Die Abteilung
Gesundheitspolitik im ZK der SED

Kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1946 richtete die SED beim Parteivorstand eine Abteilung für das Gesundheitswesen ein. In den folgenden Jahren gab es mehrere Umstrukturierungen, bei denen das Gesundheitswesen mit anderen Ressorts innerhalb des Parteiapparats zusammengelegt wurde. Erst 1959 wurde die eigenständige Abteilung Gesundheitspolitik im ZK der SED geschaffen. Sie vereinte die Bereiche Gesundheitsschutz, medizinische Wissenschaft und Ausbildung. Leiter der Abteilung waren Hans Horst (1946), Hugo Gräf (1946-1949), Fritz Schellhorn (1953-1956), Fritz Rettmann (1957-1959), Werner Hering (1960-1981) und Karl Seidel (1981-1989). Zuständig seitens der Parteiführung waren  die Sekretäre des Parteivorstandes bzw. des Zentralkomitees, etwa Paul Verner (ab 1958) und ab 1967 Kurt Hager. Der SED-Chefideologe Hager, der zu dieser Zeit bereits dem Politbüros angehörte, war zugleich für Kulturfragen verantwortlich, blieb bis 1989 der zuständige SED-Sekretär für die Gesundheitspolitik. Die Abteilung Gesundheitspolitik war zuständig für alle SED-Beschlussvorlagen zum Gesundheitswesen und überwachte deren Umsetzung. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die personelle Auswahl von Verantwortlichen im Gesundheitswesen und die politisch-ideologische Einflussnahme auf Personal und Einrichtungen. Sie koordinierte die Zusammenarbeit zwischen SED, verschiedenen beratenden Ärztegremien und dem DDR-Gesundheitsministerium. Als gesundheitspolitisches Machtzentrum innerhalb der DDR waren die Verantwortlichen der Abteilung laufend über die Situation im DDR-Gesundheitswesen informiert.

Wir sind die letzte Instanz, die Parteiführung verlässt sich auf uns.

Karl Seidel über die Arbeit der Abteilung Gesundheitspolitik im ZK der SED, 28.11.1986

Karl Seidel und das MfS

Wie eng die DDR-Staatssicherheit mit Verantwortlichen der Gesundheitspolitik zusammenarbeitete, lässt sich gut am Beispiel von Karl Seidel nachweisen. Seidel diente dem MfS als inoffizieller Mitarbeiter von 1967 bis 1978 unter dem Decknamen „Fritz Steiner“. Doch bereits vor seiner Anwerbung als Spitzel kooperierte Seidel während seiner ärztlichen Tätigkeit in Dresden mit der Geheimpolizei. So fertigte er beispielsweise forensisch-psychiatrische Gutachten an. Das MfS lobte ihn sowohl für seine Arbeitsweise, seine Zuverlässigkeit als auch seine Umgangsformen. Hintergrund der folgenden Anwerbung als Inoffizieller Mitarbeiter war seine absehbare Karriereentwicklung. So sollte Seidel eine höhere Leitungsposition an der Medizinischen Akademie in Dresden übernehmen. Das MfS erhoffte sich durch ihn eine Einflussnahme auf den universitären Betrieb. Mit Seidels Wechsel an die Charité und der Übernahme des Lehrstuhls übernahmen die MfS-Genossen der Ostberliner Hauptabteilung XX die Führung des IMs. In einer Einschätzung von 1978 fasst das MfS zusammen: Seidel habe „wertvolle operative Informationen“ geliefert und einen „wesentlichen Beitrag zur Aufdeckung und Zurückdrängung feindlicher ideologischer Angriffe gegen die UdSSR wegen des angeblichen Missbrauchs der Psychiatrie“ geleistet. Im selben Jahr erhielt er die Verdienstmedaille der NVA in Gold. Mit Seidels Aufstieg im SED-Parteiapparat beendete das MfS – wie in solchen Fällen üblich – die inoffizielle Zusammenarbeit. Die umfangreichen Akten lassen keinen Zweifel daran, dass Seidel in den Jahren seiner Funktion als Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik sehr eng mit der für das DDR-Gesundheitswesen zuständigen MfS-Abteilung kooperierte. Gegen Ende der 1980er Jahre leitete die Staatssicherheit Ermittlungen gegen Seidel ein. Massive Korruptionsvorwürfe wurden in der Wendezeit bekannt.

In den 1980er Jahren fehlten Milliarden im DDR-Gesundheitswesen. Die Finanzzuweisungen innerhalb der Fünfjahrpläne waren zu niedrig, die Versorgungsdefizite bei der Gesundheitsbetreuung nahmen permanent zu. Schreiben Karl Seidels an den zuständigen ZK-Sekretär Kurt Hager vom 14.02.1985. Darin bittet Seidel, dass Kurt Hager auf höchster Politbüro-Ebene bei Günter Mittag mehr Geld einfordert. (BArch, DY 30/26367/Erices)

Karl Seidel […] verlor zunehmend das Interesse an der Arbeit. Er war immer seltener anwesend und beschäftigte sich mit verschiedenen, rein privaten Dingen.

Christian Münter, 2010, einst stellv. Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik über Seidel; unveröffentlichtes Manuskript „Mein Leben – Erinnerungen und Gedanken“, S. 131

Quellen und Literatur

BArch, B 515/152.

BArch, DY 30/101287.

BArch, DY 30/26367.

Erices, R. (2023). „Offensive der politisch-ideologischen Arbeit“ als Rettungsanker? Herausforderungen in der DDR-Gesundheitspolitik der achtziger Jahre. In E. Kumbier & K. Haack (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte (Bd. 28, S. 43–58). be.bra wissenschaft verlag.

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