
Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda
Psychotherapeutische Abteilung und Psychotherapie-Station der Kinderneuropsychiatrischen Abteilung
Die psychotherapeutische Abteilung wird 1953 eröffnet und behandelt Patienten zunächst bis 1965 überwiegend mit der Pawlow‘schen Schlaftherapie. Ab 1965 entwickelte sich das Behandlungskonzept zunehmend mit einer tiefenpsychologischen Orientierung und es kommen auch vermehrt Gesprächspsychotherapie, Autogenes Training, Musik-, Bewegungs- und Beschäftigungstherapie zum Einsatz. Ab 1975 entwickelt sich schließlich die Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie (IDG) in geschlossenen Gruppen zur überwiegenden Behandlungsmethode. Die Zusammenarbeit mit der 1977 eröffneten Station für Kinderpsychotherapie ermöglicht ab 1984 eine kombinierte stationäre Kinder- und Elternpsychotherapie in derselben Klinik.
Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
Die psychotherapeutische Abteilung des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda entsteht unter der Leitung von Prof. Dr. Erich Drechsler aus einer 1953 eingerichteten Abteilung für Schlaftherapie. Die Patienten werden hier bis 1965 überwiegend mit der Pawlow‘schen Schlaftherapie behandelt, die auf der Lehre I. P. Pawlows gründet und in der DDR auch aus ideologischen Beweggründen stark verbreitet ist. Durch mehrwöchige, medikamentös oder suggestiv induzierte Verlängerung der täglichen Schlafdauer sollen nach theoretischen Grundannahmen „Störungen der höheren Nerventätigkeit bzw. der zerebralen Reizverarbeitung“ beseitigt und damit insb. funktionelle psychovegetative Störungen auf Dauer gebessert oder geheilt werden. Ab 1965 werden Patienten in dieser Abteilung zusätzlich und zunehmend mit Gesprächspsychotherapie, Autogenem Training und Entspannungsverfahren behandelt. Zudem werden themenzentrierte Gruppengespräche, Musiktherapie, Bewegungstherapie und Beschäftigungstherapie als ergänzende Behandlungsmethoden angewandt. Mit diesen neu eingeführten Behandlungsmethoden verändert sich das Behandlungskonzept der Abteilung damit langsam von der ursprünglichen Pawlow’schen hin zu einer tiefenpsychologischen Orientierung. Ab 1975 entwickelt sich die Intendierte Dynamische Gruppentherapie (IDG) in geschlossenen Gruppen schließlich zur überwiegenden Behandlungsmethode, mit der die neue therapeutische Orientierung deutlicher wird. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit einer Ehepaartherapie und einer Eltern-Gruppentherapie, die in Zusammenarbeit mit der psychotherapeutischen Kinderstation durchgeführt wird. Unter der Leitung von Dr. med. Rudolf Huber hat die psychotherapeutische Abteilung 1979 eine Kapazität von 31 Betten und 500 ambulanten Patienten pro Jahr. Ab 1985 kommen unter der Leitung von Dr. med. Frank Bartuschka außerdem verhaltenstherapeutische Methoden zum Einsatz, beispielsweise gezielte körperliche Konditionierung, Rollen- und Konfliktspiele und spezielle Übungsprogramme. Die Entwicklung eines Katamnese- und Nachbehandlungsprogramms ermöglicht eine einwöchige Nachbehandlung der geschlossenen Patientengruppen der IDG.
Die Psychotherapie-Station der kinderneuropsychiatrischen Abteilung wird 1977 unter der Leitung von Dr. med. Susanne Köhler eröffnet und hat eine Kapazität von 14 Betten. Die Behandlung der Patienten besteht aus einer Vier-Phasen-Spieltherapie in Kombination mit Mal- und Schmiertherapie. Auch Reittherapie, musikalisch-rhythmische Therapie, Elterngruppengesprächstherapie und verhaltenstherapeutische Elemente kommen auf der tiefenpsychologisch-fundierten Station ergänzend zum Einsatz. Durch die Zusammenarbeit der psychotherapeutischen Abteilung und der psychotherapeutischen Kinderstation wird 1984 schließlich eine integrierte stationäre Kinder- und Elternpsychotherapie für Eltern mit Kindern im Alter von 6 bis 11 Jahren eingeführt. Das Behandlungskonzept sieht zunächst eine stationäre Kinderpsychotherapie über vier bis zwölf Monate vor, die auf der psychotherapeutischen Kinderstation durchgeführt wird. Gleichzeitig durchlaufen die Patienten eine Milieutherapie im Stations- und Schulalltag, welche die tiefenpsychologisch fundierte Kinderpsychotherapie auch um verhaltens-, gruppen- und sozialtherapeutische Elemente ergänzt. Die Psychotherapie der Eltern wird im Rahmen eines drei- bis vierwöchigen stationären Aufenthaltes in der psychotherapeutischen Abteilung des Hauses durchgeführt. Dieses ebenfalls tiefenpsychologisch fundierte Therapiekonzept umfasst Klein- und Großgruppengespräche, Einzelgespräche, kommunikative Bewegungstherapie und Gestaltungstherapie. In der letzten Therapiewoche werden Eltern und Kind schließlich im Rahmen der kommunikativen Bewegungstherapie zusammengeführt und die Psychotherapie gemeinsam abgeschlossen.
