
Gesetz über die Einweisung
in stationäre Einrichtungen für psychisch Kranke
Eine Gesetzgebung für die Psychiatrie wurde in der DDR 1968 umgesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt basierte die Regelung der Zwangsunterbringungen psychisch Kranker auf dem preußischen Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 (§§ 14, 15). Das Einweisungsgesetz trat am 1. Juli 1968 in Kraft und entsprach in seiner grundsätzlichen Konzeption der Festlegung in Artikel 35 der Verfassung der DDR, wonach jeder Bürger das Recht auf Schutz seiner Gesundheit und seiner Arbeitskraft hat. das Gesetz betonte die Balance zwischen dem Schutz der Gesellschaft und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen, wobei in der DDR das Recht auf Schutz der öffentlichen Ordnung im Vordergrund stand.
Beginn der Kontroverse und erste Diskussionen
Das Gesetz über die Einweisung psychisch Kranker in der DDR wurde nach einer mehrjährigen Kontroverse zwischen Psychiatrie, Gesundheits- und Justizministerium verabschiedet. Die Debatte begann mit einer Initiative des Ministeriums der Justiz im August 1962 und wurde 1963 auf einem Symposium ausführlich diskutiert, wobei Psychiater für eine stationäre Einweisung außerhalb eines Gerichtsverfahrens plädierten. Die Ärzteschaft strebte nach umfassenden Befugnissen bei Zwangseinweisungen, was in einem ersten Entwurf einer Verordnung Ende März 1963 auch weitgehend vorgesehen war. Das Justizministerium setzte sich jedoch für eine gerichtliche Kontrolle ein. Erst im Februar 1965 wurde ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der schließlich im Juni 1968 verabschiedet wurde.
Rechtliche und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
Die Freiheit eines Bürgers durfte nur bei strafbaren Handlungen oder zur Heilbehandlung eingeschränkt werden durfte (Art. 30 der DDR-Verfassung). Die Einschränkungen mussten gesetzlich zulässig und notwendig sein und durften nur bei eindeutiger Unvermeidbarkeit erfolgen, um Willkür zu vermeiden. Trotz dieser Prinzipien blieb die Situation komplex, da psychisch Kranke oft nicht in der Lage waren, ihr Krankheitsbild zu erkennen oder eigenständig Entscheidungen zu treffen. Deshalb wurde betont, dass die Einweisung grundsätzlich eine medizinische und rechtliche Notwendigkeit darstellte, die sorgfältig geprüft werden musste. Anwendung sollte das Gesetz nur dann finden, wenn sie medizinisch notwendig war, um den Kranken oder die Allgemeinheit zu schützen. In der Praxis wurden psychisch Kranke regelmäßig und ohne medizinische Indikation in Kliniken eingewiesen, um dort etwa zu politischen Zwecken und insbesondere während Großereignissen (z. B. Weltfestspiele 1973, Staatsbesuche, Leipziger Messe) festgehalten zu werden.

Um Störungen zu vermeiden, wurden psychisch Kranke entgegn den Bestimmungen im Einweisungsgesetz in Psychiatrien unzergebracht oder erhielten keinen Ausgang aus psychiatrischen Einrichtungen.
Rehabilitation und gesellschaftliche Integration
Die Einweisung sollte auch dazu dienen, nicht nur akute Gefährdungen abzuwenden, sondern auch die spätere gesellschaftliche Eingliederung der Eingewiesenen zu fördern. Basierend auf den Reformbestrebungen sollten Vorurteile gegenüber psychisch Kranken abgebaut und die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht werden.

Das Gesetz war ein Kompromiss und sah strenge Bedingungen vor. Es gab ein Beschwerderecht (§ 10), das Recht auf Antrag auf Aufhebung (§ 14) und bei einer Verweildauer von über sechs Wochen ein gerichtliches Verfahren vor der Zivilkammer (§ 11), inklusive Rechtsmittel (§ 15). Ärzte hatten in den ersten sechs Wochen der Unterbringung große Entscheidungsmacht.
Trotz Verbesserungen war der Rechtsschutz für Eingewiesene in der Praxis unzureichend, sodass es zu staatlichen Übergriffen kam.
Wichtige Bestimmungen des Einweisungsrechts
Paragraf 2 des Einweisungsgesetzes regelte, wann eine medizinische Einweisung in eine Fachklinik oder Pflegeeinrichtung notwendig war. In eine Fachklinik wurde eingewiesen, wenn eine unmittelbare ärztliche Betreuung oder Diagnose erforderlich war, während Pflegefälle – so zumindest die Theorie – in speziell dafür eingerichtete Einrichtungen kommen sollten. Für die Einweisung in Pflegeeinrichtungen war die Zustimmung des zuständigen Kreisarztes erforderlich gewesen. In der Praxis gab es zu wenige Pflegeeinrichtungen, was Psychiater immer wieder zum Anlass nahmen, auf die Nichteinhaltung des Gesetzes zu verweisen. Ob eine medizinische Maßnahme als „normale“ Einweisung oder als Zwangsmaßnahme eingestuft wurde, hing von der rechtswirksamen Zustimmung der Betroffenen ab. Bei Minderjährigen, Entmündigten, Pflegeberechtigten oder geschäftsunfähigen, erwachsenen Patienten war eine Zustimmung der jeweiligen Vertretung notwendig. Für volljährige, aber geschäftsunfähige Patienten war eine gerichtliche Entscheidung erforderlich.
