
Die Ärzteschaft in der SBZ/DDR
Mit dem Ziel einer umfassenden Verstaatlichung des Gesundheitswesens sowie dem Aufbau von Polikliniken und Ambulatorien musste sich das traditionelle ärztliche Berufsbild nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Osten Deutschlands grundlegend wandeln.
Vor 1945 war die Mehrheit der Ärzte in eigener Praxis tätig gewesen. Zwar hatte die Anstellung im Krankenhaus bereits im 20. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen, für viele Mediziner stellte sie jedoch nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zur eigenen Praxis dar. Mit den Veränderungen in der ambulanten Versorgung wurden nun die meisten ambulant tätigen Ärzte zu Angestellten im staatlichen Gesundheitswesen. Nur wenige wagten den Verbleib in der eigenen Niederlassung.
Widerstände gegen die Verstaatlichung
Innerhalb der Ärzteschaft stieß die Neustrukturierung des Gesundheitswesens auf erhebliche Widerstände. Neben dem Verlust der Selbstständigkeit kamen weitere Einschränkungen hinzu: Um dem Ärztemangel zu begegnen, wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit Ärzte aus „Überschussgebieten“ zwangsweise in unterversorgte Regionen versetzt. Bis zum Ende der DDR wurden Medizinbewerber und junge Ärzte in ihrer Berufswahl eingeschränkt – sei es bei der Studienzulassung oder bei der Wahl einer Facharztrichtung. Weitere staatliche „Lenkungsmaßnahmen“ behinderten eine freie Praxisführung, etwa durch Benachteiligungen bei der Geräteversorgung. Hinzu kamen Rechtsunsicherheiten für Praxisärzte. Eine organisierte Interessenvertretung gab es nicht mehr nach der Zerschlagung kassenärztlicher Vereinigungen 1946. Ein niedergelassener Arzt konnte zu einer nebenberuflichen Tätigkeit im staatlichen Gesundheitswesen verpflichtet und damit weitgehend seiner Praxis entzogen werden. Wo staatliche ambulante Betreuungsmöglichkeiten fehlten, konnte eine Privatpraxis zur staatlichen Außenstelle erklärt werden. Öffentlich und in der späteren DDR-eigenen Geschichtsschreibung wurde gegen freiberufliche Ärzte als „konservative Kräfte“ polemisiert. Sie würden, so hieß es in der Propaganda, „in Ärzteversammlungen, im Bekanntenkreis, bei Patienten und in der Öffentlichkeit die Poliklinikärzte, die in der Regel auch die politisch progressiven waren,“ diskriminieren. Ungeachtet dessen blieben Privatpraxen im Rahmen der DDR-Gesundheitspolitik weiter erwünscht, um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten – auch wenn sie offiziell als „Verirrungen“ galten. Eine Richtlinie von 1961 bestätigte ausdrücklich die Möglichkeit privater Niederlassungen. Tatsächlich wurde hiervon jedoch nur selten Gebrauch gemacht; die Zahl der Privatpraxen sank bis zum Ende der DDR.
Ärzte zwischen Bildungsprivileg und Ideologisierung
Eines der wesentlichen Ziele der neuen Machthaber im Rahmen der Gesundheitspolitik war das Brechen des bürgerlichen Bildungsprivilegs. Ärzte sollten bestenfalls aus Familien von Arbeitern und Bauern stammen. Damit sollte auch eine soziale Gleichheit bei der medizinischen Betreuung gewährleistet werden. Die Bereitschaft eines Großteils der Ärzte, diese Politik aktiv zu unterstützen, blieb über die Jahre jedoch gering. Ebenso blieb die Haltung der SED gegenüber der überwiegend bürgerlichen Ärzteschaft stets ambivalent. So war der Anteil von Medizinern in der SED zunächst vergleichsweise gering: 1951 war etwa jeder neunte Arzt Parteimitglied; 1960 lag der Anteil bei knapp 12 Prozent. Der Einfluss SED-naher Ärzte stieg im Laufe der Zeit allerdings an. Wie bereits in der NS-Zeit war der Anteil der Parteimitglieder – d.h. der NSDAP und später der SED – besonders unter den führenden Medizinern an Universitäten hoch. Ärzte hatten im DDR-Gesundheitswesen auch eine ideologische Funktion: Ihre Pflicht war es, an der Herausbildung des sozialistischen Bewusstseins mitzuwirken. In der Propaganda wurde dies mit einem neuen ärztlichen Ethos verknüpft: Erst im Sozialismus könnten Ärzte „dem humanen Gehalt ihrer Arbeit und den Ansprüchen der Wissenschaft“ wirklich gerecht werden. Ärzte hatten ihren gesellschaftlichen Beitrag zum Aufbau der sozialistischen Gesellschaft zu leisten. Bis zum Ende der DDR spielte die Politisierung im Berufsleben der Ärzte eine zentrale Rolle.
Anhaltendes Misstrauen und Pragmatismus
Zwischen den staatlichen Vorgaben und den berufsständischen Interessen stand die SED immer wieder vor der Frage, warum es so schwerfiel, Ärzte dauerhaft für die eigene Politik zu gewinnen. Eine Bestandsaufnahme der Nachkriegszeit hatte bereits zu dem Fazit geführt, dass die medizinischen Fakultäten innerhalb der SBZ „die reaktionärsten an allen Universitäten“ waren. Gemeint waren damit sowohl Lehrkörper als auch Studenten. Gegen Ende der DDR schätzten führende Akteure selbstkritisch ein, dass es weniger an der Gesundheitspolitik selbst gelegen habe. Vielmehr habe das Brechen bürgerlicher Traditionen und der Versuch, das Standesbewusstsein etwa von Ärztefamilien zu unterdrücken, das beständige Misstrauen innerhalb der Ärzteschaft befördert. Ungeachtet aller ideologischen Bemühungen blieb die DDR auf die Mitwirkung der Ärzte angewiesen, um ein funktionierendes Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten. Die SED sah sich daher gezwungen, immer wieder Zugeständnisse zu machen – selbst wenn sie den eigenen Idealen widersprachen. Gegenüber der breiten Bevölkerung waren Ärzte in der DDR deutlich privilegiert.
Quellen und Literatur
Erices, R. (2023). Polikliniken in der ambulanten Gesundheitsversorgung der DDR. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung.
Erices, R. (2014). Im Dienst von Staat und Staatssicherheit: Bezirksärzte der DDR in einem maroden Gesundheitssystem. Totalitarismus und Demokratie, 11(2), Article 2.
Krumbiegel, H. (2007). Polikliniken in der SBZ/DDR: Konzeption und Umsetzung öffentlicher, poliklinischer Einrichtungen unter besonderer Berücksichtigung Brandenburgs. Frankfurt am Main: VAS – Verlag für Akademische Schriften.
Ernst, A.-S. (1997). „Die beste Prophylaxe ist der Sozialismus“. Ärzte und medizinische Hochschullehrer in der SBZ/DDR 1945–1961. Waxmann.