
Akteur

Dr. med. habil. Hans Eichhorn (1942–2016)
Psychiater
Reformen, Ambivalenzen und Grenzen in der DDR-Psychiatrie
Hans Eichhhorn gehört zu den widersprüchlichen Personen der Psychiatrie in der DDR. Er engagierte sich für seine Patientinnen und Patienten und war frühzeitig am Aufbau und der Etablierung psychotherapeutischer Abteilungen in psychiatrischen Kliniken beteiligt. Als ärztlicher Direktor des BFKH Ueckermünde war er entschlossen, die teilweise katastrophalen Verhältnisse in der Klinik zu überwinden. Das brachte ihn in Konflikt mit regionalen Gesundheits- und SED-Eliten, u. a. dem Bezirksarzt von Neubrandenburg, Dieter Möwius. Mit Hilfe der Staatssicherheit – Eichhorn hatte sich bereits 1963 als Inoffizieller Mitarbeiter anwerben lassen – und Verbindungen zu dem Leiter der Abteilung Gesundheitswesen im ZK der SED, Karl Seidel, konnte er zumindest teilweise Erfolge bei der Rekonstruktion der Einrichtung sowie der therapeutischen Ausrichtung mit einem verbesserten Personalschlüssel erzielen.
Während seiner neunjährigen Amtszeit leitete Hans Eichhorn am BFKH Ueckermünde eine Phase markanter Reformen ein. Er initiierte bauliche Rekonstruktionsmaßnahmen, etablierte moderne psychiatrisch-psychotherapeutische Verfahren und profilierte sich durch den Verzicht auf geschlossene Stationen, Zwangsmaßnahmen und übermäßige Pharmakotherapie. Diese Entwicklungen sind umso bemerkenswerter, als die DDR-Gesundheitspolitik der 1980er-Jahre nur geringe materielle Ressourcen zur Verfügung stellte. Eichhorns Handlungsspielräume beruhten nicht zuletzt auf protektionistischen Strukturen, insbesondere auf Rückhalt durch das MfS und zentraler Akteure in Berlin.
Eine rein opportunistische Deutung seines Handelns greift zu kurz; vielmehr zeigen sich Ambivalenzen zwischen Reformwillen, systemischer Begrenzung und persönlicher Überforderung. Offen bleibt, inwieweit Eichhorns Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter konkrete Nachteile für Patientinnen und Patienten oder Angestellte nach sich zog und ob die Fortschritte in der Versorgung mit einer Intensivierung der Überwachung einhergingen. Interpersonelle Konflikte innerhalb der Klinikleitung reduzierten die Nachhaltigkeit seiner Reformen zusätzlich. Für die Gruppe geistig behinderter Menschen jedoch blieben Verbesserungen aus; ihre fortbestehenden desolaten Lebensbedingungen verweisen auf die strukturellen Defizite der DDR-Psychiatrie insgesamt und markieren zugleich ein zentrales Feld künftiger Aufarbeitung.
Der Kranke hat keine Psychose, sondern er ist psychotisch. Diese Feststellung zwingt zur Einbeziehung pathobiographischer, psychodynamischer sowie weitere psychosozialer Aspekte in therapeutische Überlegungen wie auch zur These: Psychiatrische Therapie ist „Beihilfe zur Selbsttherapie“!
