Das DDR-Gesundheitswesen
im Kontext der SED-Herrschaft in den 1980er Jahren

1989 kam es zu einem Wechsel an der Spitze des DDR-Gesundheitsministeriums: Ludwig Mecklinger, Arzt, Jurist und SED-Mitglied, trat ab, Klaus Thielmann, ebenfalls Arzt und Parteimitglied, übernahm das Amt, nachdem er zuvor im Hochschulministerium tätig gewesen war. Seit 1971 hatte Mecklinger das Gesundheitsministerium der DDR geführt. Mecklingers Weg an die Spitze des Ministeriums fiel in eine allgemeine Phase des politischen Umbruchs in der DDR. Erich Honecker löste Walter Ulbricht ab und verkündete die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«, mit Fokus auf Konsumsteigerung bei wachsender Staatsverschuldung. Die DDR-Wirtschaft geriet bald an den Rand der internationalen Zahlungsunfähigkeit.

Das DDR-Gesundheitswesen hatte stets als propagandistisches Aushängeschild der eigenen Erfolge gegolten. Am Gesundheitswesen sollten die Menschen die Vorzüge des Sozialismus insbesondere im Vergleich zum Westen hautnah spüren. Doch die Probleme nahmen fortwährend zu. Ende der 1980er Jahre waren die Versorgungsmängel auch im Gesundheitssektor so gravierend, dass die Gesundheitsverwaltung kaum noch Rezepte zur Verhinderung einer allgemeinen Misere in der DDR-Medizin hatte. Die eigentliche politische Kontrolle über das Gesundheitswesen hatte allerdings die Partei. Anfang 1989 entschied sich das SED-Politbüro für einen Wechsel an der Spitze des Ministeriums.

Die Rolle der Abteilung Gesundheitspolitik im ZK

Zuständig für die DDR-Medizin in der Honecker-Ära war die Abteilung Gesundheitspolitik im ZK der SED. Sie unterstand dem Politbüromitglied Kurt Hager, der innerhalb des SED-Führungszirkels auch für die Bereiche Wissenschaft und Kultur verantwortlich war. Die ZK-Abteilung Gesundheitspolitik war als Parteiorgan dem Gesundheitsministerium weisungsbefugt. Leiter der Abteilung war ab 1981 Karl Seidel. Seidel war zuvor Direktor der Charité-Nervenklinik gewesen. Der Psychiater war damit ranghöchster Mediziner im Parteiapparat und hatte somit erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Gesundheitspolitik und damit auch auf die Auswahl von Kadern im Ressort. Zahlreiche Funktionsträger, darunter auch Seidel selbst, standen zudem als Inoffizielle Mitarbeiter in Verbindung mit dem MfS.

In den 1980er Jahren war der Mangel im DDR-Gesundheitswesen allgegenwärtig. Besonders betroffen waren klinische Einrichtungen außerhalb der Universitätskliniken. Seitens der Fachrichtungen war die Unterversorgung besonders in psychiatrischen Krankenhäusern gravierend. Defizite gab es bei der Ausrüstung an moderner Medizintechnik und bei Medikamenten. Diagnostische Verfahren wie Ultraschall und Computertomografie waren DDR-weit nur wenig verfügbar. Verbrauchsmaterialien wie Spritzen, OP-Handschuhe oder Desinfektionsmittel fehlten. Ein Großteil der DDR-Krankenhäuser war baulich verschlissen. In vielen Regionen fehlte medizinisches Personal, die Ausreisewelle in den Westen verstärkte den Ärztemangel. Insofern waren Konzepte angesichts des fortwährenden Kostenanstiegs im staatlichen Gesundheitswesen dringend nötig. Auf dem X. Parteitag im Jahr 1981 verkündete die SED die Einführung des Hausarztprinzips, um die Versorgung zu sichern. Mecklinger verhängte einen weitgehenden Importstopp für westliche Medizintechnik oder Medikamente, die nicht unentbehrlich waren. Dies konnte die Versorgungskrise jedoch nicht aufhalten. Wegweisende gesundheitspolitische Strategien für die 1980er Jahre sind kaum nachzuweisen. Seitens des zuständigen ZK-Sekretärs Kurt Hager kamen kaum Impulse. Abteilungsleiter Karl Seidel setzte als durchsetzungsstarker Funktionär vor allem auf politisch-ideologische Arbeit. Er thematisierte Missstände intern, ließ jedoch Reformkonzepte vermissen. Gleichzeitig nutzte er seine Macht als Parteifunktionär für private Vorteile. Trotz solcher Verfehlungen blieb er im Amt, was die tiefgreifenden strukturellen Probleme der DDR-Gesundheitspolitik unterstreicht. Eine umfassende öffentliche Diskussion über die allgemeinen Versorgungsmängel im Gesundheitswesen fand nicht statt. Auf ihrem XI. Parteitag 1986 allerdings wich die SED von ihrem bisherigen propagandistischen Tonfall ab und verkündete, dass ihre gesundheitspolitischen Ziele an die wirtschaftlichen Möglichkeiten gebunden seien. Dabei riet sie den Menschen zur Prophylaxe und individuellen Verantwortung für ihre Gesundheit.

