Mediale Aufmerksamkeit –
Psychiatrie im Fokus der Zeitschrift „Deine Gesundheit“

In der DDR wurde Psychiatrie öffentlich kaum thematisiert. Eine Ausnahme bildete die populärmedizinische Zeitschrift „Deine Gesundheit“ (1955–1993), die sich als aufklärerisches Organ verstand und ein großes Lesepublikum erreichte. Unter Chefredakteuren wie Georg Misgeld und Ursula Hertel bemühte sich die Journalisten um Dialog mit den Lesern und behandelten auch politisch sensible Themen. Psychiatrie erschien darin als modernes, gesellschaftlich relevantes Fach – im Einklang mit den gesundheitspolitischen Vorgaben des Staates, doch auch mit krtitischen Tönen.

Reformideen und gesellschaftliche Verantwortung in den 1960er Jahren

Besonders in den 1960er Jahren rückten Reformideen in den Mittelpunkt, etwa im Umfeld des Rodewischer Symposiums 1963. Beiträge betonten die Abkehr von der „Irrenanstalt“, neue Therapien, Milieugestaltung und das „Offen-Tür-System“. Rehabilitation und die Wiedereingliederung psychisch Kranker wurden als gesellschaftliche Aufgaben beschrieben. Dabei blieb die Darstellung oft idealisierend und stand in deutlichem Kontrast zu den realen Missständen in den psychiatrischen Einrichtungen.

Das Rodewischer Symposium: Reformideen für eine neue Psychiatrie

Das Internationale Symposium für psychiatrische Rehabilitation in Rodewisch (1963) stellte die Rehabilitation in den Mittelpunkt. Deine Gesundheit berichtete ausführlich darüber, u. a. unter dem Titel „Das Wichtigste ist Liebe. Beiträge betonten die Überwindung von Mauern und Vorurteilen, stellten neue Ansätze wie das „Offen-Tür-System“, Arbeitstherapie und Milieugestaltung vor und beschrieben Rehabilitation als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch westliche Stimmen wie Hans Merguet wurden einbezogen.

In weiteren Artikeln – etwa „Nicht Schuld, sondern Krankheit“ und „Behandlung statt Zwang“ – wurden die Reformen in Rodewisch dargestellt, darunter komplexe Therapiekonzepte mit Medikamenten, Psychotherapie und Milieutherapie. Josef Prokupek berichtete über positive Erfahrungen mit dem Offen-Tür-System in Prag. Ehrig Lange hob dessen Bedeutung für einen menschlicheren Umgang mit psychisch Kranken hervor und plädierte für Aufklärung und bessere Versorgungsstrukturen.

Insgesamt warb die Zeitschrift damit für die in Rodewisch diskutierten Reformideen, die eine humanere, weniger zwangsorientierte Psychiatrie und die gesellschaftliche Wiedereingliederung der Patienten propagierten – auch wenn Anspruch und Realität auseinanderfielen.

Historische Perspektiven und NS-Kritik

In „Deine Gesundheit“ erschienen mehrere historische Beiträge zur Psychiatrie. Alexander Mette betonte in „Ohne Ketten und Gewaltsamkeit“ die Entwicklung seit der Antike, den Durchbruch durch Philippe Pinel und Wilhelm Griesinger sowie die materialistische Grundlage der Psychiatrie. Sigmund Freud und die Psychoanalyse wurden dagegen kritisch abgelehnt, da sie von den hirnorganischen Befunden ablenke. In weiteren Artikeln verband Mette Griesingers Werk mit Pawlows Lehre.

Anfang der 1970er Jahre folgten weitere Porträts bedeutender Psychiater: Griesinger wurde im Kontext der Umbenennung des Wuhlgartener Krankenhauses hervorgehoben, Dominique Esquirol als humanistischer Arzt gewürdigt und Paul Flechsig für seine naturwissenschaftliche Haltung gelobt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen an psychisch Kranken in der NS-Zeit blieb zunächst aus. Erst ab den 1970er Jahren änderte sich dies: Peter Hagemann kritisierte in „Ich klage an“ den gleichnamigen Propagandafilm als Vorbereitung auf die Vernichtung „unwerten Lebens“. Heinrich Kirchmair beleuchtete zudem Werner Catels Rolle bei der Kinder-„Euthanasie“ und wies darauf hin, dass DDR-Hochschullehrer jede Tötung ablehnten.

Chefredakteur Misgeld griff Leserreaktionen auf, betonte in Artikeln wie „Einer für viele“ und „Human oder brutal?“ die ablehnende Haltung der DDR gegenüber Euthanasie und setzte sich für den Schutz todkranker Menschen ein.

Herausragend war Hanns Schwarz, der in der Serie „Nach der Stunde Null“ seine Erfahrungen als Direktor der Greifswalder Nervenklinik schilderte. 1975 wurden Porträts und Auszüge aus seinen Erinnerungen veröffentlicht, in denen er die 1954 eröffnete kinderpsychiatrische Station und sein Engagement für den Kinderschutz hervorhob.

Wir haben gesagt, wir kennen keine Tabu-Themen, wir haben alles gemacht, was wir machen wollten, wir haben etwas über Alkoholismus und über Homosexualität gemacht. […] in der Abteilung Gesundheitspolitik beim ZK […] wurde uns empfohlen, das Thema zu lassen: Und da haben wir es dann gerade gemacht.

Von „Wasser-Heften“ und „Männer-Magazinen“, S. 81.

