Die Entwicklung des DDR-Gesundheitswesens

1945 – 1949: Wiederaufbau unter kritischen Bedingungen

Mit dem Kriegsende 1945 beginnt in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) der Wiederaufbau eines Gesundheitswesens. Es fehlt allerdings zunächst an allem: Die Menschen leiden unter Mangelernährung, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal, klinische Einrichtungen kaum vorhanden. Viele Ärzte verlassen daher die Ostzone gen Westen, verstärkt auch durch die beginnende Entnazifizierung. Auch die Produktion von Medikamenten ist problematisch, da Herstellerbetriebe vorwiegend im Westen Deutschlands liegen.

Entscheidende Weichen innerhalb der neuen Strukturen des Gesundheitswesens werden bereits vor der Gründung der SED 1946 unter Führung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) gestellt, die eine eigene Abteilung für Gesundheitswesen hat. Entsprechend des SMAD-Befehls Nr. 17 vom 27. Juli 1945 wird die „Deutsche Zentralverwaltung für Gesundheitswesen“ (DZVG) – als Vorläufer des späteren Gesundheitsministeriums – geschaffen, die den sowjetischen Besatzern unterstellt ist. SMAD und DZVG sprechen sich regelmäßig ab. Unter dem Dach der Zentralverwaltung werden neue regionale Gesundheitsbehörden in den einzelnen noch existierenden Ländern innerhalb der SBZ eingerichtet. Diese sind zwar ebenfalls in die föderalistische Leitungsstruktur eingebunden, können jedoch gesundheitspolitische Aufgaben auf Landesebene zum Teil noch im Alleingang lösen.

Der Aufbau des neuen zentralistischen Gesundheits- und Sozialwesens orientiert sich an bereits vorhandenen Strukturen in der Sowjetunion, greift zugleich aber auch auf Reformbewegungen von Anfang des 20. Jahrhunderts sowie aus der Zeit der Weimarer Republik zurück. Ärztliche Standesorganisationen und Strukturen der Selbstverwaltung (z. B. Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigung) werden verboten oder schrittweise aufgelöst. Grundsätzlich garantiert werden soll eine allgemein zugängliche kostenfreie Gesundheitsfürsorge für alle Bürger mit freier Arztwahl bei einheitlicher Sozialversicherung, die 1947 nach Vorgaben der SMAD geschaffen wird. Im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bekommt damit jeder Einzelne das Recht auf eine medizinische Betreuung – verbunden damit ist allerdings auch die Pflicht zur Gesundheitsfürsorge. Schließlich, so der zugrundeliegende Gedanke, lässt sich nur über den Schutz und die Wiederherstellung der Arbeitskraft der Menschen eine Steigerung der allgemeinen Arbeitsproduktivität garantieren.

Dieser Gedanke der Prävention als Leitkonzept einer Sozialhygiene wird bestimmend für die neue Gesundheitspolitik. Unterstützt werden diese Ziele insbesondere durch den Aufbau eines umfangreichen Systems aus Prophylaxe, Betriebsgesundheitswesen und Dispensaire-Einrichtungen für chronische Erkrankungen.

Ab 1947 setzen die neuen Machthaber mit der Gründung von Polikliniken, also ambulanten Zentren verschiedener Fachrichtungen (i. d. R. nicht psychiatrisch/psychotherapeutisch), auf eine neue Form der Betreuung. Bis zum Ende der DDR gibt es parallel dazu auch weiterhin privat geführte Praxen, derer Anzahl nimmt jedoch sukzessive ab. Die erste Poliklinik nimmt bereits vor der entsprechenden SMAD-Festlegung im September 1947 in Gotha ihren Betrieb auf. Angeschlossen sind dort drei öffentliche Beratungsstellen, darunter auch eine für „Nerven- und Gemütskranke“.

Die Bedeutung des Gesundheitswesens ist in der SBZ wie auch in der DDR von Anfang an ideologisch aufgeladen. Bereits kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1946 gibt die SED diesbezüglich erste Richtlinien vor. Demnach soll „das gesamte Heil- und Gesundheitswesen“ verstaatlicht werden und Ärzte sich gezielt an der Herausbildung des neuen sozialistischen Bewusstseins beteiligen. Erst im Sozialismus würden diese überhaupt die Möglichkeit erhalten, „dem humanen Gehalt ihrer Arbeit und den Ansprüchen der Wissenschaft“ gerecht zu werden.

Damit ist die grundsätzliche Richtung der Gesundheitspolitik der DDR bereits vor der Gründung des neuen Staates festgelegt. Sie dient in den Folgejahren auch der expliziten Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik.

