Psychophysiologische Geheimnisse:
Lügendetektoren und Sprachanalysen bei der Stasi

Unerwartete Forschung im Dienste der Staatssicherheit

Wenn man an die Staatssicherheit denkt, kommen einem Spitzelberichte, Observationen oder abgehörte Telefonate in den Sinn. Weniger bekannt ist, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auch auf einem Gebiet aktiv war, das man eher in psychologischen Laboren vermuten würde: der Psychophysiologie. Ziel war es, innere Zustände wie Stress oder Täuschung mithilfe technischer Geräte messbar zu machen – also eine Art „Geheimdienstpsychologie“ zur Kontrolle von Menschen.

Schon Ende der 1960er Jahre begannen MfS-Spezialisten, sich mit Polygraphen („Lügendetektoren“) auseinanderzusetzen. Während die MfS-Führung solche Methoden offiziell als „moralisch abzulehnen“ bezeichnete, sammelten einzelne Offiziere Wissen über westliche Geräte, die Puls, Atmung und Hautleitwert registrierten. Eine interne Kommission empfahl bald, eigene Spione systematisch auf solche Tests vorzubereiten. Dazu gehörten nicht nur Atemtechniken oder Muskelanspannungen, sondern auch ideologische Stärkung: Wer überzeugt sei, „dass Fehlinformationen keine Lügen darstellen“, werde gelassener auf westliche Prüfungen reagieren.

Die Testgeräte beschaffte sich das MfS unter Umgehung existierender Embargobestimmungen im Westen. Hier eine Aufnahme eines sog. Lügendetektors, der in einen Koffer passte aus den 1960er Jahren (Keeler Polygraph). (BArch, MfS, HA II Fo 2698, B 9/Erices)

Von Lügendetektoren zur Stimmanalyse

Einen entscheidenden Impuls erhielt die Forschung Anfang der 1970er Jahre durch die Entwicklung spezieller Stimmanalysegeräte im Westen. Diese sogenannten Psychological Stress Evaluators (PSE) registrierten kaum hörbare Veränderungen in der Stimme, die unter Anspannung auftreten. Für die Stasi war dies ein verlockendes Instrument, denn es konnte im Geheimen eingesetzt werden – ein einfaches Tonband reichte.

Die Staatssicherheit beschaffte die Technik trotz Embargo aus den USA. In konspirativen Wohnungen wurden Hunderte Stimmen von Spitzeln, Verdächtigen oder auch Beschuldigten analysiert. Sogar im Rahmen von Strafverfahren, etwa bei Brand- oder Sexualdelikten, kamen Stimmanalysen zum Einsatz. Besonders brisant war der Fall eines Leipziger Psychotherapeuten, der als Inoffizieller Mitarbeiter Gespräche mit Patienten über Homosexualität und Transsexualität aufzeichnen und den Kassetten an die Staatssicherheit übergeben sollte.

Die Verwendung des Polygraphen im Dienste imperialistischer Interessen muss deshalb von der Position der marxistischen Ethikauffassung ohne Einschränkung seiner Einsatzbereiche in seiner Gesamtheit grundsätzlich als ethisch-moralisch verwerflich charakterisiert werden.

Heinz Korffmann, Dissertation an der Juristischen Hochschule des MfS, 1970

Forschung zwischen Kontrolle und Ideologie

Die Technik war fehleranfällig, die Ergebnisse schwer zu interpretieren. Dennoch wertete die Stasi die Verfahren als nützlich, um „Zuverlässigkeit“ und „Ehrlichkeit“ einzuschätzen. Mit der „Operation Medium“ plante man ein flächendeckendes Netz geheimer Analysezentren in allen Bezirken der DDR.

In den 1980er Jahren nutzte das MfS zunehmend sog. konspirative Objekte (KO), um Gespräche mit Zielpersonen ohne deren Wissen aufzuzeichnen und dann mit Sprachanalysatoren zu überprüfen. Ziel war es, derartige Anlaufpunkte in allen Bezirken einzurichten. In der Regel handelte es sich bei den KO um Einfamilienhäuser in ruhiger oder abgeschiedener Lage. Hier ein Bild vom „Wohnzimmer“ in einem Haus in Biesenthal/Mark. (BArch, MfS, AIM 718/91 Bd. 2, S. 130)

Bis 1989 wurden nachweislich mehrere Hundert Personen getestet – darunter Auslandsspione, Übersiedlungskandidaten, aber auch Regimegegner. Ziel war es stets, Kontrolle zu sichern und Misstrauen abzusichern. Die Öffentlichkeit erfuhr nichts von diesen Forschungen.

Die psychophysiologischen Experimente des MfS zeigen, wie weit der Apparat ging, um Macht zu stabilisieren: Psychologische Verfahren und moderne Technik wurden nicht für Heilung oder Erkenntnis genutzt, sondern für Überwachung und politische Kontrolle.

Im November 1988 erhält ein Leipziger Psychologe, der (vorvernichteten und restaurierten) Stasiakten zufolge an der Universität Sexualsprechstunden anbietet, und vom MfS unter den Decknamen „Kuno“ und „Note“ geführt wird, den Auftrag, von „(wissenschaftlich) interessanten Patienten“ Tonaufzeichnungen anzufertigen. Der Therapeut bekommt das Geld für Kassetten vorgestreckt. Der Therapeut liefert offenbar wie gewünscht Daten zu Homosexuellen.

Quellen und Literatur

BArch, MfS, AIM 718/91, Bd. 2, S. 130.

BArch, MfS, HA II, Fo 2698, B 9.

BArch, MfS, HA II, Nr. 50125.

BArch, MfS, JHS 21800.

Erices, R. (2025). Psychophysiologische Forschung der Staatssicherheit und der Einsatz von sogenannten Lügendetektoren in der DDR. Wiener Medizinische Wochenschrift. https://doi.org/10.1007/s10354-025-01078-8.

Müller-Enbergs, H. (2011). Hauptverwaltung A (HVA): Aufgaben – Strukturen – Quellen. Berlin: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.

Eichner, K., & Schramm, G. (2008). Geschichte der Hauptverwaltung Aufklärung. Berlin: edition ost.

Sieberer, H., & Kierstein, H. (2005). Verheizt und vergessen: Ein US-Agent und die DDR-Spionageabwehr. Berlin: edition ost.

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