Paragrafen 6 ff. (kreisärztliche „Einweisung auf Anordnung“) war an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Einweisungsberechtigt waren in der Regel der für den Aufenthaltsort des Patienten zuständige Kreisarzt(§ 6, Abs. 1). Im Notfall durfte jeder approbierte Arzt die Einweisung vornehmen, wobei der Kreisarzt innerhalb von drei Tagen die Noteinweisung bestätigen musste (§ 6, Abs. 2). Falls der Patient bereits in einer psychiatrischen Einrichtung war, diese jedoch den weiteren Verbleib ablehnte, konnte die Leitung der Einrichtung mit Zustimmung des Kreisarztes die Einweisung vornehmen. Voraussetzung für eine Einweisung hätte immer eine medizinische Indikation sein müssen: Ein ärztlicher Nachweis oder zumindest der begründete Verdacht auf eine psychische Erkrankung oder eine schwere Persönlichkeitsfehlentwicklung musste vorliegen (§ 1, § 3 Abs. 1). Psychopathische Fehlhaltungen, sexuelle Abweichungen oder asoziales Verhalten erfüllten diese Voraussetzungen nur, wenn sie Ausdruck einer abnormen Entwicklung von Krankheitswert und entsprechend klinisch geprägt waren.
Paragraf 7 umfasste die fachärztliche Nachprüfung der Einweisungsdiagnose und der Betreuungsnotwendigkeit. Diese musste umgehend erfolgen und das Ergebnis wurde sowohl dem Kreisarzt als auch dem zuständiegn Staatsanwalt mitgeteilt. Bei fehlender psychischer Erkrankung musste die Einweisung aufgehoben werden oder eine Nachuntersuchung stattfinden. Die Entscheidung, ob die Voraussetzungen für eine Einweisung erfüllt waren, lag beim Kreisarzt und konnte von der Klinik nicht überprüft werden. Bei Überfüllung konnte die Klinik den Patienten möglicherweise ablehnen, was in der Verantwortung des Klinikleiters lag. Falls Ablehnungen möglich waren, musste der Kreisarzt alternative Unterbringungsmöglichkeiten suchen und die Klinik bei der Suche unterstützen.
Paragraf 11: Ein längerer Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung über sechs Wochen durfte nur durch gerichtlichen Beschluss sanktioniert werden. Die Regelung basierte auf der Annahme, dass die vorherige kreisärztliche Einweisung eine notwendige prozessuale Voraussetzung für die gerichtliche Einweisung nach § 11 war. Es war es jedoch auch möglich, die gerichtliche Einweisung sofort zu beantragen, wenn absehbar die Notwendigkeit bestand, dass die Verweildauer sechs Wochen überstieg. Das gerichtliche Verfahren für die Einweisung wurde dem Kreisgericht am Standort der Einrichtung zugewiesen. Antrag stellen konnten sowohl der Ärztliche Direktor der Klinik, der Kreisarzt als auch der Kreisstaatsanwalt, wobei sich der Direktor vertreten lassen konnte. Für den Antrag war ein unabhängiger Facharzt für Psychiatrie und Neurologie als Sachverständiger erforderlich. Die rechtlichen Wirkungen einer Einweisung nach § 6 oder § 11 wurden im Gesetz nicht explizit geregelt. Es blieb offen, ob ein Behandlungsrecht des Arztes direkt aus der Einweisung folgte und wo dessen Grenzen lagen.
Quellen
Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik: Gesetz über die Einweisung in stationäre Einrichtungen für psychisch Kranke, 14.06.1968, S. 273.
Schirmer, Siegfried; Möbius, Peter; Hinderer, Hans: Probleme des neuen Einweisungsrechts, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 64 (13), 1970, S. 652–658.
Schirmer, Siegfried: Handhabung des Einweisungsrechts, in: Deutsches Gesundheitswesen 27, 1972, S. 855–858.
Weiterführende Literatur
Bruns, Georg: Ordnungsmacht Psychiatrie?: psychiatrische Zwangseinweisung als soziale Kontrolle, Opladen 1993.
Bruns, Georg: Psychiatrische Zwangseinweisungen in der ehemaligen DDR, in: Bruns, Georg (Hg.): Ordnungsmacht Psychiatrie? Psychiatrische Zwangseinweisung als soziale Kontrolle, Wiesbaden 1993, S. 176–182.
Coché, Stefanie: Psychiatrische Einweisungspraxis in der frühen DDR und Bundesrepublik Zwangseinweisungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen, in: Kumbier, Ekkehardt; Steinberg, Holger (Hg.): Psychiatrie in der DDR. Beiträge zur Geschichte., Berlin-Brandenburg 2018 (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte, Bd. 24), S. 143–157.