Erstes Schwerpunktheft Psychiatrie: Vorurteile überwinden und Heilung fördern

Das erste Psychiatrie-Schwerpunktheft von „Deine Gesundheit“ (1967, „Ins Hirn geschaut“) versammelte Beiträge von Klaus Weise, Hubert Michaelis und Liese-Lotte Eichler. Weise kritisierte die anhaltenden Vorurteile gegenüber psychisch Kranken, die deren Behandlung und Genesung erschwerten, und forderte ein gesellschaftliches Verständnis zur Überwindung dieser „Abnormenschranke“. Michaelis berichtete von seinen anfänglichen Ängsten vor der Klinik, schilderte aber positive Erfahrungen mit Personal, Mitpatienten und therapeutischen Angeboten und stellte die Frage, ob die Gesellschaft die Patienten nach der Entlassung wirklich akzeptiere.

Eichler stellte das heilpädagogische Konzept des Bárzi-Hauses in Brandenburg-Görden für geistig schwerbehinderte Kinder vor, das auf Pawlows Lerntheorie basiert, und hob die Verantwortung der Gesellschaft für Förderung und Integration hervor. In den 1970er Jahren griff die Zeitschrift weitere Themen wie Alkoholismus, Suizidalität und die therapeutische Unterstützung geistig behinderter Kinder auf. Beiträge wie der von Hans Eichhorn plädierten für eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen, die Psychotherapie sowie Gruppen-, Musik- und Arbeitstherapie einbezieht.

Psychiatrie im Fokus: Modernisierung, Integration und Vorurteilsabbau

Das Juni-Heft 1981 von Deine Gesundheit („Psychiatrie. Aufgaben und Möglichkeiten“) präsentierte die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Psychonervale Störungen“ und betonte die gesellschaftliche Bedeutung von Prävention, Rehabilitation und Integration psychisch Kranker. Beiträge von Klaus Weise, Jürgen Ott, Otto Bach und Peter Hagemann behandelten Vorurteile gegenüber psychisch Kranken, die Abgeschiedenheit von Fachkliniken, psychische Erkrankungen, moderne Therapieformen und die soziale Wiedereingliederung. Besondere Schwerpunkte lagen auf ambulanten Behandlungsangeboten, geschützten Lebens- und Arbeitsräumen sowie der Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen.

1987 thematisierte „Deine Gesundheit“ die gemeindenah organisierte psychiatrische Versorgung in Leipzig unter Weise. Helga Wagner berichtete über Patientenbetreuung, therapeutische Klubs, Familienbeteiligung und die Rolle der Betriebe bei der Wiedereingliederung.Porträts wie das von Ursula Plagemann zeigten Psychiaterinnen im lebensraumnahen Einsatz, während Patienten ihre Erfahrungen mit Vorurteilen und Unterstützung schilderten. Ein Leserbrief betonte den Bedarf an Aufklärung und echter Hilfe statt Mitleid.

Psychiatrie in der Wendezeit: Debatten, Reformen und gemeindenahe Versorgung

Mit der politischen Wende 1989/90 rückte auch der mögliche politische Missbrauch der Psychiatrie in Leipzig in den Fokus von „Deine Gesundheit“. In „Leser an uns“ berichteten Brigitte Schneider und Matthias Niemann über einen Brief der Basisgruppe Psychiatrie Neues Forum Leipzig an den Gesundheitsminister, der Untersuchungen und Aufklärung forderte. Klaus Weise wies die Vorwürfe zurück, betonte die Notwendigkeit differenzierter Prüfung und argumentierte gegen pauschale Forderungen wie Schließung von Großkrankenhäusern oder Verbote therapeutischer Verfahren.

1993 erschien die letzte Ausgabe der Zeitschrift mit der Reportage „Psychiatrie-Reform Ost“ von Andrea Wodke. Vorgestellt wurde der Leipziger Verein zur Wiedereingliederung psychosozial geschädigter Menschen e.V. mit Projekten zu gemeindenahem Wohnen, Arbeiten und Freizeit sowie Selbsthilfefirmen auf dem Gutshof, deren Pläne der Geschäftsführer Georg Pohl erläuterte.

Quellen

Müller, Thomas R.; Haack, Kathleen; Grabe, Hans Jörgen u. a.: „Deine Gesundheit“ – Spiegelbild der Sozialpsychiatrie in der DDR?, in: Psychiatrische Praxis 50 (7), 2023, S. 375–380.

Müller, Thomas R.: „Psychisch Kranke – Menschen wie wir“ Psychiatrie und psychiatrische Versorgung in der populärwissenschaftlich-medizinischen Zeitschrift „Deine Gesundheit“, in: Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen (Hg.): Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte, Berlin 2023, S. 139–166.

Von „Wasser-Heften“ und „Männer-Magazinen“. Aus dem Gespräch mit Ursula Hertel (Deine Gesundheit) und Axel Bertram (Gestalter von NBI und Wochenpost), Moderation: Dietrich Mühlberg, in: Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin, 1999, S. 77–90.

Weiterführende Literatur

Wahl, Markus: Volkseigene Gesundheit: Reflexionen zur Sozialgeschichte des Gesundheitswesens der DDR. Einleitung, in: Wahl, Markus (Hg.): Volkseigene Gesundheit: Reflexionen zur Sozialgeschichte des Gesundheitswesens der DDR, Bd. 75, Stuttgart 2020 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte – Beihefte).

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