Psychologen in der DDR‑Psychiatrie – Konflikte, Reformen, Professionalisierung

Die Einsatzbereiche klinischer Psychologen in der DDR waren in den 1950er Jahren unklar und umstritten. Vor dem Hintergrund wachsender Absolventenzahlen wurde die Abgrenzung gegenüber ärztlicher Tätigkeit kontrovers diskutiert: Einige führende Psychiater forderten Rücknahme ärztlicher Aufgaben, lehnten Psychotherapie durch Nichtmediziner ab und sahen Psychologen nur als „Gehilfen“ für Prophylaxe, Rehabilitation und Forschung; andere plädierten für Kooperation.

Ausbildung und Professionalisierung

Nach 1945 entstanden Psychologie‑Diplomstudiengänge an mehreren Hochschulen; ab 1962 erfolgte eine Spezialisierung (klinisch, sozial, Arbeits‑/Ingenieur‑, Pädagogische Psychologie). Zwischen 1949 und 1978 stieg die Zahl klinisch tätiger Psychologen stark an. Die Entwicklung der klinischen Psychologie lässt sich in drei Phasen gliedern: 1951–1962 (Anfang, Selbstfindung), 1962–1980 (Aufbau systematischer Weiterbildung, Sektionen, Verbreitung psychotherapeutischer Verfahren) und 1981–1990 (staatlich geregelte Weiterbildung zum „Fachpsychologen der Medizin“, Anerkennung klinischer Teilaufgaben und Partnerschaft mit Ärzten). Ab den 1970er Jahren übernahmen Psychologen zunehmend eigene psychotherapeutische Aufgaben und Leitungsfunktionen.

Zwischen Misstrauen und Integration

Berichte von in der DDR tätigen Psychologinnen oder Psychologen zeigen, dass sie anfangs auf Ablehnung stießen. Durch Berührungsängste seitens von Ärzten und dem Pflegepersonal galten Psychologen teils als „Exoten“ und psychotherapeutische Verfahren als Luxus. Probleme entstanden durch unklare Zuständigkeiten, mangelnde Information über Patientenverläufe und geringe therapeutische Ausbildung des Pflegepersonals. Positive Zusammenarbeit wurde vor allem auf Psychotherapiestationen, in der Kinder‑ und Jugendpsychiatrie sowie dort beschrieben, wo leitende Ärzte psychologische Arbeit förderten.

Und die Pflege konnte mit uns überhaupt nichts anfangen, also wieso Psychologen, und warum sind die den Ärzten ja fast gleichgestellt, […] Man war ja so was, ein Exot.

Zeitzeugeninterview

Von persönlichen Prägungen zu strukturellen Reformen

Berufliche Qualifizierung trug wesentlich zur Anerkennung bei: Einführung des Facharztes für Psychotherapie (1978/1986), Reform der Pflegeausbildung (ab 1974) und staatlich geregelte Weiterbildung „Fachpsychologe der Medizin“ (ab 1981) stärkten fachübergreifendes Verständnis und flachere Hierarchien.

Einflussgrößen waren persönliche Begegnungen, lange Klinikzugehörigkeiten, räumliche Nähe der Beschäftigten, Leitungspolitik der Kliniken und fachliche Ausrichtung der Chefärzte. Ab Ende 1970er Jahre förderten die Brandenburger Thesen zur Therapeutischen Gemeinschaft sowie strukturelle Reformen die Öffnung gegenüber psychosozialen Faktoren: Auflösung geschlechtsgetrennter Stationen, Öffnung der Stationen, störungsspezifische Abteilungen, mehr psychotherapeutische Angebote und teils ambulante Strukturen.

Fazit

Die Stellung klinischer Psychologen in der DDR verbesserte sich deutlich: Von anfänglichen „Gehilfen“-Rollen entwickelte sich vielfach ein partnerschaftliches Zusammenwirken mit Ärzten. Umsetzung und Akzeptanz blieben jedoch standort‑ und leitungsabhängig; rechtlich blieben Psychologen eingeschränkt (keine eigenständigen Diagnosen, fehlende rechtliche Regelungen). Viele Befragte sahen die volle Anerkennung erst nach der politischen Wende erreicht, mit freiem Zugang zur internationalen Fachliteratur und erweiterten beruflichen Möglichkeiten.

Quellen

Windirsch, Antonia; Kumbier, Ekkehardt: Der Psychologe in der psychiatrischen Versorgung der DDR. Vom «Gehilfen» zum «Kooperationspartner» des Arztes?, in: Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen (Hg.): Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte, Berlin 2023, S. 237–251.

Windirsch, Antonia: Der Psychologe in der psychiatrischen Versorgung der DDR: vom «Gehilfen» zum «Kooperationspartner» des Arztes?, Universität Rostock, Rostock 2023.

Weiterführende Literatur

Rösler, Hans-Dieter: Klinische Psychologie als Berufsfeld im Osten Deutschlands, in: Zeitschrift für Psychologie, 209 (2001), S. 92–101.

Busse, Stefan: Psychologie als disziplinierte Profession, in: Strauß, Bernhard; Erices, Rainer; Guski-Leinwand, Susanne u. a. (Hg.): Seelenarbeit im Sozialismus. Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR, Gießen 2022, S. 139–171.

Busse, Stefan: Psychologie im Real-Sozialismus: DDR-Psychologen im Interview, Pfaffenweiler 1996.

Busse, Stefan: Gab es eine DDR-Psychologie?, in: Psychologie und Geschichte 5 (1/2), 1993, S. 40–63.

Guski-Leinwand, Susanne: Psychologie unter politischem Diktat in der DDR, Gießen 2024.

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