Bezirksärzte in der DDR –
Schaltstellen zwischen Medizin und Macht

Schnittstelle von Staat und Gesundheitswesen

Bezirksärzte nahmen in der DDR eine herausgehobene Position ein. Angesiedelt beim Rat des Bezirkes, waren sie das Bindeglied zwischen dem Gesundheitsministerium und den regionalen Einrichtungen. Ihre Weisungsbefugnis reichte von Krankenhäusern und Polikliniken bis hin zu Pflegeheimen, Kinderkrippen und Apotheken. Sie entschieden über die Zulassung zum Medizinstudium, über Personalfragen und über Auslandsreisen von Ärzten. Vorausgesetzt wurden Approbation, Promotion, Facharzttitel – und zugleich „fundierte Kenntnisse des Marxismus-Leninismus“ sowie ein „ausgeprägtes sozialistisches Bewusstsein“. Damit waren sie nicht nur medizinische Funktionsträger, sondern in gleichem Maße staatliche Funktionäre.

Zum Arbeitsalltag gehörten unzählige organisatorische Aufgaben: von der Zuweisung knappen Wohnraums für junge Ärzte über die Verteilung medizinischer Geräte bis hin zu Investitionsentscheidungen in Millionenhöhe. Oft mussten Bezirksärzte zwischen konkurrierenden Ansprüchen vermitteln – den Bedürfnissen der Patienten, den Forderungen der Krankenhäuser und den Erwartungen der Partei. Ihre Stellung war dadurch einerseits privilegiert, andererseits mit enormem Druck verbunden.

Ein dauerhaftes Problem war die Mangelwirtschaft. Engpässe bei Medikamenten, fehlende Ersatzteile für Medizintechnik oder unzureichende Pflegeplätze bestimmten den Alltag. In manchen Regionen waren Operationssäle wegen fehlender Ausstattung gesperrt, in Pflegeheimen lebten mehrere Bewohner in überfüllten Zimmern. Selbst grundlegende Dinge wie Verbandsmaterial, Watte oder Waschmittel fehlten über Jahre hinweg. Bezirksärzte mussten diese Defizite verwalten, umverteilen und notdürftig kompensieren.

Zwischen Berufsethos und politischem Druck

Die Staatssicherheit sah in den Bezirksärzten Schlüsselpersonen: Sie konnten Personalverschiebungen veranlassen, Missstände verschweigen oder publik machen und sensible Patientendaten weitergeben. Entsprechend eng war eine offizielle oder inoffizielle Zusammenarbeit des MfS mit den Bezirksärzten. Mindestens ein Dutzend Bezirksärzte wirkten nachweislich als Spitzel.

Im Fall des Ost-Berliner Bezirksarztes Gerhard Jacob, alias GMS „Gerhard“, wird in den Unterlagen deutlich, dass er für seine Kooperation mit der Staatssicherheit ausgezeichnet wurde. In der Begründung für den Orden findet sich unter anderem der Hinweis auf seine Mithilfe bei Einweisungen in psychiatrische Einrichtungen.

Von den Bezirksärzten erwartete das MfS auch, dass sie bei Bedarf unliebsame Kollegen „umbesetzten“, Blankorezepte bereitstellten oder den Zugang zu West-Medikamenten ermöglichten. Eine Karriere als Bezirksarzt war in den 1970er und 1980er Jahren ohne Parteimitgliedschaft in der Regel ausgeschlossen; Loyalität zur SED musste im Alltag immer wieder bekräftigt werden. Damit waren Bezirksärzte nicht nur medizinische Leiter, sondern zugleich Teil des politischen Kontrollsystems.

Auch ohne direkte Verpflichtung zur Stasi standen die Ärzte im Spannungsfeld zwischen politischen Erwartungen und medizinischer Verantwortung. Der Berliner Bezirksarzt Geerd Dellas, insgesamt systemtreu und pflichtbewusst, formulierte in einer internen Lageeinschätzung kurz vor dem Ende der DDR seine Verzweiflung über die Zustände in drastischen Worten.

Allein das „Drama“ mit den täglichen Eingaben ist für mich fast unerträglich geworden. Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.

„Credo“ von Geerd Dellas, Bezirksarzt von Ost-Berlin, vom 06.10.1989, unterzeichnet mit „Venceremos“ (BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3845)

Ein widersprüchliches Erbe

Die Archivunterlagen zeichnen ein doppeltes Bild. Bezirksärzte waren bestens informiert: Sie kannten die Medikamentenengpässe, sahen den baulichen Verfall vieler Krankenhäuser und berichteten regelmäßig über die wachsende Abwanderung von Ärzten. All das trugen sie an die zuständigen Stellen weiter – und wussten damit sehr genau um den maroden Zustand des Gesundheitswesens. Gleichzeitig zeigen die Akten aber auch ihre Rolle als loyale Vertreter der sozialistischen Gesundheitspolitik.

In der Erinnerung vieler DDR-Bürger gilt das Gesundheitssystem bis heute als zuverlässig und gerecht. Die internen Dokumente sprechen eine andere Sprache: Sie berichten von Überlastung, Verfall und politischer Instrumentalisierung. Bezirksärzte standen mitten in diesem Spannungsfeld – einerseits verpflichtet, für eine funktionierende Versorgung zu sorgen, andererseits eingebunden in die staatlichen Vorgaben. Zwischen Fürsorge und Systemzwang, zwischen medizinischem Ethos und politischer Loyalität wurden sie zu Symbolfiguren dafür, wie eng Medizin und Macht in der DDR miteinander verflochten waren.

Quellen und Literatur

BArch, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3845, Bl. 1.

BArch, MfS, BV Berlin, AGMS, Nr. 6143/91, Bl. 20.

Erices, R. (2014). Im Dienst von Staat und Staatssicherheit: Bezirksärzte der DDR in einem maroden Gesundheitssystem. Totalitarismus und Demokratie, 11(2), 207–220.

Erices, R. (2013). „Ein kaum zu lösendes Problem“. Das DDR-Gesundheitswesen in den Bezirksarzt-Akten der Staatssicherheit. Gerbergasse 18, 1, 26–33.

Süß, S. (1999). Politisch missbraucht: Psychiatrie und Staatssicherheit in der DDR. Berlin: Ch. Links.

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