Zwangssterilisationen im NS-Staat und ihre Aufarbeitung in der DDR

Was waren die Zwangssterilisationen?

Mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 etablierten die Nationalsozialisten ein System staatlich angeordneter Unfruchtbarmachungen. Entscheidungsinstanzen waren Erbgesundheitsgerichte; betroffen waren als „erbkrank“ kategorisierte Menschen, darunter Personen mit Diagnosen wie „angeborener Schwachsinn“, Schizophrenie, Epilepsie oder chronischem Alkoholismus. Das Gesetz trat am 1. Januar 1934 in Kraft und bildete die Grundlage für massenhafte Zwangssterilisationen im Rahmen der sogenannten „Rassenhygiene“.

Erste juristische Schritte nach 1945

Nach 1945 kam es in der Sowjetischen Besatzungszone zunächst zu Verfahren gegen beteiligte Ärzte, unter anderem in Cottbus, Schwerin und Greifswald. Bereits im Frühjahr 1946 forderte die Deutsche Justizverwaltung jedoch einen Stopp der Strafverfolgung für Eingriffe „lediglich zwecks Verhütung von Erbkrankheiten“; die Sowjetische Militäradministration stimmte im Mai 1946 zu. Verfolgt werden sollten fortan nur Zwangssterilisationen aus „politischen oder rassischen Gründen“. 1949 wurde ein Revisionsverfahren beendet; damit hörte die Strafverfolgung für eugenisch begründete Eingriffe noch vor der Staatsgründung der DDR auf.

In den 1950er Jahren kam die strafrechtliche Auseinandersetzung vollständig zum Stillstand. Gerichte hatten sich zunächst am Kontrollratsgesetz Nr. 10 orientiert, rückten aber rasch von einer umfassenden Verfolgung ab. Die Frage nach der breiten Mitwirkung von Ärzten an Zwangssterilisationen spielte keine Rolle mehr.

Diskussionen Ende der 1960er Jahre

Anfang 1969 erörterte der stellvertretende Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger (SED) – Arzt und Jurist, von 1971 bis 1989 Gesundheitsminister der DDR – mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die rechtliche Einstufung von NS-Zwangssterilisationen. Mecklinger stellte zur Diskussion, ob es sich lediglich um vorsätzliche Körperverletzung handele, die verjährt sei, und bezeichnete eine Verfolgung als politisch „ungünstig“. Er hielt den Aufwand für kaum leistbar und kalkulierte, dass in hunderten Klinikarchiven Akten zu über einer Million Eingriffen auszuwerten wären. Er regte an, dass das MfS verdeckt Akten prüfen könne.

In dieser Zeit arbeitete das Gesundheitsministerium an einem Gesetz zur Wunschsterilisation, das 1972 im Zusammenhang mit der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs verabschiedet wurde.

Folgen für Opfer und Fachwelt

Eine öffentliche und systematische Aufarbeitung fand nicht statt. Opfer wurden in der DDR lange nicht als solche anerkannt; auch eine Entschädigung blieb aus. Fachliche Leitlinien zum Umgang mit der NS-Vergangenheit fehlten. Zwar erschienen seit den 1970er- und 1980er-Jahren einzelne medizinhistorische Beiträge, doch die Frage nach der Mitverantwortung der Ärzteschaft insgesamt wurde nicht aufgegriffen.

Die DDR verstand sich als antifaschistischer Staat, stellte jedoch politische Interessen und die Sicherung der ärztlichen Versorgung über eine konsequente Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Damit blieb das Kapitel der Zwangssterilisationen im Gesundheitswesen weitgehend unbearbeitet, obwohl zahlreiche Ärzte, die daran beteiligt gewesen waren, nach 1945 weiter tätig waren.

Quellen und Literatur

BArch, DP 1/116

Stadtarchiv Leipzig, 1.3.4.7.2b, Städtisches Krankenhaus St. Georg, Sterilisationsakten, Nr. 141, 183, 346

Erices, R. (2018). Fehlende Aufarbeitung: Zwangssterilisationen in Leipzig in der NS-Zeit und der spätere Umgang damit. In E. Kumbier & H. Steinberg (Hrsg.), Psychiatrie in der DDR. Beiträge zur Geschichte (Bd. 24, S. 69–78). be.bra wissenschaft verlag

Sachse, C. (2014). Zwangssterilisation und Eugenik im Nationalsozialismus. Studien zur Geschichte der Verhütung „erbkranken“ Nachwuchses. Lit Verlag

Roelcke, V., & Rotzoll, M. (Hrsg.). (2005). „Erbgesundheitsrecht“ und Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Wallstein

Nowak, K. (1977). „Euthanasie“ und Sterilisierung im „Dritten Reich“. Die Konfrontation der evangelischen und katholischen Kirche mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und der „Euthanasie“-Aktion. Halle (Saale)

Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, Reichsgesetzblatt I, Nr. 86, 529–531

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