
Bezirkskrankenhaus
für Psychiatrie und Neurologie Mühlhausen/Pfafferode
Psychotherapeutische Abteilung
Aufgrund wachsender Nachfrage nach psychologischer Betreuung im Bezirk Erfurt wird 1967 eine eigenständige psychotherapeutische Station im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Mühlhausen eröffnet und erstmals ein Psychologe am Standort beschäftigt. Ab diesem Zeitpunkt werden in der Klinik Gruppenpsychotherapie, Autogenes Training, Bewegungs- und Musiktherapie angeboten. In den 1980er Jahren werden am Standort durch Roswitha Schmuttermayer insbesondere musiktherapeutische Angebote hinsichtlich ihrer Wirkweisen erforscht und weiterentwickelt.
Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
Einen Großteil der anfänglichen psychiatrischen Praxis in der Klinik macht zunächst die Beschäftigungs- und Arbeitstherapie aus, die die Patienten aktivieren sowie an alltägliche Aufgaben gewöhnen soll. Die Arbeitsbereiche umfassen Tischlern, Schneidern, Malern sowie weitere handwerkliche, gärtnerische und ackerbauliche Arbeiten, die zum täglichen Betrieb und der Erhaltung der Anstalt beitragen. Ab Ende der 1950er Jahre bemüht sich der damalige Anstaltsleiter Dr. Ehrig Lange (1958 – 1963) um eine fortschrittlichere Anstaltsführung mit offeneren Stationen, Nachsorge und verbesserten Bedingungen bei der Arbeitstherapie. Dieser Ansatz legt erste Grundsteine für milieutherapeutisches Arbeiten. In der Klinik werden in der Folge Gruppenpsychotherapie, Autogenes Training, Bewegungstherapie sowie ab den späten 1960ern auch Musiktherapie angewandt. Eine explizit für die Therapien angeschaffte Fernsehkamera mit Monitor erlaubt die Aufzeichnung der Sitzungen, was eine detaillierte Auswertung des Patientenverhaltens und therapeutischen Vorgehens erlaubt. Ab 1967 liegt ein besonderer Fokus auf der Musiktherapie, welche auf der neu entstandenen Psychotherapiestation erforscht und viel praktiziert wird.
Forschung und Lehre
Im Rahmen der Musiktherapie werden in den 1980er Jahren Studien von Roswitha Schmuttermayer in Pfafferode durchgeführt und veröffentlicht. Ihr Konzept der „gestuften Musiktherapie“, beinhaltet Musikhören, Singen, tänzerische Bewegung und Instrumentalspiel und ist unter dem Aspekt sozialen Trainings zusammengestellt und aufeinander abgestimmt. Schmuttermayer untersucht die Methode am Standort bei psychotischen Patienten hinsichtlich der Wirksamkeit für Verhaltensaktivierung und Angstreduktion und entdeckt Wirkweisen hinsichtlich der nonverbalen Kommunikation während der Therapie, die die Entwicklung adäquater Verhaltensweisen bei Patienten fördern soll. Publikationen sind beispielsweise:
Schmuttermayer, R. (1980). Methodische Überlegungen und praktische Erfahrungen mit Musiktherapie bei Psychotikern. S. Hirzel Verlag Leipzig. Psychiatr. Neurol. med. Psychol 32.
Schmuttermayer, R. (1983). Möglichkeiten der Einbeziehung gruppenmusiktherapeutischer Methoden in die Behandlung von Psychotikern. Bezirksfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, DDR-5700 Mühlhausen, SS. 739-744.
Entwicklung des Standorts
1910 wird Pfafferode statt Erfurt als Standort für die neue preußische Landesheil- und Pflegeanstalt ausgewählt, die bereits zwei Jahre später mit einer Kapazität von 800 Betten in der Provinz Sachsen eröffnet werden kann. Das Unterbringungskonzept sieht vor, dass Patienten mit ähnlicher Symptomatik zusammen untergebracht werden sollen, weshalb die Anlage im Pavillon-System gebaut worden ist. Sie umfasst zahlreiche Einzelgebäude, die jeweils ein Krankheitsbild abdecken. Während die Außen- und Eingangsbereiche des neu gestalteten Klinikkomplexes mit blauen Torpfosten und ornamentbesetzten Jugendstil-Tapeten an ein Hotel erinnern, sind die Patientenzimmer mit bis zu 10 Eisenbetten und Wolldecken funktional und nüchtern eingerichtet. Ebenfalls beherbergt die Anstalt eine Isolierzelle. Im Laufe der Jahre folgen zahlreiche Erweiterungen, die unter anderem eine anstaltseigene Kirche und eine Steigerung der Bettenkapazität umfassen. Die Anstalt wächst zu einem stadtähnlichen Komplex an, der sich teilweise selbst versorgt, Wohnmöglichkeiten für die Mitarbeitenden bietet sowie kulturelle Veranstaltungen wie Feste und Konzerte des Anstaltschors ermöglicht.
In der Zeit des Nationalsozialismus werden gemäß des „Gesetz[es] zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ unter der ärztlichen Leitung von Paul Langer ab 1934 Zwangssterilisationen an Männern sowie ein Jahr später auch an Frauen durchgeführt. Ab 1939 beteiligt sich die Klinik unter der Leitung von Karl Kolb außerdem an Krankenmorden im Rahmen der sogenannten „T4-Aktion“, indem sie als Zwischenstation für geistig behinderte Kinder dient, die später andernorts der sog. Kindereuthanasie zum Opfer fallen. Ein Jahr später beginnt die Klinik sich auch an der sog. Euthanasie von erwachsenen Patienten zu beteiligen, die von Pfafferode zur Tötung nach Altscherbitz und später auch nach Bernburg transportiert werden. Mindestens 313 Patienten aus Pfafferode fallen der „T4-Aktion“ zum Opfer.