Die DZVG wird 1948 in die Hauptverwaltung Gesundheitswesen der Deutschen Wirtschaftskommission überführt. Mit Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wird diese dann zur Hauptabteilung Gesundheitswesen innerhalb des neuen Ministeriums für Arbeit und Gesundheitswesen (MfAG) umgeformt. Wichtige Positionen innerhalb des Gesundheitswesens werden von Anbeginn mit SED-linientreuen Genossen besetzt, obgleich sie aus blockpolitischen Erwägungen und auch als Zugeständnis an eine konservativ-bürgerliche Ärzteschaft nicht zwangsläufig Mitglied der SED sein müssen.

1950 – 1959: Ideologisierung der Gesellschaft und Positionsbestimmungen

Im Jahr 1952 löst die SED die bestehende Länderstruktur auf und ersetzt diese durch eine neue Verwaltungsstruktur, die bis 1989/90 Bestand haben soll: Die DDR wird in 15 Bezirke inklusive Ostberlin sowie 229 Kreise oder Stadtbezirke untergliedert. Die regionalen Zuständigkeiten für das Gesundheitswesen gehen in der Folge an die jeweiligen Bezirks- und Kreisärzte (bzw. Stadtbezirksärzte) über. Diese sind bei den Räten der Bezirke bzw. der jeweiligen Kreise angesiedelt. Bezirks- und Kreisärzte dienen als Bindeglied zwischen dem zentralen Gesundheitsministerium und den stationären und ambulanten Einrichtungen, ebenso aber auch als Mittler zur regionalen SED-Parteiführung. Zentrale Aufgabenstellung ist die regionale Durchsetzung der Gesundheitspolitik.

Dem Aufbau des DDR-eigenen Gesundheitswesens mit entsprechender ideologischer Untermauerung dient auch die zweite Hochschulreform von 1951/52 im Sinne einer zentralistischen Steuerung der Hochschullandschaft. Studienabläufe werden ab sofort normiert, Marxismus-Leninismus und Russisch zu Pflichtstudiengängen erklärt. Diese zunehmende Ideologisierung führt in den 1950er Jahren ebenso wie auch die eingeschränkte Reisefreiheit (Passgesetz), die Ablehnung von Kindern aus Arztfamilien für ein Medizinstudium oder die systematische Behinderung von frei niedergelassenen Praxen zu einer massiven Ausreisewelle von medizinischem Personal – insbesondere gegen Ende der Dekade. Dem gegenüber steht ein bereits Anfang der 1950er Jahre einsetzender enorm hoher landesweiter Krankenstand, der die Gesundheitsversorgung grundsätzlich stark belastet.

Im Sommer 1954 beschließt der Ministerrat die Einrichtung von zusätzlichen medizinischen Akademien in Magdeburg, Erfurt und Dresden. In den folgenden Jahren steigt die Zahl der Studienzulassungen für Medizin kontinuierlich. Auch über die Schaffung neuer staatlicher Arztpraxen auf dem Land versucht die DDR, Versorgungsmissstände zu verbessern.

Darüber hinaus werden Medizinern in sogenannten Ärztekommuniqués immer wieder Zugeständnisse gemacht, die im Grunde nichts anderes sind als eine Abkehr von der eigenen Ideologie: Mediziner sollen nicht mit „gesellschaftlicher Arbeit“ überlastet werden. Mehr und mehr tritt hier hervor, wie abhängig die DDR vom wohlwollenden Mitwirken ihrer Ärzte im Sinne eines funktionierenden Gesundheitswesens ist. Ärzte werden so auch politisch zu einer privilegierten Schicht gegenüber anderen Bevölkerungsschichten.

Unabhängig davon hat die SED während der 1950er große Mühe, parteipolitische Kontrolle über das Gesundheitswesen auszuüben. Innerhalb des Zentralkomitees (ZK) wechseln Strukturen und Zuständigkeiten mehrmals. Erst im Jahr 1959 wird eine eigene Abteilung Gesundheitspolitik im ZK der SED gegründet. Weder der zuständige ZK-Sekretär noch der Abteilungsleiter sind allerdings medizinische Experten. Für inhaltliche Fragen lässt sich die Parteispitze von einem etwa zeitgleich eingerichteten medizinischen Fachgremium beraten.

