Depressionen:
Entwicklung, Forschung und Behandlung in der DDR

Die Behandlung depressiver Erkrankungen wurde ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den Einsatz moderner Antidepressiva grundlegend geprägt. Gleichzeitig führten Entwicklungen in der Klassifikation psychischer Krankheiten und der Versorgung psychiatrischer Patienten zu bedeutenden Fortschritten. Während diese Entwicklungen in der westlichen Psychiatrie umfassend dokumentiert sind, bleibt die Geschichte der DDR-Psychiatrie vergleichsweise wenig erforscht.

Nachkriegszeit (1945–1955): Einfluss des Pawlowismus und erste Veröffentlichungen

Nach Kriegsende war die DDR-Psychiatrie durch den Wiederaufbau geprägt. Aufgrund von Personalmangel und politischen Umbrüchen waren die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Depressionen in den späten 1940er Jahren noch übersichtlich. 1949 gründete man die Zeitschrift „Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie“, in der vorrangig reaktive Depressionen und vegetative Beschwerden thematisiert wurden. Rudolf Lemke publizierte 1949 die Konzept der „vegetativen Depression“ und löste damit eine Welle der Diskussion über vegetative Störungen aus. Gemeinsam mit westlichen Fachleuten wie Franz Alexander gehörte Lemke zu den ersten, die vegetative Dysfunktion und ihre Bedeutung für Depressionen betonten. In den 1950er Jahren standen Behandlungsansätze wie Schlaf- und Angstmedikationen sowie der Einsatz von Schocktherapien im Vordergrund. Die zunehmende Ideologisierung und die politische Einflussnahme prägten auch die wissenschaftliche Arbeit, wobei die Lehren des sowjetischen Physiologen Pawlow ab Anfang der 1950er bis in die 1960er Jahre die theoretische Grundlage bilden sollten.

Entwicklung der Antidepressivatherapie (1956–1965)

1952 wurde erstmals Chlorpromazin für psychische Erkrankungen eingesetzt, 1957 folgte die Entdeckung der antidepressive Wirkung des Imipramins, das ab 1958 in Westdeutschland erhältlich war. In der DDR kam dieses Medikament erst später zum Einsatz, da die Importbeschränkungen nach der Berlin-Krise und der Trennung vom Westen die Versorgung erschwerten. Die Behandlungsmethoden blieben zunächst vorwiegend somatisch, wobei eine Vielzahl heterogener Begriffe wie „sinnlose“, „vital gefärbte“ oder „Dysthymie“-artige Zustände für depressive Episoden verwendet wurden. Die Diagnostik war noch uneinheitlich, eine klare Systematik fehlte.

Blütezeit der Depressionsforschung (1965–1975)

In den 1960er Jahren nahmen Veröffentlichungen zur Depression deutlich zu. Seit 1973 konnte die DDR selbst Imipramin produzieren. Die klinische Forschung analysierte Wirkungsweisen, Dosierungen und Behandlungserfolge, wobei die Psychiatrie des Karl-Leonhard-Schulungszentrums die Nutzung von Psychopharmaka kritisch sah und die Bedeutung der natürlichen Symptomentwicklung betonte. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden Begriffe wie „depressives Syndrom“ statt theorethischer Diagnosen verwendet. Der Einfluss westlicher und sowjetischer Wissenschaft wuchs, und es entstanden zunehmend interdisziplinäre Ansätze, inklusive immunologischer Perspektiven.

Rehabilitierung therapeutischer Ansätze und Reformbewegungen (1975–1989)

Mit der Entspannungspolitik der 1970er Jahre gab es erste Versuche, wissenschaftliche und therapeutische Standpunkte aufzubrechen. Psychotherapie und psychosoziale Konzepte wurden schrittweise anerkannt, und die Diagnose „depressive Episode“ wurde zunehmend genutzt. Kritische Stimmen forderten eine Rückbesinnung auf die biopsychosoziale Medizin. Ab Mitte der 1980er Jahre begann die Auflösung der strengen dichotomen Diagnostik der endogenen und neurotischen Depressionen. Relevante Forschungsrichtungen, wie die sozialpsychiatrische Reform und die Studie der Suizidalität, wurden verstärkt. Auch die Nutzung moderner psychotherapeutischer Verfahren nahm zu, wobei die Versorgung meist nur selektiv und in Nischen erfolgte.

Fazit

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die ostdeutsche Psychiatrie trotz politischer und ideologischer Einflüsse stets bestrebt war, wissenschaftliche Fortschritte zu erzielen und ihre Behandlungskonzepte weiterzuentwickeln. Obwohl sie im internationalen Vergleich oft als marginal oder geprägt von staatlicher Kontrolle wahrgenommen wurde, kann festgehalten werden, dass die DDR-Psychiatrie eigene Impulse, innovative Denkansätze und teilweise fortschrittliche Therapieansätze hervorgebracht hat. Die systematische Betrachtung ihrer Entwicklung im Bereich der Depressionen offenbart eine komplexe Wechselwirkung zwischen wissenschaftlicher Forschung, politischen Vorgaben und gesellschaftlichen Veränderungen.

Quellen

Thormann, Julia; Himmerich, Hubertus; Steinberg, Holger: Depressionsforschung in der DDR – historische Entwicklungslinien und Therapieansätze, in: Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie 82 (2), 2014, S. 68–77.

Weiterführende Literatur

Thormann, Julia; Himmerich, Hubertus; Steinberg, Holger: Depressionsforschung in der DDR. Historische Entwicklungslinien und Therapieansätze, in: Kumbier, Ekkehardt; Steinberg, Holger (Hg.): Psychiatrie in der DDR. Beiträge zur Geschichte., Berlin-Brandenburg 2018 (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte, Bd. 24), S. 275–288.

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