
Forensische Psychiatrie
in Berlin-Buch – Haus 213
Das Haus 213 im Klinikum Berlin-Buch war die zentrale Einrichtung für forensische Psychiatrie in Ost-Berlin. Es entstand 1910 als sogenanntes „Festes Haus“ zur Verwahrung psychisch kranker Straftäter und übernahm nach 1968 die Aufgabe, im Raum Berlin und Frankfurt/Oder gerichtlich eingewiesene Patienten aufzunehmen. In der Literatur wird 1968 mit der Abschaffung des Maßregelvollzugs in der DDR in Verbindung gebracht. Seit diesem Jahr regelten das Strafgesetzbuch und das Einweisungsgesetz den Umgang mit psychisch kranken Rechtsbrechern neu. Für Täter mit schwerer Delinquenz und verminderter Zurechnungsfähigkeit trat der Behandlungsgedanke dabei in den Hintergrund: Sie mussten ihre Strafe zunächst in Haftanstalten verbüßen, bevor eine Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung möglich war. Zurechnungsunfähige psychotisch Kranke oder Täter nach geringfügigen Delikten waren dagegen sofort einweisbar – sie wurden den zivilrechtlich Untergebrachten weitgehend gleichgestellt. Kliniken waren daher kaum angehalten, besondere Sicherungsvorkehrungen zu schaffen; zugleich schwand die Notwendigkeit, sich systematisch mit der Minimierung von Gefährlichkeit zu befassen.
Missstände und Vernachlässigung
Die Bedingungen in Haus 213 waren von massiven Defiziten geprägt. Patienten lebten wie in „umgebauten Gefängniszellen“, oft überbelegt, mit mangelhaften sanitären Anlagen und ohne ausreichende Therapie- oder Arbeitsräume. Hygienische Inspektionen beschrieben die Zustände wiederholt als menschenunwürdig. Das Pflegepersonal war dauerhaft unterbesetzt, ein großer Teil ohne psychiatrische Fachausbildung. Trotz zahlreicher Inspektionsberichte, Beschwerden und Planungen wurde Haus 213 über Jahrzehnte nicht grundlegend saniert. Weder Gesundheitsministerium, Justiz oder Innenministerium, noch die SED setzten entsprechende Veränderungen um – ein Ausdruck struktureller Vernachlässigung.
Die Patientenschaft umfasste neben Gewalt- und Sexualdelinquenten auch Menschen, die wegen „asozialen Verhaltens“ oder politischer Delikte – etwa versuchter Republikflucht – eingewiesen wurden. Damit hatte die forensische Psychiatrie in der DDR stets auch eine politische Dimension.
Staatssicherheit und ethische Problematik
Besonders problematisch war die enge Verflechtung mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Ein Großteil der leitenden Ärzte und Psychologen wurde als inoffizielle Mitarbeiter geführt. Sie berichteten teils ausführlich über Patienten, nahmen Überwachungsaufträge an und banden damit medizinische Arbeit direkt in die Strukturen staatlicher Kontrolle ein. Darüber hinaus erstellten dieselben Ärzte und Psychologen auch Gutachten für Strafprozesse, was die Überschneidung von medizinischer Expertise und politisch-justiziellen Interessen noch deutlicher macht.
Haus 213 steht exemplarisch für die forensische Psychiatrie der DDR: fehlende Konzepte infolge der Rechtslage, jahrelange Missstände ohne Sanierung und eine medizinische Praxis, die durch die Einbindung in das MfS ethisch schwer belastet war. Das jahrzehntelange Ausbleiben grundlegender Verbesserungen verdeutlicht, dass psychisch kranke Straftäter im DDR-System keine gesundheitspolitische Priorität besaßen. Sie blieben in einer Grauzone zwischen Strafjustiz, Gesundheitswesen und Staatssicherheit – verwahrt, aber ohne tragfähiges therapeutisches Konzept, und damit Ausdruck eines grundsätzlichen Mangels im gesellschaftlichen Umgang mit psychisch Kranken.

Im Jahr 1987 kontrollierte die Berliner Bezirkshygieneinspektion die Klinik und stellte erhebliche Mängel fest, die „den hygienischen und funktionell-technischen Grundsätzen des heutigen Standards von Klinik-und Bettenhäusern entgegenstehen.
(BArch, MfS, BV Berlin, AKG 32, S. 111, 114, 118)


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Quellen und Literatur
BArch, MfS, BV Berlin, AKG 32, S. 111, 114, 118
Erices, R. (2025). „Katastrophale Bedingungen“ – Innenansichten aus der forensischen Psychiatrie in der DDR – Haus 213, Berlin-Buch. Fortschritte der Neurologie · Psychiatrie
Widmer M, Schmidt-Recla A, Steinberg H. Die Forensische Psychiatrie in der DDR. Ein Überblick. Fortschr Neurol Psychiatr 2023; 91: 199–208. DOI: 10.1055/a-1735-3186
Lammel M. Forensische Psychiatrie in der DDR. Anmerkungen unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben. In: Six ATI, Hrsg. Forensische Psychiatrie in Brandenburg. Entwicklungen und Brennpunkte. Berlin: be.bra wissenschaft verlag; 2008: 71–100
Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968, Gesetzblatt I S.1
Gesetz über die Einweisung in stationäre Einrichtungen für psychisch Kranke vom 11. Juni 1968