Psychotherapeutische Abteilung des St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee

Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting

Die gemischtgeschlechtliche psychotherapeutische Station wird im Jahr 1969 eröffnet. Mit einer Kapazität von 24 Betten können hier nachfolgend jährlich etwa 123 Patienten mit persönlichkeitszentrierter Psychotherapie mit dem Schwerpunkt von Gruppengesprächen und teilweise mit Verhaltenstherapie behandelt werden. Neben der stationären Psychotherapie werden etwa 760 ambulante Einzelkonsultationen durchgeführt, überdies gibt es eine ambulante Gruppe für Autogenes Training und zwei bis drei geschlossene ambulante Gruppen.

Ab Anfang der 1970er Jahre wird das Behandlungsprogramm um Therapiemethoden wie Musik-, Bewegungs-, Entspannungs-, und Lichttherapie ergänzt. Zudem wird die Klinik ab 1971 nach dem Prinzip der therapeutischen Gemeinschaft geführt. Wenn möglich werden Patienten im Rahmen der Arbeitstherapie für selbstversorgende Tätigkeiten auf dem Klinikgelände eingeteilt, beispielsweise in der Land- und Viehwirtschaft. Auch der angrenzende denkmalgeschützte Park vor dem Klinikgebäude wurde durch Mitarbeiter und Patienten der Klinik bewirtschaftet und gepflegt und dient als Erholungsanlage:

„Das St. Joseph mit seinen Außenanlagen war schon immer eine Ruheinsel inmitten der Stadt. Das haben mir auch viele Patienten bestätigt. (…) Zu DDR-Zeiten war das Gelände für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, heute sieht man dort häufig auch Menschen von außerhalb, die die Bäume bewundern oder einfach nur die Atmosphäre genießen.“

aus dem Interview mit dem ab 1975 angestellten Kurt Kastellan „Ruheinsel inmitten der Stadt“ der Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH, o.D.-d.

Entwicklung des Standorts

Das St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee wird 1893 als „Heilanstalt für gemüts- und nervenkranke Herren“ durch die Ordensgemeinschaft der Alexianerbrüder aus Neuss eröffnet. Zunächst werden hier Männer mit psychischen Erkrankungen, Alkohol- oder Morphinabhängigkeiten behandelt. Die Klinik liegt auf dem Gelände eines alten Bauernhofs und versorgt sich bis in die 1980er Jahre größtenteils durch eine eigene Land- und Viehwirtschaft selbst. Zu dieser gehören zwöf Hektar Land, ein Obstgarten, zwei Arbeitspferde, acht Milchkühe, 120 Mastschweine und ein großer Hühnerstall. Zudem gibt es bis 1975 jeweils eine eigene Gärtnerei, Schlachterei und Bäckerei.

Die Klinik wird 1932 auf 400 Betten erweitert, dient ab 1939 teilweise als Kriegslazarett und nimmt ab 1940 zeitweise auch lungenkranke Patienten auf. In der Zeit des deutschen Nationalsozialismus ist sie 1940 an der sogenannten „T4-Aktion“ beteiligt, bei der etwa 280 Patientinnen und Patienten aus der Heilanstalt in Vernichtungsanlagen deportiert und ermordet werden.

1946 wird erstmals eine psychiatrische Frauenstation eröffnet. Im gleichen Jahr finden die Ordensschwestern „Mägde Mariens“ nach ihrer Vertreibung aus Schlesien im St. Joseph-Krankenhaus eine neue Heimat und übernehmen fortan wichtige Aufgaben in der Krankenpflege, Verwaltungstätigkeiten, pädagogische Aufgaben sowie kirchliche Dienste. Im Jahr 1961 kann der Fortbestand der katholischen Fachklinik nur durch Anraten des Berliner Bischofs und späteren Kardinals Alfred Bengsch gesichert werden. In diesem Zuge übertragen ihm die Alexianerbrüder die Leitung der Klinik, sodass diese als einzige katholische psychiatrische Klinik die gesamte DDR überdauern kann. Die fehlende Unterstützungsbereitschaft der SED-Regierung hat zur Folge, dass es über einen geringen „Basislohn“ hinaus keine finanzielle Entlohnung der Mitarbeiterschaft gibt und zu DDR-Zeiten ein ständiger Personalmangel herrscht.