Forschung und Lehre
Im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda werden ab Mitte der 1980er Jahre monatliche Theorie- und Problemfallseminare für Psychotherapeuten des Bezirkes Gera durchgeführt. Auch nach dem Mauerfall zeichnet sich die Klinik durch ein breitgefächertes Angebot psychotherapeutischer Weiterbildungsveranstaltungen aus (z.B. Theorieseminare, Lehranalysen, gruppendynamische Selbsterfahrung, Problemfallseminare, Kurse für Autogenes Training, Einzel- und Gruppensupervisionen).
Entwicklung des Standorts
Das Bezirkskrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Stadtroda wird 1848 als „Genesungshaus zu Roda“ für die Behandlung von Körper- und Geisteskranken des damaligen Herzogtums Sachsen-Altenburg eröffnet und ist damit das zweitälteste psychiatrische Krankenhaus Thüringens. Im Jahr 1886 wird die Klinik um das sog. „Martinshaus“ erweitert, das als zugehörige „Landes-Idioten-Anstalt für schwach- und blödsinnige Kinder“ die Geburtsstunde der späteren psychotherapeutischen Kinderstation darstellt. Der Klinik gehört ab 1889 ein eigener Gutshof an, auf dem eine Gruppe arbeitsfähiger und als „ungefährlich“ geltender Patienten als sog. „landwirtschaftliche Irrenkolonie“ beschäftigt wird. Diese Arbeitstherapie dient neben der Genesung der Patienten auch der Selbstversorgung der Klinik und ist bis in die Mitte der 1900er Jahre die überwiegende Behandlungsmethode für arbeitsfähige Patienten der Klinik. Das Leben innerhalb der Klinik wird in einer Festschrift zum 150-jährigen Bestehen wie folgt beschrieben:
„Das Anstaltsleben insgesamt könnte man als eine Art „therapeutischer Gemeinschaft kustodialer Prägung“ [d.h. auf die Beherbergung der Patienten ausgerichtet] bezeichnen. Feste, Weihnachtsbescherungen und Ausflüge sowie Öffnung für die Angehörigenbesuche gehörten zum Anstaltsleben.“
Landesfachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda, 1999, S.8.In der Zeit des ersten Weltkrieges (1914-1918) stirbt fast die Hälfte der Patienten an Tuberkulose oder Unterernährung. 1920 wird die Klinikträgerschaft durch den Freistaat Thüringen übernommen und die Klinik 1922 in „Thüringische Landesheilanstalten Roda“ umbenannt. Infolge der stark reduzierten Belegung und einer erhöhten Anzahl verwahrloster Kinder und Jugendlicher in der Nachkriegszeit werden ab 1922 neben dem bestehenden Martinshaus ein Beobachtungsheim, Erziehungsheime für „psychopathische und schwachsinnige Kinder“, für schulentlassene Mädchen bis zu 21 Jahren und für Kleinkinder, sowie eine Abteilung für Schwangere und Mütter mit Säuglingen und für „bildungsfähige epileptische Kinder“ eingerichtet. 1928 folgt noch die Eröffnung einer heilpädagogischen Beratungsstelle, sodass die Abteilungen und Heime der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit über 400 Betten fortan den Schwerpunkt der Klinik bilden. 1936 werden die Erziehungsheime aufgrund deutlich reduzierter Belegungszahlen und einer aufkommenden faschistischen Umorganisation von Erziehungsheimen geschlossen und das Beobachtungsheim in eine Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit 50 Betten umstrukturiert.
