Prof. Dr. sc. med. Karl Seidel

Prof. Dr. sc. med. Karl Seidel *1930

Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Lehrstuhlinhaber Charité, Gesundheitspolitiker

Psychiatrieprofessor an der Spitze der DDR-Gesundheitspolitik

Als Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik des Zentralkomitees der SED war Karl Seidel in den 1980er Jahren einer der Hauptverantwortlichen für das DDR-Gesundheitswesen. Obwohl Seidel bereits früh in die SED eingetreten war, hatte er nicht die typische Laufbahn anderer Parteifunktionäre durchlaufen. Er studierte Medizin in Leipzig, wurde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, übernahm schnell leitende klinische Positionen und wurde Anfang der 1970er Jahre als Professor auf den entsprechenden Lehrstuhl an der Humboldt-Universität zu Berlin berufen. Viele Jahre arbeitete er für das MfS – sowohl offiziell als psychiatrischer Gutachter als auch als Inoffizieller Mitarbeiter. Die Staatssicherheit hielt in den 1980er Jahren engen Kontakt zu Seidel und lobte unter anderem, wie er es verstand, Vorwürfe über den psychiatrischen Machtmissbrauch in der Sowjetunion als westliche Propaganda darzustellen und dadurch zu relativieren Als mächtiger SED-Gesundheitspolitiker gelang es Seidel nicht, den Verfall und die Misere im DDR-Gesundheitswesen zu stoppen. Er setzte vor allem auf Ideologie. Im Herbst 1989 wurden massive Korruptionsvorwürfe gegen ihn öffentlich.

Für unerträglich wird jedoch gehalten, dass einfachste Verbrauchsmaterialien nicht ausreichend zur Verfügung stehen. […] Alle bisherigen Anstrengungen unserer Abteilung haben zu keiner grundlegenden Verbesserung geführt.

Seidel an Politbüromitglied Kurt Hager am 30.11.1987 angesichts der „sehr ernsten Lage“ bei der Versorgung im DDR-Gesundheitswesen (BArch, DY 30/101259.)

Porträt

193018. Dezember in Nürnberg geboren, aufgewachsen in Döbeln/Sachsen
1947Mitglied SED, Parteisekretär verschiedener Grundorganisationen
1949 – 1950Krankenpfleger Hochweitzschen
1950 – 1957Medizinstudium und Praktisches Jahr (PJ) Karl-Marx-Universität Leipzig (KMU)
1957 – 1963Facharztausbildung Neurologie und Psychiatrie, Oberarzt KMU Leipzig
1961 – 1963Mitglied ständige Kommission Gesundheitswesen beim Bezirkstag Leipzig
1963 – 1971Oberarzt Neurologisch-Psychiatrische Klinik der Medizinischen Akademie Dresden (MAD)
1967 – 1978Inoffizielle Tätigkeit für das MfS als IMS „Fritz Steiner“
1971 – 1978Professor und Lehrstuhlinhaber für Neurologie und Psychiatrie an der Humboldt-Universität Berlin und Direktor der Nervenklinik der Charité
1978 – 1981Stellvertretender Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik des ZK der SED
1981 – 1989Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik des ZK der SED

Auszug aus der MfS-Spitzelakte von Karl Seidel aus dem Jahr 1973. Seidel wurde als leitender Arzt in Dresden angeworben und später von den Genossen in Berlin übernommen. Bis 1989 hatte Seidel nachweislich umfangreiche Kontakte zur Staatssicherheit. Die Berichte zu den Treffs mit dem Abteilungsleiter der zuständigen Hauptabteilung XX, dem MfS-Offizier Eberhard Jaekel, geben ein gutes Abbild der Gesundheitspolitik der DDR in den 1980er Jahren. Im Herbst 1989 geriet Seidel selbst ins Visier des MfS wegen des Verdachts der Korruption. Das MfS sammelte umfangreich Beweismaterial wegen des Verdachts, dass Seidel während seiner Amtszeit als ZK-Abteilungsleiter u.a. Computer aus dem Westen einschmuggelte, um sie in der DDR zu verkaufen. (BArch, MfS, Sonderablage Leiter, 13788/83 ASB, Bd. 1, Bl. 132 /Erices)

Auswahl Publikationen

Seidel, K. (1967). Der Suicid im höheren Lebensalter unter sozialpsychiatrischem Aspekt [Habilitation].

Höck, K., & Seidel, K. (1976). Psychotherapie und Gesellschaft. Deutscher Verlag der Wissenschaften.

Schott, G., & Seidel, K. (1982). Psychopharmakotherapie. Verlag Volk und Gesundheit.

Seidel, K., Büttner, L., & Köhler, C. (Hrsg.). (1985). Im Dienst am Menschen: Erinnerungen an den Aufbau des neuen Gesundheitswesens 1945–1949 (Bd. 1). Dietz.

Neumann, J., Grünes, J. U., & Seidel, K. (1986). Leitfaden der psychiatrischen Untersuchung. Thieme.

Seidel, K., Schulze, H. A. F., Göllnitz, G., & Szewczyk, H. (1989). Neurologie und Psychiatrie einschließlich Kinderneuropsychiatrie und gerichtliche Psychiatrie: Lehrbuch für Studenten (4. Aufl.). Verlag Volk und Gesundheit.

Schulze, H. A. F., & Seidel, K. (Hrsg.). (1990). Diagnostische und therapeutische Indikationen in der Nervenheilkunde (2., überarb. Aufl.). Hirzel.

Quellen und Literatur

BArch, DY 30/58393.

BArch, DY 30/58919.

BArch, DY 30/101287.

BArch, DY 30/101259.

BArch, MfS, AIM 13788/83, IMS „Fritz Steiner“.

Erices, R. (2023). „Offensive der politisch-ideologischen Arbeit“ als Rettungsanker? Herausforderungen in der DDR-Gesundheitspolitik der achtziger Jahre. In E. Kumbier & K. Haack (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte (Bd. 28, S. 43–58). be.bra wissenschaft verlag.

Süß, S. (1998). Politisch missbraucht? Psychiatrie und Staatssicherheit in der DDR (1. Aufl.). Ch. Links Verlag.

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