Die öffentliche Darstellung ist ohnehin eine andere. Dieser zufolge trifft das Gesundheitsministerium in Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission und den anderen Ministerien angeblich seine Entscheidungen selbständig und ist nur der Volkskammer als oberster Vertretung des Volkes rechenschaftspflichtig. Ein Ausschuss Gesundheitswesen der Volkskammer tagt zwar tatsächlich regelmäßig und berät über gesundheitspolitische Frage, hat in der Praxis jedoch kaum eine Bedeutung: Der Ausschuss ist mehrheitlich von fachlichen Laien besetzt.

Die ideologisch motivierte Bruderschaft mit der Sowjetunion führt in der DDR ab Anfang der 1950er Jahre zu einer zunehmenden Popularisierung der „Pawlowschen Lehre“. Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 – 1936) und dessen Prinzip der „höheren Nerventätigkeit“ werden, ausgehend von der Psychologie, nach und nach dominierend für die komplette DDR-Medizin. Mit Pawlow lässt sich die gesamte Natur des Menschen und sein Handeln wissenschaftlich im Kontext marxistischer Theorie erklären. Medizinische Wissenschaft und Forschung werden in diesen Kontext logisch integriert.

1960 – 1969: Wege zur Eigenständigkeit innerhalb der DDR-Medizin

Insgesamt stabilisiert sich die allgemeine Lage der DDR-Gesellschaft während der 1960er Jahre. Die Kriegsschäden sind mittlerweile weitgehend beseitigt, die DDR um Emanzipation bemüht, die Herrschaft der SED umfassend.

Eine Zäsur in der Entwicklung des DDR-Gesundheitswesens stellt die Gesundheitskonferenz 1960 in Weimar unter Leitung des ZK der SED dar. Hier wird der „Perspektivplan zur Entwicklung der medizinischen Wissenschaft und des Gesundheitswesens der DDR“ beraten. Vorrangiges Ziel ist es hierbei, die medizinische Versorgung, Ausrüstung und Personalsituation allgemein zu verbessern. Die Menschen sollen „zu gesunden Lebensgewohnheiten“ erzogen werden.

Geprägt sind die 1960er Jahre in der Folge insbesondere von einem Umbau von Strukturen in Klinik und Forschung hin zu einem DDR-eigenen Gesundheitswesen. Der Mauerbau von 1961 steht dabei kennzeichnend für eine Abschottung der DDR zum Westen. Dadurch kann die massive Abwanderung von Ärzten gestoppt werden, die Zahl der Mediziner steigt in den Folgenjahren beträchtlich – es wächst eine neue Generation von DDR-Ärzten heran. Auch der Anteil der SED-Mitglieder unter Ärzten erhöht sich kontinuierlich.

Im Oktober 1961 erlässt die DDR ein neues Medikamentengesetz, das die Einfuhr von westlichen Pharmaka erheblich einschränkt. Über einen neu gegründeten Rat für Planung und Koordinierung der medizinischen Wissenschaften wird zudem auch die medizinische Forschung zunehmend staatlich-zentralistisch gelenkt. In allen wesentlichen Fachrichtungen gründen sich nun DDR-eigene Gesellschaften. Hat die Mehrzahl der auf medizinischem Gebiet Forschenden auch nach dem Mauerbau 1961 zunächst noch Kontakte zu Kollegen in der Bundesrepublik aufrechterhalten, so werden diese gegen Ende des Jahrzehnts deutlich eingeschränkt. Über einen neu gegründeten Koordinierungsrat werden Mitgliedschaften in westdeutschen Fachorganisationen untersagt, überdies die Herausgabe von wissenschaftlichen Publikationen stärker kontrolliert.

Mit der dritten Hochschulreform Ende der 1960er Jahre wird sowohl die ideologische Ausrichtung der eigenen Forschung als auch die politisch gewollte ideologische Abgrenzung von der Bundesrepublik explizit vorangetrieben. Gewachsene Hochschul- und Forschungsstrukturen werden kategorisch gekappt. Erklärtes Ziel ist es, Ausbildung, Forschung und Wirtschaft innerhalb der DDR näher aneinander zu binden, etwaige Einflüsse des Westens hingegen einzuschränken. Gleichzeitig gelingt es der DDR nicht, den permanenten Versorgungsmangel innerhalb der Medizin zu stoppen. Insbesondere bei der Medizintechnik hinkt die DDR dem Westen zunehmend hinterher.