In den Jahren des deutschen Nationalsozialismus beteiligen sich die Thüringischen Landesheilanstalten Roda an der sog. „Euthanasie“, die die Vernichtung geistig oder körperlich erkrankter und behinderter Menschen zum Ziel hat. Insgesamt werden in den Thüringischen Landesheilanstalten Roda zwischen 1933 und 1945 mehr als 250 Patienten zwangssterilisiert und etwa 2270 Patienten im Rahmen der „Aktion T4“ sowie durch Medikamentengaben und Unterernährung ermordet. Im Herbst 1942 wird zum Zwecke der nationalsozialistischen „Euthanasie“ zudem eine sog. „Kinderfachabteilung“ eingerichtet, in der mindestens 104 schwerbehinderte Kinder ermordet und/oder für die Euthanasieforschung missbraucht werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Klinik umbenannt in „Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda“. Zudem differenziert sich die Klinik fachlich weiter aus und eröffnet 1950 eine neurologische Abteilung sowie 1953 eine spezielle psychotherapeutische Abteilung. Es folgt 1964 die Gründung einer internistischen Abteilung mit Versorgungsauftrag für den Kreis Stadtroda, 1967 der Aufbau eines Zentrallabors und 1973 die Eröffnung einer Abteilung für Physiotherapie. Die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Klinik wird ab 1972 zur „Bezirksleiteinrichtung“, richtet Spezialstationen z.B. für Kinder mit Autismus ein und beginnt, psychotherapeutische Methoden in die Behandlung zu integrieren, woraufhin im Jahr 1977 auch eine spezielle psychotherapeutische Station für Kinder im Schulalter eröffnet wird. Im Jahr 1980 wird das fachliche Spektrum der Klinik auch um eine Alkohol- und Drogensuchtstation erweitert. Ab 1973 beginnt der Aufbau einer Abteilung für spezielle psychiatrische Rehabilitation, die die Integration psychisch Erkrankten in ein weitestgehend normales und selbstständiges Leben mit geregelter Arbeit zum Ziel hat. Zu diesem Zweck eröffnet das Bezirkskrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Stadtroda 1975 als erste Psychiatrie in der DDR eine geschützte Werkstatt, in der sowohl stationäre als auch ambulante Patienten arbeiten, sowie mehrere geschützte Wohnheime auf dem Klinikgelände und in der nahen Umgebung der Klinik. Eine 1978 eingerichtete Abteilung für berufliche Rehabilitation, in der psychisch erkrankte oder geistig behinderte Patienten ab 1980 auch Lehrausbildungen zum Maler, Schuster, Elektroniker oder in der Hauswirtschaft absolvieren können, schafft zusätzlich neue Möglichkeiten der beruflichen Bildung. Die Unterbringung der Patienten in traditionellen Männer- und Frauenabteilungen wird ab 1984 reformiert, die Personalbesetzung verbessert und psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Gesichtspunkte stärker ins Behandlungskonzept integriert.
Nach dem Mauerfall geht die Klinik 1990 wieder in Landesträgerschaft über und wird in „Landesfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda“ umbenannt. Zudem können Maßnahmen zur Weiterentwicklung und zur weiteren fachlichen Differenzierung der Klinik umgesetzt werden. Die neurologische Abteilung spezialisiert sich fortan auf die Behandlung von Morbus Parkinson und Multiple Sklerose. Zudem wird eine Maßregelvollzugsstation für die Unterbringung psychisch erkrankter Straftäter eingerichtet. 2002 wird die Klinikträgerschaft durch die Asklepios Kliniken GmbH übernommen und in diesem Zuge in „Asklepios Fachklinikum Stadtroda“ umbenannt. Mit neun Fachabteilungen, zwei Tageskliniken, vier Ambulanzen und einer von drei Kliniken für forensische Psychiatrie („Maßregelvollzug“) in Thüringen spielt die Klinik auch heute noch eine wesentliche Rolle in der psychiatrischen, neurologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Patienten im Kindes-, Jungend- und Erwachsenenalter.
Leitungen (über die Jahre):
- 1953 -1977: Prof. Dr. Erich Drechsler
- 1977- 1984: Dr. med. Rudolf Huber
- 1984 – 1985: Dr. G. Schultz, PT-Abteilung
- 1985 – (nicht bekannt): Dr. F. Bartuschka
- 1973 – 1994: Dr. med. Susanne Köhler, Kinderabteilung
Quellen und Literatur
Asklepios Fachklinikum Stadtroda GmbH. (2025). Experten & Abteilungen. www.asklepios.com. Abgerufen am 17. März 2025, von https://www.asklepios.com/stadtroda/experten/
Asklepios Fachklinikum Stadtroda GmbH. (2008). Chronik des Asklepios Fachklinikum Stadtroda. www.asklepios.com. Abgerufen am 17. März 2025, von https://web.archive.org/web/20081123123851/http://www.asklepios.com/Stadtroda/Stadtroda1Allgemein/chronik.htm
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.
Landesfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda. (1999). 150 Jahre Landesfachkrankenhaus Stadtroda.
Renner, R. (2004). Zur Geschichte der Thüringer Landesheilanstalten/ des Thüringer Landeskrankenhauses Stadtroda 1933 bis 1945 unter besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ [Dissertation]. Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Rudat, U. & Bräuer, C. (1992). Stationäre Kinderpsychotherapie: Probleme – Chancen – Möglichkeiten am Beispiel der Kinderpsychotherapiestation des Landesfachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Stadtroda. Ärzteblatt Thüringen, 3(7), S. 643-645.