
Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie
Altscherbitz
Psychotherapiestation
Die psychotherapeutische Station des Fachkrankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz wird 1979 unter der Leitung von Dr. med. Dieck eröffnet. Hier werden Patienten insbesondere mit gruppentherapeutischen Verfahren behandelt. Davor kam in der psychiatrischen Klinik neben Psychopharmaka und Elektrokrampfbehandlungen vor allem Arbeitstherapie als therapeutisches Mittel zum Einsatz, zunächst in der Landwirtschaft, später auch im Handwerk und der Wirtschaft. Ab Mitte der 1970er Jahre wird diese um Gestaltungstherapie erweitert.
Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
Die überwiegende Behandlungsmethode in der Landesheilanstalt Altscherbitz ist lange Zeit die sogenannte Arbeitstherapie, die neben der Genesung der Patienten auch der Aufrechterhaltung des Klinikbetriebes dient. Die arbeitsfähigen Patienten verrichten bis 1953 auf dem ansässigen Rittergut landwirtschaftliche und hauswirtschaftliche Arbeiten, später sind sie in klinikeigenen Werkstätten und Versorgungseinrichtungen sowie mit industrieller Kleinfertigung für umliegende Betriebe beschäftigt. Ab 1956 werden in der Klinik zudem Psychopharmaka und Elektrokrampfbehandlung eingesetzt. Die Ausbildung von Arbeitstherapeuten ab Mitte der 1970er Jahre ermöglicht schließlich auch kreatives Arbeiten im Sinne einer Gestaltungstherapie. Die 1979 eröffnete psychotherapeutische Station behandelt Patienten unter der Leitung von Dr. med. Dieck vor allem mit gruppentherapeutischen Verfahren. Ab 1980 werden zunehmend Psychologen eingestellt, darunter kurzzeitig Christoph Schwabe als Musiktherapeut (er verlässt die Klinik nach kurzer Zeit wieder). Er stellt bei einer Kommunalwahl Anfang der 1980er Jahre etwa fest, dass die Klinik anordnet, acht Tage um den Wahltag keinerlei Beurlaubungen oder Ausgänge zu gewähren, mutmaßlich um den Patienten ihr Wahlrecht zu verwehren. Solche Urlaubs- und Ausgangssperren sind laut Klinikmitarbeitenden oft verordnet worden, so auch zu Sportveranstaltungen wie der internationalen Friedensfahrt.
Eine Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum der Klinik beschreibt einen Fokus der Klinik und ihrer Mitarbeitenden auf den sog. sozialistischen Wettbewerb:

„Entsprechend der sozialistischen Ideologie war der sogenannte sozialistische Wettbewerb zwangsweise fester Bestandteil der Arbeit. So erfolgte alljährlich der Kampf um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ oder „Kollektiv der deutsch-sowjetischen Freundschaft“. Bedingung dafür war u.a., dass sämtliche Teammitglieder in der Organisation der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF) und im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) organisiert waren. Brigadeabende, die Anfertigung politischer Wandzeitungen und jährliche Brigadefahrten gehörten ebenfalls dazu.“
Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Altscherbitz, 2001, S. 8.Ab 1970 findet außerdem zwischen den Kollektiven regelmäßig ein sogenannter ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich (kurz: ÖkuLei) statt, der zur Kostenersparnis motivieren soll und bei dem beispielsweise verglichen wird, welche Station die wenigsten Medikamente verbraucht. Einmal pro Woche treffen sich die SED-Parteigenossen der Klinik, monatlich organisiert die Gewerkschaft der Klinik eine „Schule der sozialistischen Arbeit“ und einmal pro Jahr findet die sogenannte „Messe der Meister von Morgen“ (kurz: MMM) statt, bei der auch die Jugendkollektive der Klinik mitwirken und Neuerungen für die Arbeit einbringen (z.B. Gedächtnistraining oder Fitness-Strecke). In der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum heißt es:
„Entsprechend der Erfüllung der Kollektivpläne erhielten die Mitarbeiter eine zusätzliche Vergütung, regelmäßig erfolgten Auszeichnungen einzelner Kollegen zum sogenannten Aktivisten der sozialistischen Arbeit.“
Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Altscherbitz, 2001, S. 8.Forschung und Lehre
Im Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz finden mehrere Fachtagungen der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie Leipzig, sowie der Arbeitsgemeinschaft Geschichte der Psychiatrie/Neurologie der Gesellschaft für Geschichte der Medizin in der DDR statt.
