
Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald
Die Psychotherapeutische Station der Nervenklinik des Bereichs Medizin
Die Anfänge der Behandlung psychischer Leiden in Greifswald finden sich im Jahr 1834 mit der Gründung einer „Irrenheilanstalt“, welche zum medizinischen Institut der „Königlichen Universität zu Greifswald“ gehört. Die psychiatrische Universitätsmedizin ist bis zur Übernahme der Leitung von Hanns Schwarz stark neurologisch-somatisch geprägt. Ab 1946 halten beginnend auch psychotherapeutische Konzepte Einzug in die psychiatrische Station der Klinik. Ein Meilenstein der Klinik ist 1954 die Eröffnung des Kinderpavillons mit milieutherapeutischen Ansätzen.
Die psychiatrisch-psychotherapeutische Station entsteht 1978 unter Wolfgang Fischer, ist störungsspezifisch aufgebaut und bietet Platz für 31 Patienten mit „leichten Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, Neurosen und rehabilitationsfähigen Suchterkrankungen“. Neben Logotherapie, die durch Heinz Gall kurzzeitig in den 1960er Jahren in Greifswald Anwendung findet, wird ab den 1980er Jahren vor allem die Intendierte Dynamische Gruppentherapie (IDG) eingesetzt.
Entwicklung der Psychiatrischen Klinik der Universität Greifswald von 1834 bis in die 1970er Jahre
Die Nervenklinik der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald findet ihre Anfänge in der Gründung einer „Irrenheilanstalt“ unter Anweisung des damaligen Direktors der Medizinischen Klinik Friedrich August Gottlob Berndt. In den Räumen des Stadtlazaretts, in denen sich heute das Gerichtsmedizinische Institut befindet, wird 1834 in Greifswald als eine der ersten deutschen Universitätskliniken eine Bettenstation für psychisch Erkrankte geschaffen. Diese umfasst zunächst 21 Betten, kann ab 1858 durch die Verlegung der medizinischen und chirurgischen Klinik auf 60 Betten erweitert werden. 1875 wird die Psychiatrie bereits ein eigenständiges Fach mit dazugehöriger Abteilung der Universität Greifswald. Es erfolgt 1904/05 ein Klinikneubau am heutigen Standort, der Ellernholzstraße 1-2, welcher im Folgejahr eingeweiht und in Betrieb genommen wird. Unter der Leitung Paul Schröders (1912-1925) bietet die neu entstandene Klinik bereits zu diesem Zeitpunkt psychiatrische Behandlungen für Kinder an.
Der bis dahin stark neurologisch-somatisch geprägte medizinische Lehrstuhl der Universität erhält ab 1946 unter der Leitung von Hanns Schwarz, der in den Anfangsjahren der DDR Anhänger tiefenpsychologischer Konzepte ist und sich später dem Pawlowismus zuwendet, erstmals auch stärkere psychotherapeutische Einflüsse.
Als große Errungenschaft der Klinik zählt die Eröffnung des „Kinderpavillons“ im Jahr 1954, wodurch Greifswald neben Leipzig zu einem der Standorte für Kinderpsychotherapie in der DDR wird. Der Neubau bietet Platz für 26 Kinder im Alter von 4-14 Jahren, welche dort unter anderem von einer Psychologin betreut werden. Besonders das Konzept des Kinderpavillons ist vom gänzlichen Verzicht auf somatische Therapien durch Medikamente sowie einem allgemeinen milieutherapeutischen Einfluss geprägt. Dabei fungieren die Institution sowie alle Bewohnenden als „künstliche Familie“. Im Mittelpunkt stehen Vertrauensbildung und die Schaffung eines wohlwollenden, sicheren Umfelds anstelle von starren Interventionen und Zwangsmaßnahmen gegenüber den Patienten.
Einen weiteren Schritt in Richtung Psychotherapie macht Heinz Gall 1962 mit der Etablierung der Logotherapie als „Basis-Psychotherapie“ im psychiatrischen Bereich der Klinik. Das meist ambulant angewendete Verfahren stellt die Sinnfrage des Lebens ins Zentrum, die durch Methoden wie dem sogenannten sokratischen Dialog im therapeutischen Prozess bearbeitet werden soll. Gall gilt in der DDR als Pionier dieses Verfahrens, das er in der Greifswalder Klinik testet. Wegen einer fehlenden Zulassung und Nebenwirkungen stellt er den biologisch-therapeutischen Ansatz jedoch ein. Anschließend kommt es zwischen ihm und der Klinik in den frühen 1970er Jahren zum Bruch.
Gründung der Psychotherapeutischen Station der Nervenklinik des Bereichs Medizin
Mit der Einrichtung einer eigenen psychiatrisch-psychotherapeutischen Station im Jahr 1978 stellt sich der seit 1974 amtierende Klinikleiter Günter Rabending gegen die seit den 1920er Jahren bestehende Tradition einer neurologisch-somatischen Ausrichtung des psychiatrischen Lehrstuhls in der Medizinischen Fakultät. Unter Wolfgang Fischer, der beim früheren Klinikleiter Hanns Schwarz promoviert hat, wird für die vier geschlossenen und nach Geschlechtern getrennten psychiatrischen Stationen ein neues Stationskonzept entwickelt. Zu der neuen Abteilung gehören eine psychotherapeutische Station, ein kinder- und jugendpsychiatrischer und ein teilstationärer Bereich.
