
Psychotherapieverfahren der DDR –
Gesprächspsychotherapie
Begründer und Hauptvertreter in der DDR
Die Einführung und Entwicklung der Gesprächspsychotherapie in der DDR geht auf den Psychologen Johannes Helm (*1927) zurück. Helm gründet an der Humboldt-Universität Berlin 1968 eine Forschungs- und Arbeitsgruppe zur Gesprächspsychotherapie, die nach seinem Ausscheiden durch seine ehemalige Studentin und spätere Mitarbeiterin Inge Frohburg (*1937) weitergeführt wird.
Zeitliche Einordnung
Die Ursprünge der Gesprächspsychotherapie liegen in den USA, wo der Psychotherapeut Carl Rogers in den 1940er und 1950er Jahren an einer „nicht-direktiven“, später als „klientenzentriert“ bezeichneten Psychotherapie arbeitet. In den 1960er Jahren führt der Psychologe Reinhard Tausch gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Psychologin Annemarie Tausch, das Verfahren in der BRD an der Universität Hamburg unter dem Namen „Gesprächspsychotherapie“ ein. In der DDR gründet Johannes Helm an der Humboldt Universität zu Berlin 1968 eine Arbeits- und Forschungsgruppe zur Gesprächspsychotherapie. In der Arbeitsgruppe werden theoretische Grundlagen und gesprächstherapeutische Basiskompetenzen erarbeitet.
Bereits 1969 werden in der Ambulanz der Sektion Klinische Psychologie an der HU erstmals Patient:innen gesprächspsychotherapeutisch behandelt. Gleichzeitig werden gesprächstherapeutische Grundlagen in die universitäre und postgraduale Lehre eingebunden.
1971 wird ein Grundkonzept zur Ausbildung in Gesprächstherapie verschriftlicht. Eine gesprächstherapeutische Ausbildung wird im Studiengang Klinische Psychologie und in der postgradualen psychotherapeutischen Weiterbildung obligatorisch, von unterschiedlichen Institutionen werden außerdem gesprächstherapeutische Aus- und Weiterbildungskurse angeboten.
In den 1970er Jahren entstehen zudem verschiedene Forschungsarbeiten zur Gesprächspsychotherapie, unter anderem die Habilitationsschrift von Helm im Jahr 1978. 1974 wird eine Arbeitsgruppe zur Gesprächspsychotherapie in der Gesellschaft für Psychologie der DDR etabliert. Ab 1981 gibt es eine entsprechende Sektion auch in der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie der DDR (GÄP).
Nach der Wende treten viele ostdeutsche Gesprächspsychotherapeut:innen der in Westdeutschland gegründeten Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG) bei.
Kurzbeschreibung des Verfahrens
Das im Deutschen als Gesprächspsychotherapie bezeichnete Verfahren hat seinen Ursprung in der von Carl Rogers Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelten nicht-direkten bzw. klientenzentrierten Psychotherapie. Rogers entwickelt die nicht-direkte Psychotherapie in Abgrenzung zu psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Verfahren. Er geht dabei von einem existenzphilosophischen statt einem triebtheoretischen Menschenbild aus und beschreibt den Menschen als intrinsisch entwicklungsmotiviertes Wesen mit Bewusstsein über das eigene Selbst. Diesem Konzept liegt ein humanistischer Ansatz zugrunde. Rogers konzipiert die non-direktive Psychotherapie von einem phänomenologisch-existenziellen Standpunkt aus und nimmt dabei Bezug auf verschiedene (Existenz-)Philosophen wie Søren Kierkegaard oder Martin Buber. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht der Mensch und die therapeutische Beziehung und nicht die Behandlung spezifischer Symptome.
Die Gesprächspsychotherapie der DDR basiert grundsätzlich auf dem von Rogers entwickelten Konzept und dessen Weiterentwicklungen insbesondere durch die Psychotherapeuten Charles B. Truax und Robert Carkhuff sowie durch das Psychologen-Ehepaar Reinhard und Annemarie Tausch. Dennoch sind einige Abwandlungen wie die Forderung nach einer stärkeren Orientierung auf gesellschaftlich-ökonomische Bedingungen und den sozialen Überbau zu finden. Außerdem werden psychoanalytisch entlehnte Konstrukte wie unbewusste Erfahrungen oder Abwehrmechanismen, die bei Rogers zu finden sind, vor dem Hintergrund einer schlechten Nachweisbarkeit kritisiert.
Quellen und Literatur
Eckert, J. (2007). Gesprächspsychotherapie. In C. Reimer, J. Eckert, M. Hautzinger & E. Wilke. Psychotherapie, Aufl. 3, S. 233 – 287. Springer. 10.1007/978-3-540-29988-2_11
Frohburg, I. (2011a). Gesprächspsychotherapie I: Die universitären Gründerjahre. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.292-307. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Frohburg, I. (2011b). Gesprächspsychotherapie II: Bewährung in der klinischen Praxis. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.496-507. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Frohburg, I. (2011c). Gesprächspsychotherapie III: Zurück in die Zukunft .In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.772-781. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Helm, J. (1978). Gesprächspsychotherapie. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften.