Zwei Gesundheitskonferenzen –
Aufbruch und Abgesang

Aufbruch 1960

Die erste Nationale Gesundheitskonferenz der DDR im Februar 1960 in Weimar markierte eine Zäsur. Während die Jahre seit 1945 vor allem vom Wiederaufbau nach Krieg und Besatzung geprägt waren, trat nun der Anspruch auf eine eigenständige, „emanzipierte“ Entwicklung des DDR-Gesundheitswesens hervor. Kriegsschäden waren weitgehend beseitigt, eine neue Ärztegeneration trat hervor, die Herrschaft der SED war gefestigt.

Die Konferenz brachte einen programmatischen Wechsel: Weg von der Nachkriegsbewältigung, hin zu einem umfassenden Ausbau von Vorsorge, Betreuung und Forschung in eigener Verantwortung. Erstmals diskutierte eine größere Fachöffentlichkeit über die gesundheitspolitische Ausrichtung des Landes. Das Politbüro forderte, die „berechtigten Beschwerden der medizinischen Intelligenz“ ernst zu nehmen und die ärztliche Versorgung zu sichern.

Inhaltlich blieben die veröffentlichten Ergebnisse allerdings recht allgemein: bessere Ausrüstung und Personalsituation, Stärkung der medizinischen Wissenschaft, Erziehung der Bürger zu gesunder Lebensweise. Schwerpunkte waren die Bekämpfung von Infektionskrankheiten (ein neues Impfgesetz wurde angekündigt), die Intensivierung epidemiologischer und mikrobiologischer Forschung sowie der Ausbau von Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Dispensairebetreuung sollte zur „Hauptmethode der medizinischen Betreuung“ ausgebaut werden. Selbst Zugeständnisse an niedergelassene Ärzte wurden angekündigt.

Tatsächlich konnte die DDR in den folgenden Jahren Erfolge erzielen, etwa bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Doch zugleich mehrten sich wirtschaftliche Schwierigkeiten. Abhängigkeit von Devisen und westlichen Importen, steigende Kosten für moderne Medizintechnik und neue Anforderungen an eine umfassende Versorgung begrenzten die Spielräume. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 wurde auch gesundheitspolitisch die Abgrenzung besiegelt – die angestrebte Emanzipierung scheiterte an den fehlenden ökonomischen Grundlagen.

Abgesang 1989

Ganz anders die zweite Nationale Gesundheitskonferenz im September 1989 in Berlin. Sie fiel in eine Zeit tiefer Krisenerfahrungen: Ärztemangel, technischer Rückstand, Versorgungsdefizite und eine zunehmend pessimistische Stimmung prägten das Bild. Intern war längst von einem drohenden „Pflegenotstand“ die Rede.

Die Konferenz selbst zeigte jedoch ein Abbild der Realitätsverleugnung. Ein Mammutprogramm beschwor die angeblichen Erfolge der DDR-Gesundheitspolitik und berief sich auf Parolen wie „Prophylaxe“ und die „sozialistische Lebensweise“. Konkrete Konzepte zum Umgang mit der Krise fehlten.

Kritische Stimmen gab es zwar, blieben aber vereinzelt. So klagte eine Gemeindeschwester über schlechte Räumlichkeiten, fehlende Verbandsmaterialien, Kanülen und Spritzen, jahrelang nicht vorhandene Telefonanschlüsse und die Diskrepanz zwischen propagierter „gesunder Lebensweise“ und realen Versorgungsmängeln. Dem gegenüber standen Beiträge führender Ärzte wie des Rostocker Nephrologen Horst Klinkmann, der die „Gesundheitspflicht des Einzelnen“ beschwor und damit im Kern die Linie der Partei bestätigte.

Die Konferenz geriet so zu einer Inszenierung im Angesicht des Zusammenbruchs. Offiziell beschwor man noch einmal die Stärke des Systems, während die Fachleute im Alltag längst mit Engpässen, Überlastung und wachsender Unzufriedenheit konfrontiert waren.

Die beiden Konferenzen stehen exemplarisch für den Verlauf des DDR-Gesundheitswesens: 1960 der Anspruch auf Aufbruch und Eigenständigkeit, 1989 der Abgesang eines Systems, das seine eigenen Versprechungen nicht mehr einlösen konnte.

Ich bin nicht damit zufrieden, dass wir mit solchen Sachen, wie Verbandstrommeln, Spritzenkästen, Einwegspritzen und Kanülen unzureichend bzw. gar nicht versorgt werden. Auch bin ich nicht damit zufrieden, dass es uns die ganzen Jahre noch nicht gelungen ist, einen Telefonanschluss für diese Gemeindeschwesternstation zu bekommen. (…) Über gesunde Lebensweise reden und selbst ein schlechtes Vorbild zu sein, das passt nicht zusammen.

Gemeindeschwester Bärbel Onmacht, Nationale Gesundheitskonferenz 1989

Sieben wissenschaftlich begründete Regeln für die Gesundheitspflicht des Einzelnen:

1. Tägliche körperliche Belastung

2. Hygienisches Verhalten

3. Mäßige, abwechslungsreiche Nahrungsaufnahme

4. Kein Nikotin

5. Mäßiger oder gar kein Alkoholkonsum

6. Ausreichender Schlaf und Regenerationsphase und vor allen Dingen

7. Eine freudige Grundhaltung zu diesem unserem Leben

Prof. Dr. med. Horst Klinkmann (Präsident des Rates für medizinische Wissenschaften), Nationale Gesundheitskonferenz 1989

Quellen und Literatur

BArch, DY 30/101255.

Erices, R. (2022). Das DDR-Gesundheitswesen im Kontext der SED-Herrschaft in den 1980er Jahren. In B. Strauß, R. Erices, S. Guski-Leinwand, & E. Kumbier (Hrsg.), Seelenarbeit im Sozialismus—Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR. Psychosozial-Verlag.

Erices, R., & Frewer, A. (2015). Arzt, Akademiepräsident, Aufsichtsrat. Der DDR-Mediziner Horst Klinkmann im Dienst des Staates. In A. Frewer & R. Erices (Hrsg.), Medizinethik in der DDR. Moralische und menschenrechtliche Fragen im Gesundheitswesen (Bd. 13, S. 185–196). Franz Steiner.

Erices, R. (2014). Im Dienst von Staat und Staatssicherheit: Bezirksärzte der DDR in einem maroden Gesundheitssystem. Totalitarismus und Demokratie, 11(2), 207–220.

 

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