
Die Gesellschaft für Psychologie der DDR
– Zwischen Wissenschaft und Ideologie
1. Gründung und politischer Kontext
Die Gründung der Gesellschaft für Psychologie der DDR (GP) erfolgte im Oktober 1962 vor dem Hintergrund der politischen Teilung Deutschlands. Mit der zunehmenden Isolation der DDR von westlichen Institutionen war eine Mitgliedschaft ostdeutscher Psychologen in der westlich orientierten Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) nicht länger tragbar. Infolgedessen rief man die GP ins Leben, um eine eigenständige Plattform für Psychologie im sozialistischen Staat zu schaffen.
Laut Busse (1993) war diese Gründung sowohl ein wissenschaftlich-organisatorischer Schritt als auch eine politische Notwendigkeit. Die GP sollte einerseits die psychologische Forschung und Praxis in der DDR koordinieren, andererseits aber auch der ideologischen Orientierung des Staates verpflichtet sein – vor allem im Sinne des Marxismus-Leninismus.
2. Struktur, Organisation und Aufgaben
Die GP war nicht nur eine Fachgesellschaft, sondern hatte auch Züge eines Berufsverbands. Sie organisierte regelmäßige wissenschaftliche Kongresse, gab Fachzeitschriften heraus und vertrat die Interessen der Psychologinnen und Psychologen in der DDR gegenüber staatlichen Stellen. Zu den wichtigsten Organen zählte die Zeitschrift Psychologie für die Praxis, die zentrale Ergebnisse aus Forschung und Anwendung dokumentierte.
Ein bedeutendes Ereignis war der XXII. Internationale Kongress für Psychologie im Jahr 1980 in Leipzig, der der GP internationale Sichtbarkeit verschaffte. Trotz der politischen Abschottung gelang es der GP, die DDR in internationalen Fachorganisationen wie dem IUPS zu vertreten.
3. Leitende Persönlichkeiten und wissenschaftliche Ausrichtung
Führende Persönlichkeiten wie Friedhart Klix und Adolf Kossakowski prägten die Entwicklung der GP maßgeblich. Klix etwa baute international anerkannte Forschungsrichtungen wie die Kognitionspsychologie und Psychophysiologie auf. Unter seiner Leitung versuchte man, eine Balance zwischen wissenschaftlicher Integrität und politischer Loyalität zu wahren.
Die wissenschaftliche Ausrichtung der GP war vom sozialistischen Menschenbild geprägt. Dies bedeutete z. B. eine Ablehnung freudianischer Theorien als „bürgerlich-idealistischer“ Ansatz sowie eine bevorzugte Orientierung an sowjetischer Tätigkeitstheorie und behavioristisch geprägten Paradigmen.
4. Ideologische Einflussnahme und Kontrolle
Wie Gieseke und Maercker (2017) betonen, war die Psychologie in der DDR – und damit auch die GP – nicht frei von staatlicher Kontrolle. Die Gesellschaft musste sich innerhalb eines ideologischen Rahmens bewegen. Der Staat interessierte sich für Erkenntnisse, die zur „Formung des sozialistischen Bewusstseins“ beitragen konnten.
Ein besonders dunkles Kapitel stellt der Einsatz psychologischer Erkenntnisse durch das Ministerium für Staatssicherheit dar, insbesondere im Kontext der „Operativen Psychologie“, bei der psychologische Erkenntnisse zur Manipulation von Dissidenten verwendet werden sollten. Eine Zusammenarbeit zwischen operativer Psychologie und GP ist nicht bekannt.
5. Annäherung und Auflösung
Ab Mitte der 1980er Jahre kam es zu ersten Gesprächen zwischen GP und DGPs über eine Zusammenarbeit. Erst nach dem Mauerfall wurde eine tiefgreifende Integration der ostdeutschen Psychologie in die gesamtdeutsche Fachgemeinschaft möglich. Die GP löste sich am 3. November 1990 offiziell auf.
Die DGPs übernahm nicht nur Mitglieder der GP, sondern initiierte auch eine Aufarbeitung der Rolle der Psychologie in der DDR, insbesondere hinsichtlich ideologischer Anpassung und staatlicher Instrumentalisierung.
Quellen und Literatur
Busse, S. (1993). Gab es eine DDR-Psychologie? in: Psychologie und Geschichte, Bd. 5(1/2), SS. 40–62. Link
Eckardt, G., & Dumont, K. (2004). Das Verhältnis zwischen der Gesellschaft für Psychologie der DDR und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie als Abgrenzung und Annäherung. in: Psychologische Rundschau, 55(S1), SS. 72–76. DOI: 10.1026/0033-3042.55.S1.72
Maercker, A., & Gieseke, J. (Eds.). (2021). Psychologie als Instrument der SED-Diktatur: Theorien-Praktiken-Akteure-Opfer. Hogrefe.
Guski-Leinwand, S., Nussmann, H. D., Iding, S., Kaufmann, M. T., & Metkemeier, L. (2023). Bibliografie zu psychologischen Publikationen DDR/Wiedervereinigung.
Schönpflug, W. (2011). Ideologie und Pragmatik in der Wissenschaftsorganisation Der 22. Internationale Kongress für Psychologie 1980 in der Deutschen Demokratischen Republik.