
Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie
Berlin-Lichtenberg
Psychotherapie-Abteilung
Die Psychotherapie-Abteilung des Fachkrankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg wird 1972 eröffnet und behandelt Patienten sowohl voll- als auch teilstationär. Hierbei kommen insbesondere die Intendierte Dynamische Gruppentherapie (IDG), die sogenannte Kommunikationsbetreuung und Individualtherapie zum Einsatz. Die Klinik verfügt zudem über eine psychotherapeutische Ambulanz, in der Patienten mit Gesprächspsychotherapie, Autogenem Training und Ehepaartherapie behandelt werden. Das Klinikgelände verfügt über einen eigenen Gutshof, der bis 1965 die Selbstversorgung der Klinik sichert und zugleich die Durchführung der Arbeitstherapie ermöglicht, die an diesem Standort lange als überwiegende Behandlungsmethode zum Einsatz kommt.
Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
Mit der Eröffnung der Klinik als „Irrenanstalt Herzberge“ im Jahr 1893 werden Patienten im Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg nach Geschlechtern getrennt in jeweils vier Gruppen beziehungsweise Abteilungen untergebracht. Es gibt zwei Aufnahmehäuser für jeweils 100 kürzlich aufgenommene Patienten, die nach einer kurzen Beobachtungszeit in eines der anderen Häuser verlegt werden. Die beiden „Überwachungshäuser“ sind fest gesicherte Stationen für jeweils 50 Patienten, die als „gemeingefährlich“ eingestuft sind und im höheren Umfang beaufsichtigt werden. Zwei Pflegehäuser stehen für jeweils 170 Patienten zur Verfügung, die unter behandlungsbedürftigen körperlichen Erkrankungen leiden. Zwei offene Häuser wiederum sind für je 100 Patienten vorgesehen, die als „ruhig“ gelten. Zudem gibt es zwei Landhäuser, in denen insgesamt 164 Patienten ohne jegliche Sicherung unterkommen, um eine selbstständigere Lebensführung als in den geschlossenen Häusern zu ermöglichen. Insgesamt verfügt das Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg damit über eine Kapazität von mehr als 1.000 Betten. Bis 1965 erfolgt die Behandlung hier größtenteils durch Arbeits- bzw. Beschäftigungstherapie, die neben der Genesung der Patienten auch der Selbstversorgung und der finanziellen Absicherung der Klinik dient.
Die Psychotherapie-Abteilung der Klinik wird 1972 unter der Leitung von Dr. med. Monika Haas eröffnet und verfügt über eine Kapazität von 20 Betten und 10 tagesstationären Behandlungsplätzen. Die vollstationären Patienten werden überwiegend mit der Intendierten Dynamischen Gruppentherapie (IDG) in geschlossenen Gruppen sowie mit Kommunikationsbetreuung behandelt. Für die Behandlung der tagesstationären Patienten werden Individualtherapie und offene, dynamische Gesprächsgruppen angeboten.
Zusätzlich zur voll- und teilstationären Therapie wird schließlich eine psychotherapeutische Ambulanz unter der Leitung von Krista Schmidt eröffnet, die mit 2.540 Konsultationen und 720 Neuzugängen pro Jahr ambulante Psychotherapie bereitstellt. Die hier angewendeten psychotherapeutischen Methoden sind Gesprächspsychotherapie im Einzel- und Gruppenformat, Autogenes Training und Ehepaartherapie.
Für die Freizeitgestaltung der Patienten gibt es auf dem Klinikgelände ein Badehaus, eine Kegelbahn, einen Billardtisch sowie Schach und Domino. Zusätzlich gibt es vor Ort ein Handwerkerhaus und ein Wirtschaftshaus, die bis 1965 insbesondere im Rahmen der Arbeitstherapie genutzt werden.
Forschung und Lehre
Die psychotherapeutische Forschung am Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg widmet sich unter anderem der Diagnostik und der Prognostik von Therapieerfolg und -abbruch bei verschiedenen Störungsbildern und Therapiemöglichkeiten. 1987 widmet sich die Autorin Barbara Franz und der Autor Achim Thom in einer Veröffentlichung der Theorie und Praxis der Verhaltenstherapie und üben darin aus marxistisch-leninistischer Sicht Kritik an Methoden wie der kommunikativen Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie und dynamischer Gruppenpsychotherapie.
