Fachkrankenhaus
für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz

Gründung und frühe Entwicklung

1876 wird auf dem Gelände des Ritterguts Altscherbitz bei Leipzig eine moderne psychiatrische Einrichtung eröffnet – unter der Leitung von Moritz Köppe (Abb. 1). Unter seinem Nachfolger Alfred Paetz entwickelt sich Altscherbitz zu einer der führenden psychiatrischen Anstalten in Deutschland. Ein besonderes Merkmal ist das sogenannte Open-Door-System: offene Stationen und „koloniale Abteilungen“ (Außenwohngruppen) ermöglichen mehr Bewegungsfreiheit und eine humanere Behandlung psychisch erkrankter Menschen – ein fortschrittlicher Ansatz für diese Zeit.

Verbrechen in der NS-Zeit

Auch in Altscherbitz wird während des Nationalsozialismus die menschenverachtende Ideologie der „Euthanasie“ umgesetzt: Zwangssterilisationen und systematische Tötungen betreffen zahlreiche Patientinnen und Patienten. Etwa 5100 Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen sterben – durch Deportationen, gezielte Unterernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Während des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit werden große Teile der Einrichtung zweckentfremdet.

Ausbau in der DDR-Zeit

1960 wird Fritz Frenzel Ärztlicher Direktor. Unter seiner Führung entstehen neue Fachabteilungen – darunter eine neurologische, eine kinderneuropsychiatrische sowie eine Fachambulanz für neurologisch-psychiatrische Versorgung. Auch kulturelle Angebote entwickeln sich: Unter der Leitung des Künstlers Heinz Mutterlose gründet sich einer der ersten Laienzirkel für bildende Kunst in der DDR (Abb. 2).

Reformbemühungen in den 1980er Jahren

Ab den 1980er Jahren beteiligt sich das Fachkrankenhaus Altscherbitz an der Entwicklung eines sektorisierten Betreuungssystems in der Region Leipzig. Gemeinsam mit Einrichtungen in Leipzig, Berlin-Lichtenberg und Neuruppin entstehen neue theoretische und praktische Konzepte für eine wohnortnahe Versorgung psychisch erkrankter Menschen (Abb. 3), halbstationäre Betreuungsformen entstehen. Diese fließen unter anderem in das staatliche Konzept „Aufgaben zur Verbesserung der Betreuung psychisch Kranker 1981–1985“ des Ministeriums für Gesundheitswesen ein.

9.11.89 Bez. Leipzig: Gesundheitswesen – Ihre "zweite Schicht" beginnt Medizinstudentin Christiane Sauer. Sie gehört zu den 20 Studenten ihrer Seminargruppe von der Karl-Marx-Universität Leipzig, die sich entschlossen, nach ihren täglichen Lehrveranstaltungen abwechselnd auf drei Stationen im Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz (Landkreis Leipzig) zu arbeiten, Quelle: BArch, Bild 183-1989-1109-016 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud / CC-BY-SA.
9.11.89 Bez. Leipzig: Gesundheitswesen – Ihre „zweite Schicht“ beginnt Medizinstudentin Christiane Sauer. Sie gehört zu den 20 Studenten ihrer Seminargruppe von der Karl-Marx-Universität Leipzig, die sich entschlossen, nach ihren täglichen Lehrveranstaltungen abwechselnd auf drei Stationen im Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz (Landkreis Leipzig) zu arbeiten, Quelle: BArch, Bild 183-1989-1109-016 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud / CC-BY-SA.

Rückschritte im Alltag: Verwahrung statt Therapie

Trotz dieser Reformen bleibt für viele Langzeitpatienten – darunter zahlreiche Menschen mit geistiger Behinderung – die Realität unverändert. Sie werden oft lediglich verwahrt, statt individuell betreut. Die Folge ist therapeutische Passivität und sozialer Rückzug.

1990 leben rund 1.000 sogenannte Langlieger in Altscherbitz, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Ihre bedrückende Situation wird im Radio-Feature „Die Kinder von Station 19“ öffentlich thematisiert.

Neue Trägerschaft

Mit der politischen Wende 1989 geht die Trägerschaft des Krankenhauses in die Verantwortung des Freistaates Sachsen über – ein Schritt hin zu neuen Strukturen und Reformen im vereinten Deutschland.

Quellen

https://www.skh-altscherbitz.sachsen.de/fileadmin/user_upload/altscherbitz/pdf/Flyer/Komprimiert_Grau_Psychiatriebroschuere_Aktualisierung_2020_-_05-03-2020_PanoramabildV2.pdf (24.03.2025).

Weiterführende Links:

https://www.hoerspielundfeature.de/auf-der-suche-nach-den-opfern-einer-verwahrpsychiatrie-die-100.html.

Bildlegenden:

1: Verwaltungsgebäude der psychiatrischen Einrichtung Altscherbitz (2022). Quelle: privat

2: Zur Vorbereitung der III. Arbeiterfestspiele 1961. An den III. Arbeiterfestspielen 1961, die in Magdeburg stattfinden, beteiligt sich der Zirkel „Bildnerisches Volksschaffen“ des Krankenhauses Altscherbitz, Kreis Leipzig, mit einem Applikations-Wandbehang „Der Sozialismus siegt“. Der Wandbehang wird von 5 verschiedenen Gewerkschaftsgruppen zur Auszeichnung mit dem „Kunstpreis des FDGB“ vorgeschlagen. UBz: Der Leiter des Zirkels, Heinz Mutterlose, Mitglieder des Zirkels und Angestellte des Krankenhauses begutachteten zum letzten Mal den Wandbehang, bevor er nach Magdeburg geschickt wird. Quelle: BArch, Bild 183-81069-0001.

3: 9.11.89 Bez. Leipzig: Gesundheitswesen – Ihre „zweite Schicht“ beginnt Medizinstudentin Christiane Sauer. Sie gehört zu den 20 Studenten ihrer Seminargruppe von der Karl-Marx-Universität Leipzig, die sich entschlossen, nach ihren täglichen Lehrveranstaltungen abwechselnd auf drei Stationen im Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz (Landkreis Leipzig) zu arbeiten, Quelle: BArch, Bild 183-1989-1109-016 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud / CC-BY-SA.

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