Der neue Bereich wird nach den Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft störungsspezifisch aufgebaut und bietet von nun an Platz für circa 30 stationäre sowie zehn tagesklinische Patienten mit „leichten Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, Neurosen und rehabilitationsfähigen Suchterkrankungen“. Es finden außerdem Umbauten der Patientenzimmer statt, wodurch die Patienten hauptsächlich in Sechsbettzimmern untergebracht werden, welche mit Betten, Schränken, Stühlen, Wandregalen sowie teilweise Radios und Sesseln ausgestattet sind.
Das therapeutische Behandlungsspektrum der Klinik beinhaltet zu diesem Zeitpunkt Gruppenpsychotherapie, Gesprächspsychotherapie, themen- und konfliktzentrierte Gruppengespräche, Autogenes Training, Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie, Musiktherapie sowie Beschäftigungs- und Arbeitstherapie. Im Zentrum der Behandlung stehen themenzentrierte offene Gruppengespräche, für die die Patienten störungsspezifisch einer „Neurosengruppe“ oder einer „Psychosengruppe“ zugeteilt werden. Bei der Anwendung des Verfahrens wird von anfänglichen Schwierigkeiten berichtet, welche zunächst sowohl auf einer mangelnden systematischen Krankheitslehre von Neurosen als auch auf unzureichenden Kenntnissen zu gruppendynamischen Prozessen fußen.
Ein therapeutischer Durchbruch wird mit der breiten Anwendung der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie (IDG) nach Kurt Höck erzielt. Das Neurosen- und Therapiemodell der Klinik wird dadurch vereinheitlicht. So können mit der IDG ab 1983 jährlich für zwei bis drei geschlossene Gruppen, die 8-13 Teilnehmende umfassen, eine persönlichkeitszentrierte und dennoch ökonomische Form der Gruppentherapie in Greifswald angeboten werden. Die unzureichende ambulante psychotherapeutische Abdeckung des Greifswalder Gebiets und eine Dauer von zwei Monaten pro Therapiezyklus je Gruppe bedeuten jedoch nicht selten Wartezeiten von bis zu neun Monaten für erkrankte Personen.
Mitte der 1980er kommt es aus therapeutischer Sicht zu Rückschritten: Zugunsten einer Spezialambulanz für Epilepsie mit Tagesklinik werden einige Räumlichkeiten der psychiatrisch-psychotherapeutischen Station abgetrennt. Um weiterhin die vorherige Kapazität abdecken zu können, müssen einige Patienten nun wieder in einem Saal mit 12 Betten untergebracht werden. Auch der ursprünglich psychotherapeutisch orientierte Kinderpavillon bekommt in dieser Zeit eine neue neurologische Ausrichtung.
Forschung und Lehre
Aufgrund weniger empirischer Belege zu psychotherapeutischen Verfahren in der DDR gibt es in der Greifswalder Uniklinik immer auch Bemühungen, die eigenen therapeutischen Erfahrungen wissenschaftlich auszuwerten. So werden beispielsweise katamnestische Untersuchungen zu Veränderungen in der Bewältigung sozialer Anforderungen von Patienten nach dynamischer Gruppentherapie, zur interpersonellen Dynamik bei der IDG sowie zur IDG bei schizophrenen Patienten durchgeführt und veröffentlicht.
Durch Lehrveranstaltungen trägt die Klinik zur Verbreitung therapeutischer Verfahren in der DDR bei, so etabliert der Leiter der damals neuen psychiatrisch-psychotherapeutischen Station, Wolfgang Fischer, ab Ende der 1970er Jahre von Greifswald aus Grundkurse zum Thema Psychotherapie für Ärzte sowie Problemfallseminare für Ärzte und Psychologen.
Quellen und Literatur
Armbruster, J. (2020). Der Status der Psychiatrie im Zuge der Fächerdifferenzierung von Neurologie und Psychiatrie an den Hochschulen der DDR am Beispiel der Universität Greifswald. In E. Kumbier (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR II: Weitere Beiträge zur Geschichte, S. 211–225.
Armbruster, J. (2023). Zur Implementierung der Psychotherapie an der Universität Greifswald. In E. Kumbier & K. Haack (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR III: Weitere Beiträge zur Geschichte, S. 185-200.
Elsaesser. (1957). Psychiatrisch-Neurologische Gesellschaft an den Universitäten Greifswald und Rostock: 15. Sitzung am 9. Mai 1956 in Greifswald anläßlich des 50-jährigen Bestehens der Univ.-Nervenklinik Greifswald. Psychiatrie, Neurologie Und Medizinische Psychologie, 9(1), S. 28–30. http://www.jstor.org/stable/45251337
Fischer, W. (1985). 150 Jahre psychiatrische Behandlung und Lehre an der Universität Greifswald. Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie, 37, S. 554-556.
Geyer, M. (2011). Die Weiterentwicklung der Methoden und der Methoden- Sektionen in den 1980er Jahren. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995, S. 473–559. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. https://doi.org/10.13109/9783666401770.473
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.