
Akteur

Prof. Dr. med. Bernhard Schwarz (1918–1991)
visionärer Wissenschaftler, Boxer und Sozialpsychiater
Bernhard Schwarz vereinte in seiner Arbeit neurobiologische, sozialpsychiatrische und sozialtherapeutische Ansätze und hatte wesentlichen Einfluss auf die Behandlung von Gehirnverletzungen, die Betreuung älterer Menschen und die Rehabilitationsarbeit im Allgemeinen. Seine Arbeit zeigt eine innovative Haltung, die auch heute noch hochaktuell wirkt.
Man kann feststellen, daß die Patientenversorgung in lokal unterschiedlichem Grade hinter dem vom internationalen Wissensstand her möglichen Niveau zurückgeblieben ist.
Schwarz, Bernhard; Weise, Klaus; Bach, Otto u. a.: Über die strukturelle und funktionelle Konzeption der stationären und ambulanten psychiatrischen Versorgung in Leipzig, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 28 (5), 1976, S. 307–313, hier S. 307.Prävention und Schutzmaßnahmen bei Boxern
Ein bedeutendes Fachgebiet von Schwarz war die Sportmedizin. Als Verbandsarzt der DDR-Boxer begleitete er die Athleten von 1960 bis 1979 zu Großereignissen, darunter den Olympischen Spielen 1960 in Rom. Die enge Zusammenarbeit erlaubte ihm, an 889 Boxern Langzeitstudien durchzuführen. Ziel war es, die Folgen wiederholter Kopfverletzungen zu untersuchen und präventive Maßnahmen zu entwickeln, um Folgeschäden wie Depressionen, Demenz, Parkinson und das Punchdrunk-Syndrom (jetzt CTE) zu verhindern.
Schwarz zeigte, dass Hirnverletzungen Symptome wie Sprach- und Gedächtnisstörungen, Augenmuskelparesen und neurologische Defizite wie Reflexveränderungen verursachen können. Er warnte vor den Langzeitfolgen, die erst Tage später sichtbar werden. Seine Schutzmaßnahmen, darunter regelmäßige neurologische Checks, Kampfpause nach K.o.-Schlägen und das Tragen eines Kopfschutzes, wurden von Boxverbänden allmählich übernommen. Seine Arbeiten trugen dazu bei, das Bewusstsein für Gehirnschäden bei Kontaktsportarten zu schärfen.
Porträt
1918 | 1. Juni: in Roßlau/ Elbe geboren |
1937 | Abitur in Dessau |
1938–1945 | Kriegsdienst, ab 1940 Medizinstudium in Heidelberg, dann Famulatur in der Heilanstalt Wiesloch |
1945–1948 | Assistenzarzt in Bremen, Dessau, Chemnitz, 1947 Approbation |
1951 | Promotion zum Thema: „Die Raumbegrenzung von Acusticusneurinomen“ an der Universität Leipzig |
1959 | Habilitation zum Thema „Die konservative Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas“ |
ab 1962 | Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie Leipzig-Dösen |
1960–1979 | Begleitung zu weltweiten Wettkämpfen als Facharzt für Sportmedizin und Verbandsarzt des „Deutschen Boxsport-Verbandes“ (DBV) der DDR |
1965 | Professur mit Lehrauftrag für das Fachgebiet Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig |
1965–1971 | Neben seiner Leitungsfunktion in Leipzig-Dösen, ist er zeitgleich als Direktor der Psychiatrischen Klinik der Karl-Marx-Universität Leipzig tätig und Professor mit Lehrauftrag für Psychiatrie. 1971 bittet Schwarz, ihm von seiner universitären Funktion zu entbinden. Sein Nachfolger wird Klaus Weise. |
Mitgliedschaften: – 1945 SPD (ab 1946 SED) – 1960 Vorsitzender der Ärztekommission beim Deutschen Boxsportverband – 1962 Mitglied im „Nationalen Olympischen Kommitee der DDR“ | |
1986 | Durch den stärker auf sozialistische Einheitlichkeit ausgerichteten Führungsstil der Berliner Bezirksärztin muss Jun ihre Leitungsfunktion im Kreisdispensaire Berlin-Lichtenberg abgeben. Sie übernimmt eine untergeordnete Position im ambulanten Kinder- und jugendneuropsychiatrischen Dienst Friedrichshain. |
1991 | 31. März: Tod in Berlin, Beisetzung in Leipzig |
Rehabilitative Ansätze und soziale Arbeit
Neben der Sportmedizin engagierte sich Schwarz intensiv in der Gerontopsychiatrie. 1971 stellte er das Modell eines „Alterspatientenklubs“ vor. Ziel war es, den Übergang älterer Menschen vom Krankenhaus in den ambulanten Alltag zu erleichtern. Schwarz betonte, dass Alterserkrankungen nicht nur biologisch, sondern vor allem sozial bedingt seien. Veränderungen in Familie, Beruf und gesellschaftliche Rollen führten häufig zu sozialer Isolation und psychischen Krisen.
