
Das Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften in der DDR
Politische Steuerung statt freier Wissenschaft
Das Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften wurde 1969 aus dem Ministerium für Gesundheitswesen herausgelöst und diesem direkt unterstellt. Es nahm damit eine Schlüsselstellung im medizinischen Wissenschaftsbetrieb der DDR ein. Seine Aufgaben reichten weit über reine Verwaltungsfragen hinaus: Es übte die Dienstaufsicht über sämtliche medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften aus und trug die direkte Verantwortung für Planung und Organisation des Kongresswesens im In- und Ausland. Die Teilnahme von DDR-Ärzten und -Wissenschaftlern an internationalen Tagungen sowie die Ausrichtung von Kongressen im eigenen Land mussten über das Generalsekretariat beantragt und genehmigt werden. So griff die SED unmittelbar in jeden Schritt ein und sorgte dafür, dass ihre politischen Vorgaben beachtet wurden.
Ein besonderes Gewicht lag auf der internationalen Arbeit. Kontakte zu westdeutschen und anderen westlichen Fachgesellschaften wurden stark eingeschränkt und unterlagen strengen Regeln. Das Generalsekretariat entschied nicht nur über Einladungen und Publikationen, sondern auch über die Repräsentation der DDR in internationalen medizinischen Organisationen. Diese Politik führte zu einer weitgehenden Abschottung und gleichzeitig zur Herausbildung einer eigenständigen, politisch kontrollierten Forschungslandschaft. Die Publikationstätigkeit wurde gezielt genutzt, um das sozialistische Profil der medizinischen Zeitschriften zu schärfen. Damit übernahm das Generalsekretariat auch eine propagandistische Funktion: Forschung sollte nicht nur dokumentiert, sondern zugleich die Überlegenheit des Sozialismus sichtbar machen.
Lothar Rohland als Parteisoldat
Eng mit dieser Entwicklung verbunden war der Name Lothar Rohland, der das Generalsekretariat leitete und als typischer „Parteisoldat“ galt. Unter seiner Führung war die Institution weit mehr als eine organisatorische Zentrale – sie wurde zum machtvollen Instrument politischer Kontrolle. Rohland entschied, wer ins Ausland reisen durfte, welche Beiträge in westlichen Zeitschriften erscheinen konnten und welche internationalen Kontakte gepflegt wurden. Damit verfügte er über einen direkten Zugriff auf die beruflichen Perspektiven vieler Ärzte und Wissenschaftler.
Seine Tätigkeit war eng mit dem Ministerium für Staatssicherheit verzahnt. Über das Generalsekretariat wurden Vorstände und Kommissionen der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften besetzt, unliebsame Personen ausgesondert und politische Zuverlässigkeit durchgehend überprüft. Rohland selbst begleitete Delegationen ins Ausland und spielte eine aktive Rolle bei der Durchsetzung sowjetischer Interessen, etwa im Bereich der Psychiatrie. Die Verbindung von politischer Steuerung, internationaler Repräsentation und wissenschaftlicher Publikationskontrolle machte das Generalsekretariat zu einem zentralen Machtinstrument im Spannungsfeld zwischen Medizin, Wissenschaft und Ideologie.
Verwandte Artikel und Themen
Quellen und Literatur
BArch, DQ 101/189.
BArch, DQ 101/196.
BArch, DQ 101/210a.
BArch, DQ 101/533d.
BArch, DQ 101/631.
Erices, R. (in Vorb. 2025). Auf dem Weg zur DDR-eigenen Wissenschaft: Staatliche Eingriffe auf medizinische Gesellschaften Ende der 1960er Jahre.
Erices, R. (2023). „Offensive der politisch-ideologischen Arbeit“ als Rettungsanker? Herausforderungen in der DDR-Gesundheitspolitik der achtziger Jahre. In E. Kumbier & K. Haack (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte (Bd. 28, S. 43–58). be.bra wissenschaft verlag.