Hans Eichhorn: Institutionelle Voraussetzungen für die Integration von Psychotherapie in die Psychiatrie, in: Eichhorn, Hans; Ernst, Klaus (Hg.): Arbeitsmaterialien des Symposiums «Erfahrungen und Ergebnisse der Psychotherapie in der Psychiatrie», Ueckermünde 1985, S. 80–91, hier S. 84.Porträt
1942 | 29. August: Hans Eichhorn wird in Pirna-Copitz geboren. |
1960–1968 | Ausbildung als Chemiefacharbeiter am Sächsischen Kunstseidenwerk Pirna, Studium der Medizin in Sofia (Bulgarien), später an der Medizinischen Akademie Dresden, 1968 Staatsexamen, 1969 Promotion zum Thema: „Über die Epidemiologie der chronischen Leberkrankheiten in der Medizinischen Klinik und dem Pathologischen Institut der Medizinischen Akademie Dresden „1938–1966″ sowie dem Kreiskrankenhaus Pirna 1953–1966 mit besonderer Berücksichtigung der Begleitkrankheiten und Anamnese“ an der Medizinischen Akademie Dresden |
1963–1989 | Für die Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter (IMS Grabowski) tätig. |
1965–1974 | Im Auftrag des Präsidialrates der Kulturbundes der DDR als Vizepräsident im internationalen Esperanto-Klub, einer UNESCO-Organisation, tätig. |
1968–1973 | Assistenzarzt, seit 1973 als Facharzt am Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus in Berlin-Biesdorf (Aufenthaltserlaubnis für Berlin wurde durch das MfS vermittelt), berichtet der Stasi 1971 über die Brandenburger Konferenz, die von Seiten führender SED-Gesundheitspolitiker genutzt wurde, Parteikontrolle über alle wissenschaftlichen Gremien des Fachgebietes Psychiatrie sowie die Fachzeitschrift „Psychiatrie, Neurologie, Medizinische Psychologie“ zu erhalten. |
1973–1974 | Arzt an der Nervenklinik der Charité |
1974–1980 | Arzt, dann Oberarzt an der Nervenklinik im Klinikum Berlin-Buch, ist beteiligt am Aufbau einer Psychotherapieabteilung am Bucher Krankenhaus, 1980 Facharzt für Psychotherapie |
1980–1990 | Ärztlicher Direktor am Bezirksfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Ueckermünde. Hier setzt er sich für die Verbesserung von Diagostik und Therapie sowie die Überbelegung im BFKH ein. Sein Engagement und seine Forderungen bringen ihn in Opposition zu führenden SED-Kadern, darunter auch mit dem Bezirksarzt Möwius. Trotz der Anerkennung seiner Erfolge durch das Personal, führt sein autoritärer Führungsstil zu Konflikten. |
Mitgliedschaften: – SED (seit 1963) – Mitbegründer und erster Vorsitzender der Regionalgesellschaft für Psychotherapie in Berlin-Ost – Gründer und erster Vorsitzender der Bezirksgesellschaft für ärztliche Psychotherapie des Bezirks Neubrandenburg im Rahmen der Gesellschaft für klinische Medizin (1984) | |
1988 | Übernahme eines Lehrauftrags für Psychotherapie im Rahmen einer Gastdozentur an der Universität Kassel, ein Privileg, welches nur wenigen DDR-Kadern von der Regierung gewährt wurde. Auftraggeber war die Ost-Berliner Import- und Export GmbH, vermittelt durch die Abteilung Export des Ministeriums für Gesundheitswesen. |
1989 | Habilitation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zum Thema „Beitrag zur Evaluation psychotherapeutischer Institutionen unter besonderer Berücksichtigung des Vergleiches von Behandlungen in offenen und geschlossenen Gruppen“ |
1989 | Auslandsdienstreise nach Finnland vom 5.–15. Juni im Auftrag des Ministeriums für Gesundheitswesen. Ziel war es, die umfassenden Erfahrungen Finnlands bei der Organisation und Betreuung psychischer Gesundheitssysteme stärker zu prüfen und in die eigene Programmentwicklung zu integrieren, um die Qualität der Versorgung zu verbessern und innovative Ansätze zu fördern. |
1990 | Eichhorn muss die Leitung des BFKH Ueckermünde abgeben. Sein Nachfolger wird Jochen Neumann, der zuvor in Jena Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Neurologie war und ab 1983 bis zum Sommer 1989 das Deutsche Hygienemuseum Dresden als Generaldirektor leitete. Auch Neumann war als IM tätig. |
2016 | 20. Oktober: Tod Hans Eichhorns in Weil am Rhein |


Auswahl Publikationen
Eichhorn, Hans: Zum Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 35 (8), 1983, S. 449–459.
Eichhorn, Hans: Die Entwicklung der Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR, in: Psychiatrische Praxis 15, 1988, S. 15–20.
Eichhorn, Hans: Abschied von der Klapper?: Überlegungen zum psychiatrischen Krankenhaus, in: Thom, Achim; Wulff, Erich (Hg.): Psychiatrie im Wandel: Erfahrungen und Perspektiven in Ost und West, Bonn 1990, S. 166–179.