Er erkannte, dass die sozialen Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf altersspezifischer Erkrankungen spielten. Die sogenannten Krisensituationen könnten durch verstärkte soziale Unterstützung vermindert werden. Der Altersklub, der regelmäßig zweimal wöchentlich in Leipzig stattfand, erzielte große Erfolge: Die Teilnahme der Patientinnen und Patienten führte zu keiner einzigen Rezidiv-Erkrankung in einem Jahr, und die Teilnehmer fühlten sich wesentlich besser integriert.
Arbeitstherapie und Integration
Schwarz war überzeugt, dass das Arbeiten im Rahmen eines klinischen Settings wesentlich für die Rehabilitation sei. Er untersuchte die Belastbarkeit von Patienten durch schrittweise Aufgaben und beobachtete genau ihre Reaktionen. Dabei waren Mimik, Gestik, Aufmerksamkeit und Gedächtnis entscheidende Kriterien. Ziel war es, den Patienten durch praktische Übungen eigenverantwortlich tätig sein zu lassen und so Selbstvertrauen und Selbstwert zu stärken. Er betonte, dass die Arbeitserprobung dazu beitrage, den Patienten auf die Rückkehr ins Berufsleben vorzubereiten und soziale Kompetenzen wiederherzustellen. Bereits vor den später in den 1960er Jahren formulierten Rodewischer Thesen hatte Schwarz erfolgreich arbeits- und sozialtherapeutische Programme in seiner Klinik implementiert. Seine Modelle sahen die berufliche Reintegration vor allem als Mittel zur gesellschaftlichen Integration und Selbstständigkeit der Patienten, im Gegensatz zu bloßen Pflege- oder Unterbringungsmaßnahmen. Seine Ansätze waren innovativ, vor allem weil sie auf die individuelle Belastbarkeit der Patienten abzielten und auf eine realistischerweise erreichbare Rückkehr ins Arbeitsleben setzten.


Humanistischer Ansatz
Schwarz wurde als warmherziger, geduldiger Mensch beschrieben, der im klinischen Alltag auf Hierarchien wenig wertlegte. Seine menschliche Einstellung trug maßgeblich dazu bei, dass er von Patienten, Kollegen und Sportlern gleichermaßen geachtet wurde. Seine Haltung spiegelte die sozialistische Idee wider, den Menschen im Ganzen zu betrachten, seine körperlichen, seelischen und sozialen Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen.
In seiner Laufbahn vereinte er wissenschaftliche Innovation mit praktischem Engagement. Seine langjährigen Studien, seine klinische Arbeit sowie seine präventiven und rehabilitativen Modelle beeinträchtigten die damalige Behandlungspraxis erheblich und lieferten wichtige Impulse für die späteren Entwicklungen in der Neuro-, Sport- und Gerontopsychatrie.
Auswahl Publikationen
Schwarz, Bernhard; Weise, Klaus; Thom, Achim (Hg.): Sozialpsychiatrie in der sozialistischen Gesellschaft, Leipzig 1971.
Schwarz, Bernhard; Weise, Klaus; Bach, Otto u. a.: Über die strukturelle und funktionelle Konzeption der stationären und ambulanten psychiatrischen Versorgung in Leipzig, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 28 (5), 1976, S. 307–313.
Schwarz, Bernhard; Weise, Klaus: Modell der Sektorisierung als Grundlage der langfristigen Betreuung psychisch Kranker, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie. Beiheft 24, 1979, S. 25–28.
Schwarz, Bernhard; Weise, Klaus: Psycho- und Soziotherapie als kontinuierlicher Prozeß im Rahmen eines komplexen stationären und ambulanten Versorgungssystems, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie. Beiheft 24, 1979, S. 117–120.
Quellen und Literatur
Bart, Katrin; Steinberg, Holger: Die Beiträge des DDR-Sportmediziners und Nervenarztes Bernhard Schwarz (1918-1991) zum Boxen, in: Sportverletzung Sportschäden: Organ Der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin 32 (1), 2018, S. 66–74.
Bart, Katrin; Steinberg, Holger: Vom Boxsport bis zur Gerontopsychiatrie, in: Der Nervenarzt 89 (11), 2018, S. 1294–1302.