Interne Konflikte und Reformversuche

Im Sommer 1988 wandte sich Seidels Stellvertreter, Christian Münter, hilfesuchend an das MfS. Nachweislich suchten immer wieder SED-Funktionäre die Staatssicherheit auf, wenn sie Verwaltungs- oder Parteihürden nicht überwinden konnten. Münter, erfahrener ZK-Mitarbeiter, konstatierte eine »kaum zu beschreibende politische Situation« im Land und forderte dringend wirtschaftspolitische Veränderungen. Unter den Politikberatern der SED herrschte zu dieser Zeit durchaus Konsens über den Reformbedarf. So waren die Erfüllungsraten für Investitionen ab Mitte der 1980er Jahre drastisch gefallen, was Versorgung und Forschung im Gesundheitswesen beeinträchtigte. Jährlich konnten beispielsweise rund 12.000 ärztliche Rezepte nicht mehr eingelöst werden. Verantwortlich machte Münter sowohl die zentrale staatliche Leitung, also das Gesundheitsministerium mit Mecklinger an der Spitze, als auch die oberste Parteiführung: Politbüromitglied Hager würde das Gesundheitswesen vernachlässigen. Münter kritisierte die langsame, zentralistische Arbeitsweise, die den Handlungsspielraum des Ministeriums stark einschränkte – es konnte lediglich Parteibeschlüsse umsetzen. Gleichsam sprach er sich für ein Ende von Subventionen im Gesundheitswesen aus. Entsprechend legte das Ministerium im Herbst 1988 Sparvorschläge vor: Reduktion der Kindergeldausgaben wegen sinkender Geburtenzahlen, Kürzungen bei Krankenhausaufenthalten und beim Ausbau ambulanter Arztstellen. Die geplante Erweiterung der Dialysekapazitäten sollte gestrichen werden. Patienten sollten Rezeptgebühren zahlen, Krippenplätze und Verhütungsmittel sollten verteuert werden. Mecklinger sprach später von der Notwendigkeit »völlig neuer Denkweisen«. Kurz darauf wurde er von der SED abgesetzt.

Dieser [Kurt Hager] wirkte zwar bei Hochschulproblemen und Fragen der Kultur mit persönlichen Auffassungen und Entscheidungen mit, hat aber alle Eingriffe in das Gesundheitswesen vermieden und vertraute ausschließlich auf die zuständigen Fachleute unserer Abteilung. Ich meine, er war so klug, sich als Laie aus medizinischen Fragen herauszuhalten […] Andererseits hat er sich in allen Fragen zur finanziellen und materiell-technischen Sicherstellung des Gesundheitswesens gegenüber Günter Mittag m.E. nicht ausreichend durchgesetzt. Ich glaube, das war ihm alles zu profan.

Christian Münter über Kurt Hager im Rückblick, 2010. Anm.: Christian Münter, einst stellv. Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik im ZK der SED; Kurt Hager, einst Politbüro des ZK der SED und zuständiger Sekretär für die Gesundheitspolitik der DDR; Günter Mittag, einst Politbüromitglied, entschied über Finanzzuweisungen für das Gesundheitswesen

Abgesang

Mit dem sogenannten Wendeherbst wurden derartige Überlebensstrategien für das Gesundheitswesen hinfällig. Partei und Verwaltung agierten wie gelähmt. Noch auf der Nationalen Gesundheitskonferenz im September 1989 dominierte trotz offen vorgetragener Klagen über die mangelhaften Arbeitsbedingungen und einen drohenden Pflegenotstand die übliche Parteirhetorik. Noch einmal stand die »Gesundheitspflicht des Einzelnen« als möglicher Weg aus der Misere heraus im Zentrum der Diskussion.

Die Entwicklung der 1980er Jahre zeigt nachdrücklich, dass in der DDR eine strukturelle Umsteuerung kaum möglich war. Sozialversicherungsbeiträge blieben politisch gewollt niedrig, die zunehmenden Ausgaben belasteten das System. Die konsumorientierte Politik Honeckers erwies sich als nicht finanzierbar und vergrößerte die ökonomische Schieflage.
Am Ende fehlten gesundheitspolitisch tragfähige Konzepte. Forderungen nach Eigenverantwortung und Hausarztmodellen konnten die strukturellen Defizite nicht beheben. Die Honecker-Ära trieb durch ihre Sozialpolitik letztlich den Zusammenbruch voran, da wirtschaftliche Basis und soziale Fürsorge zunehmend auseinanderfielen. Trotz der ethischen Bemühungen vieler Ärzte arbeitete das Gesundheitswesen unter den Bedingungen der SED-Diktatur und war deren strukturellen Zwängen unterworfen.

Quellen und Literatur

BArch, B 515/152, S. 122.

Erices, R. (2023). „Offensive der politisch-ideologischen Arbeit“ als Rettungsanker? Herausforderungen in der DDR-Gesundheitspolitik der achtziger Jahre. In E. Kumbier & K. Haack (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte (Bd. 28, S. 43–58). be.bra wissenschaft verlag.

Erices, R. (2022). Das DDR-Gesundheitswesen im Kontext der SED-Herrschaft in den 1980er Jahren. In B. Strauß, R. Erices, S. Guski-Leinwand, & E. Kumbier (Hrsg.), Seelenarbeit im Sozialismus – Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR. Psychosozial-Verlag.

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