Eichhorn, Hans; Holznagel, Gisela; Nischan, Christel: Über die Effektivität offener und geschlossener Gruppen, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 30 (11), 1978, S. 665–672.
Eichhorn, Hans; Engel, Volker: Über die Großgruppe in der therapeutischen Gemeinschaft unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichs offener und geschlossener Gruppen, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 34 (9), 1982, S. 563–567.
Eichhorn, Hans; Salz, Martin; Nischan, Christel: Empirische Untersuchungen zur Psychotherapie von Neurosen in offenen und geschlossenen Gruppen, in: 2, 1982, S. 133–146.
Eichhorn, Hans; Ernst, Klaus (Hg.): Arbeitsmaterialien des Symposiums „Erfahrungen und Ergebnisse der Psychotherapie in der Psychiatrie, Ueckermünde 1985.
Eichhorn, Hans; Nitzsche, Matthias; Kliewe, Wolfgang: Überlegungen zum Suizid im psychiatrischen Krankenhaus, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 37 (10), 1985, S. 573–581.
Eichhorn, Hans: «Braucht die Psychiatrie geschlossene Stationen?» Bemerkungen zu «Ethische Prinzipien und moralische Normen des psychiatrischen Handelns.», in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 38 (1), 1986, S. 39–42.
Eichhorn, Hans: Einige Aspekte der Psychotherapieforschung am Beispiel des Vergleichs offener und geschlossener Therapiegruppen, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 39 (9), 1987, S. 565–568.
Eichhorn, Hans: Selbsthilfegruppen in der Medizin – Notlösung oder Heilungsprinzip?, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 84 (22), 1989, S. 1176–1178.
Eichhorn, Hans; Eichhorn, Gabriele: Zur Rolle psychosozialer Faktoren bei stationärer psychiatrischer Therapie, in: Brähler, Elmar; Geyer, Michael; Kabanow, Modest M. (Hg.): Psychotherapie in der Medizin: Beiträge zur psychosozialen Medizin in ost- und westeuropăischen Lăndern, Opladen 1991, S. 247–261.
Quellen und Literatur
Eichhorn, Hans: Institutionelle Voraussetzungen für die Integration von Psychotherapie in die Psychiatrie, in: Eichhorn, Hans; Ernst, Klaus (Hg.): Arbeitsmaterialien des Symposiums «Erfahrungen und Ergebnisse der Psychotherapie in der Psychiatrie», Ueckermünde 1985, S. 80–91.
Haack, Kathleen; Grabe, Hans J.; Kumbier, Ekkehardt: Der Psychiater als «IM». Wissenschaftshistorische Perspektiven jenseits des Labels «IM», in: Schriftenreihe der DGGN, Bd. 29, Würzburg 2023, S. 179–196.
Haack, Kathleen; Grabe, Hans J.; Kumbier, Ekkehardt: Der „Eigen-Sinnige“ – Spielräume psychiatrischen Handelns in der DDR, in: Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen (Hg.): Psychiatrie in der DDR III. Weitere Beiträge zur Geschichte, Berlin 2023, S. 109–123.
Haack, Kathleen: „Alle klagen im BFKH“. Zur Lage der Anstaltspsychiatrie in der DDR in den 1980er-Jahren, in: Karenberg, Axel; Haack, Kathleen (Hg.): Schriftenreihe der DGGN, Bd. 27, Würzburg 2021, S. 253–278.
Haack, Kathleen: „Im Grunde gibt es … keine Chance zu Veränderungen zu kommen“. Zur Lage der Anstaltspsychiatrie in der DDR in den 1980er-Jahren – Das Beispiel Ueckermünde, in: Kumbier, Ekkehardt (Hg.): Psychiatrie in der DDR II Weitere Beiträge zur Geschichte, Berlin 2020, S. 377–392.
Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Die Therapeutische Gemeinschaft und das Arzt-Patient-Verhältnis in der Psychiatrie. Zwischen therapeutischem Anspruch und sozialistischer Realität., in: Wahl, Markus (Hg.): Volkseigene Gesundheit: Reflexionen zur Sozialgeschichte des Gesundheitswesens der DDR, Stuttgart 2020 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte – Beihefte 75), S. 111–133.