Psychiatrische Rehabilitation in der sozialistischen Gesellschaft

In den 1960er Jahren erhielt die psychiatrische Rehabilitation zunehmend Gewicht. Hintergrund waren steigende Patientenzahlen in der Psychiatrie und anderen Bereichen infolge höherer Lebenserwartung und geringerer Kindersterblichkeit. In der DDR galt Rehabilitation als ärztlich-ethische und gesellschaftliche Aufgabe, die medizinische, berufliche, soziale und pädagogische Maßnahmen vereinte. Ziel war es, Arbeitsfähigkeit und soziale Teilhabe wiederherzustellen sowie eine „positive Einstellung zum Leben“ zu fördern.

Die WHO verstand Rehabilitation als abgestuften Prozess aus medizinischer Behandlung, beruflicher Wiedereingliederung und sozialer Unterstützung. In der Sowjetunion wurde dieses Konzept früh umgesetzt: Bereits seit den 1920er Jahren existierten arbeitstherapeutische Ansätze, die später in komplexe Versorgungssysteme mit Dispensaires, Werkstätten, Tageskliniken und geschützten Wohnformen übergingen. Innovative Modelle verbanden stationäre und ambulante Behandlung, etwa über sektorisierte Versorgung oder halbstationäre Arbeitstherapie in Betrieben. Trotz struktureller Defizite gilt die Rehabilitation als zentraler Bestandteil der psychiatrischen Versorgung in den sozialistischen Staaten, da sie medizinische Therapie und gesellschaftliche Integration verknüpfte.

Die Entwicklung der psychiatrischen Rehabilitation in der DDR war durch einen schrittweisen Übergang von defizitären Strukturen hin zu gemeindenahen und sektorisierten Konzepten gekennzeichnet. Frühere Reformforderungen, wie sie 1963 in Rodewisch oder 1974 in den „Brandenburger Thesen“ formuliert wurden, zielten auf die Überwindung der Kluft zwischen stationärer Behandlung, Arbeitstherapie und beruflicher Wiedereingliederung. Ab den 1970er Jahren wurden Tages- und Nachtkliniken, therapeutische Klubs, geschützte Werkstätten und sektorisierte Versorgungsmodelle etabliert. Ergänzt durch Selbsthilfeinitiativen sowie regionale Modellprojekte entstanden neue Strukturen, die Rehabilitation und soziale Integration psychisch Kranker systematisch förderten.

Struktur, Prinzipien und Effekte der psychiatrischen Rehabilitation in sozialistischen Staaten

Sowohl in der UdSSR als auch in der DDR lag ein Großteil psychiatrischer Kliniken im ländlichen Raum, was die Entwicklung extramuraler Rehabilitationsformen erschwerte. In beiden Ländern wurden chronisch Kranke zunächst überwiegend in Krankenhauswerkstätten bzw. ATWs beschäftigt, was den Hospitalismus begünstigte und nur begrenzte rehabilitative Effekte erzielte. Die zentralistische Datenerfassung, etwa im Kemerowoer Modell, barg Risiken der Stigmatisierung und Diskriminierung.

Reformbewegungen der 1960er/1970er Jahre führten zu sektorisierten, gemeindenahen Strukturen. Modest Kabanov entwickelte ein 3-Etappen-Schema: stationäre Wiederherstellung, extramurale Readaptation und berufliche Eingliederung. Grundprinzipien wie Partnerschaft, Vielseitigkeit, Einheit von psychosozialen und biologischen Methoden sowie Staffelung bildeten die Basis. Multidisziplinäre Dispensaire-Strukturen entlasteten Kliniken und ermöglichten Übergangseinrichtungen mit frührehabilitativen Aufgaben.

In der DDR verstärkte die Arbeitspflicht die volkswirtschaftliche Bedeutung der Rehabilitation. Maßnahmen wie ausgelagerte Arbeitstherapie, teilstationäre Betreuung und gemeindenah extramurale Einrichtungen förderten die Rückkehr zur Arbeit, reduzierten Hospitalismus und sozialpsychiatrische Risiken. Trotz struktureller Defizite und begrenzter Individualisierung erzielten diese Ansätze eine hohe Integration psychisch Kranker in die Arbeitswelt und eröffneten neue Perspektiven für die Versorgung.

Quellen und Literatur

Krasselt, Alexandra; Steinberg, Holger: Die psychiatrische Rehabilitation in der DDR vor dem Hintergrund sowjetischer Einflüsse, in: Psychiatrische Praxis 51 (5), 2024, S. 277–282. Online: <https://doi.org/10.1055/a-2249-7537>.

Renker, Karlheinz (Hg.): Grundlagen der Rehabilitation in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1964.

Weiterführende Literatur

Späte, Helmut F.; Degenhardt, Tilo (Hg.): 7. Symposion der sozialistischen Länder Europas über psychiatrische Rehabilitation: Vorträge der wissenschaftlichen Tagung, 24. bis 27. Mai 1983 in Rodewisch, DDR, Bernburg 1983.

Bach, Otto: Arbeit und psychische Erkrankung: Zur Rolle und zum Verständnis der arbeitstherapeutischen Rehabilitationsmaßnahmen in der ehemaligen DDR, in: Götze, Paul; Mohr, Michael (Hg.): Psychiatrie und Gesellschaft im Wandel, Regensburg 1992, S. 195–204. Online: <http://d-nb.info/920142117/04>.

Degenhardt, Tilo: Die Rehabilitationsmöglichkeiten für psychisch Kranke und Behinderte in der ehemaligen DDR, in: Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten der Versorgung psychisch Kranker und Behinderter, Köln 1992, S. 75–80.

Ulbricht, Helga: Rehabilitation als soziales Anliegen der sozialistischen Gesellschaft, heutiger Stand und Aufgaben bei der weiterten Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR, in: Zeitschrift für die gesamte Hygiene und ihre Grenzgebiete 18, 1972, S. 341–347.

Mecklinger, Ludwig; Rohland, Lothar (Hg.): Zur Umsetzung der Gesundheitspolitik im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR. Teil 4: Sozialwesen und Rehabilitation; Wissenschaft und Forschung; Prognose; Aus-, Weiter- und Fortbildung; Mein Credo, Berlin 1999 (Veröffentlichungen der Interessengemeinschaft Medizin und Gesellschaft e.V. 13–16).

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