
Schatten der Vergangenheit –
Johannes Suckow und die NS-„Euthanasie“
Johannes Suckow um 1966
In den 1980er Jahren warnt der Historiker Götz Aly vor möglichen NS-Verstrickungen prominenter Wissenschaftler in der DDR. Im Mittelpunkt steht Johannes Suckow, der von 1954 bis 1963 Leiter der neurologisch-psychiatrischen Klinik der Medizinischen Akademie Dresden (MAD) war. Er galt in der DDR als anerkannter Professor und Reformator der Psychiatrie.
Erste Hinweise und Untersuchungen
Im Jahr 1985 veröffentlichte Aly, dass Suckow im Jahr 1942/43 an der Heidelberger Forschungsstelle „Wiesloch“ tätig war, die im Zusammenhang mit der NS-„Euthanasie“ stand. Der Vorwurf: Suckow habe sich dort als Assistenzarzt beteiligt an Forschungen mit psychisch Kranken, die später gezielt getötet und deren Körper für weitere Forschungen genutzt wurden. Diese Annahme wurde jedoch zunächst von den DDR-Behörden nicht öffentlich bestätigt. Erst 2006 wurden lediglich wenige Dokumente gefunden, die auf eine kurze Beschäftigungszeit Suckows in Heidelberg hinweisen, jedoch keinen Beweis für eine strafrechtliche Verwicklung.

Der Umgang mit den Gerüchten
Die DDR-Behörden versuchten, die Vergangenheit ihres angesehenen Mediziners zu verschleiern. Es gab keine offiziellen Untersuchungen, kein strafrechtliches Verfahren gegen Suckow. Der Rektor der MAD ordnete an, keine öffentlichen Stellungnahmen zum Thema abzugeben. Das damalige Forschungs- und Lehrpersonal wurde zum Stillschweigen verpflichtet.
Wissenschaftliche Karriere und Stellung in der DDR
Trotz der Gerüchte galt Suckow in der DDR als „korrekt, gewissenhaft und menschlich“, wie sein Amtsnachfolger Ehrig Lange beschrieb. Er wurde 1954 Professor für Psychiatrie und Neurologie in Dresden, gründete dort die Klinik für Psychiatrie und Neurologie und entwickelte diese zu einer bedeutenden Forschungseinrichtung. In den 1950er Jahren wurde Suckow habilitiert. Trotz unbeantworteter Fragen blieb er bis zu seinem Tod 1994 hochgeehrt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. So erhielt er etwa 1962 den hochangesehenen Rudolf Virchow-Preis zur Förderung der medizinischen Wissenschaft.
Biografie und Lebensweg
Johannes Suckow wurde 1896 in Stargard/Hinterpommern geboren. Als Soldat im Ersten Weltkrieg kämpfte er an der Ostfront, wurde verwundet und absolvierte seine medizinische Ausbildung in Berlin, München, Leipzig und bei bekannten Psychiatern wie Emil Kraepelin und Karl Bonhoeffer. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst an der Charité in Berlin, mit teilweise zögerlichen Ansichten zur Eugenik. Ab 1934 wurde er Leiter in Leipzig-Dösen, war dort in den 1930er Jahren in nationalsozialistische Organisationsstrukturen eingebunden, etwa in den NS-Dozentenverband. Im Zweiten Weltkrieg diente Suckow im Rahmen des Wehrdienstes als Truppenarzt und in Lazaretten an der Ostfront. Bereits während des Krieges wurde er im Jahr 1942 in Wiesloch für die geplante Forschungsabteilung (Abb. 1) rekrutiert, die eng mit der NS-„Euthanasie“ verbunden war. Suckow war dort für kurze Zeit als außerplanmäßiger Assistenzarzt tätig; die Abteilung wurde im März 1943 geschlossen. Die meisten dort untersuchten Patientinnen und Patienten wurden in andere Anstalten verlegt.

Nachkriegszeit und Weiterarbeit
Nach dem Krieg kehrte Suckow 1945 nach Leipzig zurück und wurde zunächst von den sowjetischen Behörden bestätigt. Bald konnte er seine Lehr- und Forschungstätigkeit wieder aufnehmen und in der DDR eine Karriere starten. Seine Mitgliedschaft im NS-Opferring von 1933 bis 1939 wurde später verschwiegen. Er verschleierte auch die Beteiligung an den nationalsozialistischen Forschungsprojekten, um seine Karriere nicht zu gefährden.
Einschätzung seiner Rolle
Suckow war in die NS-Verbrechen höchstwahrscheinlich involviert, arbeitete in der Heidelberger Forschungsstelle in einem Projekt mit, das mit der Tötung von psychisch Kranken im Zusammenhang stand. Trotz dieser möglichen Verstrickung wurde er in der DDR lange Zeit als eine Persönlichkeit hochgeachtet und als Reformator der Psychiatrie angesehen. Erst später, im Zuge kritischer Aufarbeitungen, wurden seine Aktivitäten im Nationalsozialismus genauer hinterfragt. Seine Verantwortlichkeit konnte nie abschließend juristisch geklärt werden. Die wenigen vorhandenen Dokumente deuten darauf hin, dass er nur kurzzeitig, höchstens viereinhalb Monate, in Wiesloch tätig war und keine direkten Tötungsbefehle erhielt. Die historischen Fakten erfordern eine differenzierte Betrachtung, die auch die moralischen und politischen Zusammenhänge nicht außer Acht lässt.
Weiterführende Literatur
Lange, Ehrig: Neurologie – Psychiatrie in Dresden von E. Kraepelin über S. Ganser bis J. Suckow, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 39 (1), 1987, S. 55–59.
Parnitzke, Karl Herbert: Professor em. Johannes Suckow zum 90. Geburtstag, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 38 (9), 1986, S. 556–557.
Lienert, Marina: Deutsche Psychiatrie im 20. Jahrhundert: Der Lebensweg des Psychiaters Johannes Suckow (1896-1994), in: Sudhoffs Archiv 84 (1), 2000, S. 1–18.