1970 – 1979: Anerkennung und Neuorientierung

Anfang der 1970er Jahre kommt es zu einem Machtwechsel an der Spitze der SED: Der bisherige Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht wird von Erich Honecker abgelöst. Dieser leitet einen neuen innenpolitischen Kurs, die so genannte „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, ein. Der Bevölkerung wird darin u. a. ein höherer Lebensstandard versprochen. Dieser programmatische Anspruch ist eng mit dem Gesundheits- und Sozialwesen verbunden. An der Leistungsfähigkeit der Gesundheitsfürsorge sollen die Menschen den DDR-Sozialismus messen können. Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch zunehmend auseinander. Zwar wird der Konsum angekurbelt und auch der Lebensstandard gesteigert, doch hat das seinen Preis: Ende der 1970er Jahre rutscht die DDR an den Rand der internationalen Zahlungsunfähigkeit. Bereits bestehende Versorgungsprobleme im Gesundheitswesen nehmen dadurch stetig zu und führen in den Folgejahren zu beträchtlichen Problemen in der medizinischen Betreuung des Landes.

Außenpolitisch gelingt der DDR immerhin endlich die angestrebte internationale Anerkennung. Im Zuge der Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen im Rahmen der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition der Bundesrepublik unter Willy Brandt wird die DDR Mitglied der UNO und der WHO.

Technologisch hinkt die DDR ungeachtet dessen immer weiter dem Westen hinterher. Weltweit ist die Medizin Ende der 1970er Jahre auf einem Stand, der es ermöglicht, Infektionen und etliche chronische Leiden zu beherrschen. Dialyse oder Transplantationen werden zwar auch Standard in der DDR-Medizin, moderne Medizintechnik ist jedoch weiterhin rar. Die DDR hat diesbezüglich zu lange darauf vertraut, Ausrüstung in Eigenproduktion herstellen zu können. Auch der Pharma-Industrie der DDR, die große Mengen an Standardpräparaten weltweit exportiert, gelingt es nicht, moderne Arzneimittel zu entwickeln. Für die Sanierung der klinischen Einrichtungen fehlen ebenfalls dringend notwendige Gelder.

1980 – 1989: Umfassender Mangel und Niedergang

Die 1980er Jahre sind geprägt von einem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang. Der Versorgungsmangel in der DDR-Gesellschaft ist längst allgegenwärtig – besonders im Gesundheitswesen ist er fatal. Die SED findet kaum probate Lösungen. In der Öffentlichkeit werden die Probleme verschwiegen, intern behindern Bürokratie und unflexible Planwirtschaft eine Verbesserung der Situation. Die DDR-Medizin ist abhängig von Devisen, die jedoch fehlen. Importe von Medizintechnik und Medikamenten werden in der Folge deutlich eingeschränkt.

Obwohl das Gesundheitswesen der DDR Mitte der 1980er Jahre kaum überlebensfähig ist, gibt Staats- und Parteichef Honecker weiter die Parole von der Fortführung der Einheit seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik für die Jahre bis 1990 aus. Die Bevölkerung soll die Gesamtpolitik des Staates nicht zuletzt aufgrund der gebotenen medizinischen Bedeutung werten. Der damit verbundene politische Auftrag an das Gesundheitswesen ist entsprechend groß: Abstriche an die vorgegebenen gesundheitspolitischen Zielstellungen sollen unter keinen Umständen zugelassen werden. Dabei ist die tatsächlich prekäre Situation auch innerhalb der SED-Führungsriege bekannt: In den Kliniken fehlen Verbandsstoffe, Spritzen, Medikamente, die hygienischen Bedingungen sind teilweise katastrophal, ein Großteil der Gebäude innerhalb des DDR-Gesundheitswesen gilt eigenen Statistiken zufolge als verschlissen. Besonders in psychiatrischen Abteilungen gelten die Zustände mancherorts als menschenunwürdig. Ein weiteres großes Problem ist der zunehmende Ärztemangel. Immer mehr Mediziner – aber auch allgemein medizinisches Personal – wandern in den Westen ab.

Programmatisch hat die DDR dem kaum noch etwas entgegenzusetzen. Mit dem Hausarztprinzip als erste Anlaufstelle innerhalb der ambulanten Versorgung versucht die DDR, die Betreuung der Menschen zu verbessern. Des Weiteren wird besonders der Gedanke der Prophylaxe in der staatlichen Propaganda verstärkt.

Das Aufkommen der neuen Infektionskrankheit AIDS stellt die DDR dank Abschottung zwar nicht vor jene Herausforderungen, mit denen der Westen zur gleichen Zeit zu kämpfen hat. Das Beispiel macht allerdings die Ressourcenknappheit innerhalb des DDR-Gesundheitswesens sehr anschaulich: So gelingt es der DDR in jenen Jahren nicht einmal mehr, einfache Testbestecke zu entwickeln oder die nötige Anzahl von Gummihandschuhen für den täglichen klinischen Bedarf bereitzustellen.