Klinik für Psychiatrie
der Karl-Marx-Universität Leipzig

Frühe Geschichte und Bedeutung bis ins 20. Jahrhundert

Die psychiatrische Lehre an der Universität Leipzig lässt sich bis ins Jahr 1806 zurückverfolgen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelt sich die Klinik zu einer der größten psychiatrischen Einrichtungen im Deutschen Reich.

Zeit des Nationalsozialismus:
Verlegungen statt direkter Tötung

Während der Zeit des Nationalsozialismus werden keine Patientinnen und Patienten direkt in der Klinik getötet. Dennoch wissen die Beteiligten, dass die Verlegung chronisch Kranker in periphere Anstalten häufig einem Todesurteil gleichkommt.

Im Jahr 1943 wird die Psychiatrische und Nervenklinik bei einem Bombenangriff vollständig zerstört (Abb. 1). Die Patientinnen und Patienten müssen dezentral und notdürftig in verschiedenen Einrichtungen untergebracht werden.

Wiederaufbau nach 1945 unter Richard Arwed Pfeifer

1946 übernimmt der fast 70-jährige Richard Arwed Pfeifer den institutionellen Wiederaufbau der Klinik. Es gelingt ihm, die Polikliniken für Erwachsene und Kinder sowie zwei kinderneuropsychiatrische Abteilungen mit insgesamt 50 Betten wieder zu eröffnen.

Müller-Hegemann: Sozialpsychiatrie und „rationale Psychotherapie“

Im Jahr 1952 übernimmt Dietfried Müller-Hegemann zunächst kommissarisch das Direktorat und später auch den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie. Er steht für sozialpsychiatrische Ansätze und untersucht die Einflüsse der Umwelt auf psychische Erkrankungen.

Besondere Bekanntheit erlangt er durch das Konzept der „rationalen Psychotherapie“. Bereits 1953 entsteht unter seiner Leitung eine eigene Psychotherapieabteilung. Müller-Hegemann führt die Klinik bis 1964, tritt jedoch nach einem Zwischenfall mit Todesfolge sowie einem Konflikt mit der SED-Führung von seinen Ämtern zurück.

Strukturwandel unter Bernhard Schwarz

Nachfolger Müller-Hegemanns wird 1964 Wolfgang Wünscher, der stärker neurologisch orientiert ist. Im Zuge der Umstrukturierung wird 1968 die Klinik in drei Lehrstühle aufgeteilt:

  • Neurologie: Peter Feudell
  • Kinder- und Jugendneuropsychiatrie: Heinz Gebelt
  • Psychiatrie: Bernhard Schwarz (zugleich Leiter des Bezirkskrankenhauses Leipzig-Dösen)

Neue Therapiekonzepte und sozialpsychiatrische Innovationen

Bereits 1961 werden Gruppentherapien eingeführt. 1963 folgen die ersten Tagespatientinnen und -patienten. 1967 entsteht der erste therapeutische Club, und 1969 wird die geschlechtsspezifische Stationsbelegung aufgehoben – ein bedeutender Schritt zur Modernisierung der Versorgung.

Klaus Weise und die sozialpsychiatrische Wende

1973 wird Klaus Weise zum Ordinarius für Psychiatrie ernannt. Er setzt auf Patientenrechte und flache Hierarchien gemäß den Ansätzen der „Therapeutischen Gemeinschaft“. Weise und seine Mitarbeitenden forschen zum Themenkomplex der „psychonervalen Störungen“, einem vom Ministerium für Gesundheitswesen geförderten Projekt. Ziel ist die „Verbesserung der Versorgung gesundheitspolitisch relevanter Gruppen psychisch Erkrankter“.

Sektorisierung und Ausbau der Versorgung

1975 wird gemeinsam mit den Kliniken in Altscherbitz und Leipzig-Dösen die Sektorversorgung eingeführt. Die Universitätsklinik ist fortan für die psychiatrische Betreuung der sozial problematischen südlichen Stadtteile Leipzigs mit rund 110.000 erwachsenen Einwohnern zuständig.

Das Patientenprofil ändert sich deutlich. Es entsteht eine vielschichtige Versorgungsstruktur:

  • Ambulante Betreuung
  • Halbstationäre Angebote (Tages- und Nachtklinik)
  • Stationäre Behandlungen

Diese Ansätze werden konsequent umgesetzt, und die Universitätsklinik entwickelt sich zum Leuchtturmprojekt der psychiatrischen Versorgung in der DDR. Die Leipziger Klinik ist damit nach der Psychiatrie der Medizinischen Hochschule in Hannover die zweite universitäre Einrichtung in Deutschland, die die Versorgungsverpflichtung für ein definiertes Areal (Stadtbezirk Leipzig-Süd) übernimmt.

Neuer Klinikbau und Integration in das somatische Krankenhaus

1984 wird ein neues Bettenhaus fertiggestellt (Abb. 2). Die 5. und 6. Etage beherbergen psychiatrische Abteilungen innerhalb eines somatischen Krankenhauses – ganz im Sinne der Rodewischer Thesen, die eine Integration psychisch Kranker in das allgemeine Gesundheitswesen fordern.

Wendezeit und Fortführung der Sektorversorgung

Nach der politischen Wende 1989/90 wird die sektorisierte Versorgung zunächst aus administrativen Gründen eingestellt. Klaus Weise bleibt Klinikdirektor bis 1993.

Nach umfangreichen Sanierungen und Erweiterungen wird die Sektorversorgung erneut aufgenommen und fortgeführt – ein Schritt hin zur Kontinuität und Modernisierung in der psychiatrischen Versorgung.

Quellen

Steinberg, Holger: Die Psychiatrische Klinik der Universität Leipzig von 1920 bis 1995, in: Angermeyer, Matthias C.; Steinberg, Holger (Hg.): 200 Jahre Psychiatrie an der Universität Leipzig, Berlin/Heidelberg 2005, S. 245–262.

Bildlegenden:

1: Zerstörtes Gebäude der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Leipzig im Dezember 1943, Quelle: Karl-Sudhoff-Institut –Bildersammlung, Universität Leipzig

2: Das neue Bettenhaus an der Universitätsklinik Leipzig 1984, Quelle: BArch, Bild 183-1984-1127-006.

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