Bis Mitte der 1950er Jahre entwickelt sich die Klinik in eine Richtung, in der die Zustände vor Ort nicht mehr tragbar sind: Überforderung durch zu wenig Personal, unzureichende medikamentöse Behandlung sowie gefängnisartige Zustände für die Erkrankten führen zu erlebter Hilflosigkeit, Angst und Gewalt im Klinikalltag. Mit Übernahme der Klinikleitung durch Dr. Ehrig Lange findet ab 1958 eine grundlegende Veränderung im Behandlungskonzept der Klinik statt, weg vom Sicherungsprinzip hin zum Fürsorgeprinzip gegenüber den Patienten. Auch als sein Nachfolger Kurt Niedermeier nach fünf Jahren Umstrukturierungsarbeiten die Leitung der Klinik übernimmt, wird die Weiterentwicklung fortgeführt. Unter seiner Leitung wird der Standort Pfafferode zu einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie weiterentwickelt, in dem zahlreiche neue Fachabteilungen gegründet werden. Zu diesen Neueröffnungen zählt auch eine psychotherapeutische Abteilung. Da die therapeutische Versorgung für den Bezirk Erfurt bisher allein von der Erfurter Akademie ausging, sich jedoch als nicht ausreichend erweist, wird diese auf Pfafferode ausgeweitet und 1967 eine eigenständige psychotherapeutische Station am Standort eingerichtet, wofür erstmals auch ein Psychologe eingestellt wird. Während die Abteilung anfänglich zehn Betten auf der neurologischen Station ausmacht, wird sie neun Jahre später auf ein eigenes Haus erweitert. Aufgrund dieser Erweiterungen wird außerdem ein Arzt der Klinik entsprechend fachlich weitergebildet, fernerhin zusätzliche psychologische Fachkräfte zur Unterstützung im Laufe der Folgezeit eingestellt.
Nach der deutschen Wiedervereinigung wird aus der Klinik das Thüringische Landesfachkrankenhaus, in dem zahlreiche Betten in den Abteilungen für Psychotherapie und Psychiatrie abgebaut werden. Auch in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, die sich in der Zwischenzeit etabliert hatte, erfolgen starke Einkürtzungen. Die finanziellen und strukturellen Probleme sorgen 2002 letztendlich für eine Übernahme der Trägerschaft in private Hand, woraufhin die Klinik ihren heutigen Namen „Ökumenisches Hainich-Klinikum“ erhält.
Namensgebung im Verlauf der Jahre
- 1912: Landesheil- und Pflegeanstalt Pfafferode
- 1946: Staatliches Landeskrankenhaus Pfafferode (auch Patienten mit nicht-psychiatrischen Krankheitsbildern werden behandelt)
- 1963: Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Mühlhausen
- 1990: Thüringisches Landesfachkrankenhaus
- 2002-heute: Ökumenisches Hainich-Klinikum: Klinik für Neurologie, Neuropsychologie, Psychiatrie und Psychotherapie
Leitungen (über die Jahre):
- Dr. Adolf Schmidt (1912-1926), Dr. Emil Jach (1927-1930), Dr. Paul Langer (1931-1934), Dr. Ernst-Heinrich Gengnagel (1934-1935), Dr. Fritz Karl Rust (1935-1938), Dr. Karl Kolb (1938-40/41), Dr. Kurt Schröder (1940/41-43), Dr. Theodor Steinmeyer (1943-1945), Dr. Willibald Haeuptner (1945-1946), Dr. Richard Lische (1947-1953), Dr. Hans Peter Schulz (1953-1954), Dr. Hans Albrecht (1954-1958), Doz. Dr. Erich Lange (1958-1963), Doz. Dr. Kurt Niedermeyer (1963-1985), Dr. Helmut Heinroth (1985-1989)
Quellen und Literatur
Adler, L., Dützmann, K., Goethe, E. u. a. (Hrsg.) (2012): 100 Jahre Pfafferode 1912-2012: von der Preußischen Landesheil- und Pflegeanstalt bis zum Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH.
Ehle, G. (2011). Psychotherapie in der Psychiatrie. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 586-591. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.
Lange, E. (2002). Auszug aus der Festrede zum 90. Jubiläum der Klinik am 02. Dezember 2002 zum 90. Jubiläum des LFK Mühlhausen. In: Adler, L. (2012). 100 Jahre Pfafferode 1912–2012: von der Preußischen Landesheil- und Pflegeanstalt bis zum Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH, S. 102-109.
Niedermeyer, K. (2002). Auszug aus der Festrede zum 90. Jubiläum der Klinik am 02. Dezember 2002 zum 90. Jubiläum des LFK Mühlhausen. In: Adler, L. (2012). 100 Jahre Pfafferode 1912–2012: von der Preußischen Landesheil- und Pflegeanstalt bis zum Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH, S. 113-127.
Schmuttermayer, R. (1980). Methodische Überlegungen und praktische Erfahrungen mit Musiktherapie bei Psychotikern. Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie, 32(12), S. 739-744.
Schmuttermayer, R. (1983). Möglichkeiten der Einbeziehung gruppenmusiktherapeutischer Methoden in die Behandlung von Psychotikern. Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie, 35(1), S. 49-53.