreijähriger Ausbildung.
Weiterhin wird am Haus der Gesundheit an der Entwicklung neuer psychologischer Test- und Screeningverfahren gearbeitet, woraus unter anderem der Lebenslauf-Umwelt-Fragebogen (LUF) von Kurt Höck und Ehrig Wartegg (unveröffentlicht), der Beschwerdefragebogen (BFB) sowie der Verhaltensfragebogen (VFB) von Kurt Höck und Helga Hess (1975/76) hervorgehen. Im Jahr 1980 wird die Abteilung in „Institut für Psychotherapie und Neurosenforschung“ umbenannt. Im anschließenden Jahrzehnt liegt der Forschungsschwerpunkt der Abteilung auf der Gruppenpsychotherapieforschung und der Beachtung der therapeutischen Gemeinschaft.
Nach Kurt Höck übernimmt Christoph Seidler 1986 die Leitung des Institutes, welches bis 1991 besteht. Höck lässt sich daraufhin mit einigen Kollegen in der Berliner Invalidenstraße nieder und gründet ein Ausbildungsinstitut (APB), das in Teilen eine Fortsetzung des nun geschlossenen Institutes darstellt. Nachdem das Gebäude 2016 an eine Münchener Investorengruppe verkauft wird, ist das Haus der Gesundheit ab 2020 keine Gesundheitseinrichtung mehr; ein neues Nutzungskonzept ist bisher nicht vorgestellt worden.
Gründungsdaten
- 01.10.1949: Haus der Gesundheit (HdG)
- 1949: Eröffnung „Abteilung für Psychotherapie und Neurosenforschung“ als psychologische Beratungsstelle
- 1964: Eröffnung „Neurosenklinik Berlin-Hirschgarten“ als stationärer Behandlungsstandort des HdG
- 1991: Schließung des „Institut für Psychotherapie und Neurosenforschung“ und anschließende Privatisierung, Übernahme des Gebäudes durch AOK Berlin, Nutzung als Verwaltungs- und Praxisgebäude mit über 20 Arztpraxen
- 2016: Verkauf des Gebäudes an Münchener Investorengruppe
- Seit Juni 2020: leerstehend



Quellen und Literatur
Hess, H. (2011a). Psychotherapeutische Forschung im Haus der Gesundheit – Probleme, Anfänge und Entwicklung in den 1960er Jahren. In: M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 172-176. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Hess, H. (2011b). Die Herausbildung eines Institutes für Psychotherapie und Neurosenforschung (IfPN) mit Integration der Ambulanz, Klinik und Forschung. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 369-378. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Hess, H., Müller, A., Schwarz, E. & Tscharntke, G. (2011). Die Kinderpsychotherapie im Haus der Gesundheit (HdG) Berlin – Ein nahezu vergessenes Juwel. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 225-228. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.
Kruska, W. (2011). Haus der Gesundheit (HdG) Ostberlin und Klinik Hirschgarten (Higa). In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995, S. 112–114. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Sommer, P. (1997). Kurt Höck und die psychotherapeutische Abteilung am „Haus der Gesundheit“ in Berlin – institutionelle und zeitgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Gruppenpsychotherapie in der DDR. Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, 33(2), S. 130–147.