Aufgrund des Personalmangels übernehmen einige der sogenannten „chronischen Dauerpatienten“ ab den 1970er Jahren im Rahmen der sozialtherapeutischen Gemeinschaft verschiedene Aufgaben und Dienste in der klinikeigenen Land- und Viehwirtschaft. Aufgrund der konfessionellen Trägerschaft, der relativen Unabhängigkeit der Klinik vom DDR-Regime und einer ursprünglichen „Westverbindung“ über den Alexianerorden aus Neuss gilt die Klinik als „Edelpsychiatrie“ und behandelt Patienten aus der gesamten DDR. Darüber hinaus dient die Klinik als eine Art Überbrückungsort für nicht-regimekonforme DDR-Bürger, die bereits einen Ausreiseantrag gestellt und in der Folge ein Berufsverbot erteilt bekommen haben und die Klinik während ihrer Wartezeit bis zur Ausreise durch ihre Mitarbeit unterstützen.

Nach 1989 geht die Leitung der Klinik wieder in die Ordensgemeinschaft der Alexianerbrüder über. In Zusammenarbeit mit dem neuen Geschäftsführer Reinhard Nieper werden bauliche Maßnahmen umgesetzt und die Klinik weiterentwickelt, sodass 1992 eine neue psychiatrische Institutsambulanz und eine neue Station für die Rehabilitation von Suchterkrankungen eröffnet werden können. Das St. Joseph Krankenhaus Berlin-Weißensee erhält daraufhin im Jahr 1997 den Pflichtversorgungsauftrag für den Stadtbezirk Prenzlauer Berg sowie ab 2001 den Pflichtversorgungsauftrag für den Großbezirk Pankow mit rund 340.000 Einwohnern. Auch heute besteht die Klinik noch unter dem Namen „Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee“ mit einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, einer Klinik für Neurologie, einigen Tageskliniken und dem „Alexianer Wohnverbund St. Monika“.

Quellen und Literatur

Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH. (o. D.-a). Chronik des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee. Alexianer Berlin-Weißensee. Abgerufen am 11. September 2024, von https://www.alexianer-berlin-weissensee.de/unternehmen/wir-ueber-uns/geschichte/chronik

Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH. (o. D.-b). Das St. Joseph Krankenhaus 1893 bis 2018 – eine wechselvolle Geschichte. Alexianer Berlin-Weißensee. Abgerufen am 11. September 2024, von https://www.alexianer-berlin-weissensee.de/fileadmin/user_upload/Berlin-Weissensee/AA_UEbersicht_Anlagen_SJKW/PDF_s/Geschichte/180726_Alexianer_Historie.pdf

Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH. (o. D.-c). Eine große Familie: Interview mit Hanna Pflug. Alexianer Berlin-Weißensee. Abgerufen am 11. September 2024, von https://www.alexianer-berlin-weissensee.de/fileadmin/user_upload/Berlin-Weissensee/AA_UEbersicht_Anlagen_SJKW/PDF_s/Geschichte/Interview-Frau_Pflug.pdf

Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH. (o. D.-d). Ruheinsel inmitten der Stadt: Interview mit Kurt Kastellan. Alexianer Berlin-Weißensee. Abgerufen am 11. September 2024, von https://www.alexianer-berlin-weissensee.de/fileadmin/user_upload/Berlin-Weissensee/AA_UEbersicht_Anlagen_SJKW/PDF_s/Geschichte/Interview_Hr._Kastellan.pdf

Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH. (o. D.-e). Wie die Gitter vor den Fenstern verschwanden: Interview mit Dr. Michael Schwanke. Alexianer Berlin-Weißensee. Abgerufen am 11. September 2024, von https://www.alexianer-berlin-weissensee.de/fileadmin/user_upload/Berlin-Weissensee/AA_UEbersicht_Anlagen_SJKW/PDF_s/Geschichte/Interview_Dr._Schwanke.pdf

Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.