Entwicklung des Standorts
Das Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg geht auf die „Irrenanstalt Herzberge“ zurück, die 1893 für etwa 1050 männliche und weibliche Patienten errichtet wird. Hier werden psychisch erkrankte Menschen behandelt, teilweise in Verbindung mit „Epilepsie, Lähmungen, Intelligenzminderungen und chronischem Alkoholmissbrauch“. Die Klinik wird bis 1965 als selbstversorgender Gutshof geführt und verfügt über landwirtschaftliche Flächen zum Anbau von Obst, Gemüse, Kartoffeln und Getreide sowie über eine Schweinemast und weitere Nutztiere wie Kühe, Schafe, Pferde, Zugochsen, Hühner, Gänse und Enten. Zudem gibt es eine Korbflechterei und ein Handwerkerhaus für Tischler-, Maler-, Schuhmacher-, Schneider-, Bürstenmacher- und weitere Arbeiten, sowie ein Wirtschaftshaus mit Wäscherei, Küche und einem Eisturm zur Kühlung von Lebensmitteln.
Die Therapie besteht bis 1965 aus Arbeits- bzw. Beschäftigungstherapie, das heißt der Übernahme von Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen des Gutshofes. Sie dient damit zugleich der Genesung und der Versorgung der Patienten. Zudem werden durch die Beschäftigungsarbeiten vergleichsweise hohe Erträge erwirtschaftet (z.B. 53.051 Mark im Jahr 1912), die der Klinik als finanzielle Stütze dienen. Ab 1911 richtete die „Irrenanstalt“ ein „Fürsorgeamt“ beziehungsweise ab 1912 die „Beiratsstelle für entlassene Geisteskranke“ ein, wodurch entlassene Patienten nachbetreut und beispielsweise bei der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle unterstützt werden können. 1925 wird die Irrenanstalt in „Städtische Heil- und Pflegeanstalt Herzberge“ umbenannt.
In den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur ist die Heil- und Pflegeanstalt an der sogenannten „Euthanasie Aktion T4“ beteiligt, bei der die meisten Patienten in Vernichtungsanlagen deportiert und dort ermordet werden. Nur wenige können durch eine Entlassung nach Hause gerettet werden. In der Folge wird die Psychiatrie der Heil- und Pflegeanstalt im Jahr 1942 vollständig geschlossen, die Klinik in „Städtisches Krankenhaus Herzberge“ umbenannt und zur Behandlung von Kriegsopfern und Infektionskrankheiten genutzt. Auch nach Kriegsende 1945 wird die Klinik zunächst als Allgemeinkrankenhaus weitergeführt, bis 1950 die Psychiatrie wiedereröffnet wird. 1956 folgt die Eröffnung einer Abteilung für Kinderpsychiatrie. Die erneute Schwerpunktlegung der Klinik auf die Psychiatrie wird 1971 mit der Umbenennung in „Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie“ manifestiert.
Nach dem Mauerfall wird das Fachkrankenhaus mit dem Evangelischen Diakoniewerk Königin Elisabeth zusammengeführt und heißt seither „Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge“ mit 15 Fachbereichen, darunter auch Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Erwachsenen-, Kindes- und Jugendalters.
Quellen und Literatur
Ehle, G. (2011). Psychotherapie in der Psychiatrie. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 586-591. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge. (o. D.-a). Über uns. keh-berlin.de. Abgerufen am 7. Oktober 2024, von https://www.keh-berlin.de/ueber-uns
Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (o. D.-b). Zur Geschichte des Krankenhauses. In keh-berlin.de. Abgerufen am 7. Oktober 2024, von https://www.keh-berlin.de/fileadmin/Dateien/Downloads/%C3%9Cber_uns/KEH-Historie_Flyer_2018.pdf
Herbell, I. & Lehmann, J. (2017). Soziale Verantwortung wahrnehmen. Die Anfänge des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Mitte und in Lichtenberg.
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.
Walter, V. (1979). Herzberge—ein Kapitel Berliner Psychiatriegeschichte. Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie, 31(2), S. 108-113.