
Hinter der Fassade –
Die Krise des Gesundheitswesens gegen Ende der DDR
Dauerhafte Engpässe und strukturelle Defizite
Das Gesundheitswesen der DDR wurde nach außen stets als Vorzeigeprojekt des Sozialismus präsentiert: kostenfreie Behandlung für alle, ein dichtes Netz von Polikliniken und konsequente Vorsorge. Die Realität in den 1970er- und vor allem den 1980er-Jahren sah jedoch zunehmend anders aus. Interne Akten von Gesundheitsbehörden und der Staatssicherheit zeigen exemplarisch ein Bild chronischer Knappheit.
Immer wieder fehlten grundlegende Medikamente und Verbrauchsmaterialien. Herzpräparate, Asthmasprays, Rheumamittel oder einfache Verbandsstoffe waren zeitweise nicht erhältlich. Auch bei medizinischem Verbrauchsmaterial wie Spritzen, Kathetern oder Desinfektionsmitteln kam es regelmäßig zu Engpässen. Moderne Medizintechnik blieb Mangelware – Computertomographen, Ultraschallgeräte oder Dialyseplätze standen nur vereinzelt zur Verfügung. Der Rückstand gegenüber internationalen Standards war eklatant.
Hinzu kam ein spürbarer Ärztemangel. In Neubaugebieten konnten keine Arztpraxen eingerichtet werden, weil Mittel für Polikliniken fehlten. Wohnungsnot hinderte junge Ärzte am Berufsstart, während zugleich viele Kollegen die DDR in Richtung Bundesrepublik verließen. Die verbliebenen Ärzte arbeiteten unter enormer Belastung, teils mit Diensten im 24-Stunden-Rhythmus.
Verfallende Krankenhäuser und überlastete Psychiatrien
Auch die bauliche Substanz vieler Einrichtungen war in einem alarmierenden Zustand. Schon Mitte der 1980er-Jahre galt fast die Hälfte aller Krankenhäuser als stark verschlissen. Aus den Bezirken sind zahlreiche Beispiele überliefert: In Leipzig berichteten Inspektionen von schweren Schäden an Pflegeheimen und Kliniken; in psychiatrischen Fachkrankenhäusern mussten ganze Stationen geschlossen werden, sodass Patienten notdürftig auf Fluren untergebracht wurden. Fachkliniken, etwa für plastische Chirurgie oder Psychiatrie, standen teilweise kurz vor der baupolizeilichen Sperrung.
Solche Einzelfälle verweisen auf ein umfassendes Problem: Viele Einrichtungen konnten nur noch eingeschränkt arbeiten, und insbesondere die psychiatrische Versorgung war von Überbelegung und mangelnder Ausstattung geprägt.
Auch die Bevölkerung nahm diese Missstände wahr. Tausende Eingaben an das Gesundheitsministerium dokumentieren den Unmut über organisatorische Schwächen, mangelnde Hygiene und fehlende Verantwortlichkeit. Offiziell wurde die Lage jedoch beschönigt, da das Gesundheitswesen als Gradmesser der Leistungsfähigkeit des Sozialismus galt.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen sind extrem unzureichend. Nicht selten wird dadurch die Glaubwürdigkeit der Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus angezweifelt.
Einschätzung der Bezirksverwaltung Leipzig der Staatssicherheit zum Gesundheitswesen, 1988Schweigen nach außen – wachsende Zweifel im Inneren
Öffentlich wurden diese Defizite kaum diskutiert. Selbst im Kontext internationaler Krisen wie der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 sollten die Bezirksärzte offiziell verbreiten, dass keinerlei Gefahr für die DDR-Bevölkerung bestünde – kritische Stimmen wurden als „politisch unsicher“ registriert. Die Diskrepanz zwischen offizieller Beschwichtigung und tatsächlicher Erfahrung vertiefte das Misstrauen vieler Ärzte und Patienten.
Im Herbst 1989 war die Stimmung im Gesundheitswesen entsprechend angespannt. In internen Lageberichten war von einem drohenden „Pflegenotstand“ die Rede, die Glaubwürdigkeit der SED wurde auch in medizinischen Kreisen zunehmend in Frage gestellt. So spiegelte das Gesundheitswesen im Kleinen, was für die DDR insgesamt galt: Hinter einer propagierten Fassade war das System weitgehend erschöpft und nicht mehr zukunftsfähig.
Quellen und Literatur
BArch, MfS, BV Leipzig, Abt. XX, Nr. 252/01, Bl. 85–89.
Erices, R., & Gumz, A. (2014). Das DDR-Gesundheitswesen in den 1980er Jahren: Ein Zustandsbild anhand von Akten der Staatssicherheit. Das Gesundheitswesen, 76, 73–78.
Erices, R. (2014). Im Dienst von Staat und Staatssicherheit: Bezirksärzte der DDR in einem maroden Gesundheitssystem. Totalitarismus und Demokratie, 11, 207–220.
Weil, F. (2008). Zielgruppe Ärzteschaft: Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Süß, S. (1999). Politisch missbraucht: Psychiatrie und Staatssicherheit in der DDR. Berlin: Ch. Links.