Entwicklung des Standorts
Das Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Altscherbitz wird 1876 als „Provenzial-Irrenanstalt Rittergut Alt Scherbitz“ mit einer Kapazität von rund 250 Betten eröffnet. Bis 1885 wird die Bettenanzahl bereits auf 1.300 Betten ausgebaut und die Klinik entwickelt sich zu einer kleinen selbständigen Siedlung mit eigener Landwirtschaft, Kirche, Gesellschaftshaus, Friedhof, Wasserwerk, Dienstwohnungen und eigener Straßenbahnhaltestelle ab 1910. Im Jahr 1907 wird die Klinik zunächst in „Landes Heil- und Pflegeanstalt Altscherbitz“ umbenannt, 1923 dann erneut in „Landesheilanstalt Altscherbitz“. Während der Zeit des deutschen Nationalsozialismus werden in der Klinik Zwangssterilisationen durchgeführt. Zudem sterben in diesen Jahren ca. 5.100 Patienten der Klinik durch die Verwehrung von Nahrung und medizinischer Versorgung, sowie durch Deportationen in Tötungsanstalten im Rahmen der sogenannten „Euthanasie“. Nach 1945 werden einige Klinikgebäude umfunktioniert und noch bis Mitte der 1960er Jahre zweckentfremdet genutzt, etwa als Haftkrankenhaus, Tuberkulosestation oder Asyl für Vertriebene. Bis 1950 gibt es einen starken Anstieg an Neuaufnahmen bei gleichzeitig starkem Nahrungs-, Medikamenten- und Personalmangel. Einige Patienten blieben freiwillig über mehrere Jahrzehnte in der Klinik, verrichten als sogenannte „Hauspatienten“ Arbeiten im Haus oder im Wirtschaftsbereich der Klinik und wirken so auch dem Personalmangel entgegen. Seit 1952 gehört die Landesheilanstalt Altscherbitz zum Bezirk Leipzig. Im Jahr 1953 wird das ehemalige Rittergut von der Klinik abgetrennt und der Schwerpunkt der Arbeitstherapie folglich von der Landwirtschaft zu Handwerk und Wirtschaft verschoben. Ab 1960 kommt es infolge der Rodewischer Thesen für psychiatrische Rehabilitation zu einer Umstrukturierung der Klinik. Die eingeleiteten Maßnahmen umfassen u.a. die Entfernung von Fenstergittern und Zäunen um die Klinik, die Reduktion von Zwangsmaßnahmen (feste Jacken und Bettnetze) und gemischtgeschlechtliche Ausgangsregelungen und Therapieangebote. Ab 1965 wird die Klinik in einzelne ärztlich geleitete Abteilungen gegliedert. Nach männlichen und weiblichen Patienten getrennt entstehen jeweils eine Aufnahme- und eine Therapiestation, sowie psychiatrische Pflegeabteilungen. Mit der Eröffnung einer neurologischen Abteilung im Jahr 1965 und der Eröffnung einer kinderneuropsychiatrischen Abteilung im Jahr 1966 profiliert sich die Klinik 1966 zum Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie. Der Anschluss einer neurologisch-psychiatrischen Fachambulanz im Jahr 1968 führt zu einer erneuten internen Umstrukturierung und der Bildung von Fachkliniken als eigene Chefarztbereiche. Die Landesheilanstalt Altscherbitz gliedert sich ab 1970 in eine psychiatrische Klinik, eine neurologische Klinik, eine kinderneuropsychiatrische Klinik und eine Klinik für chronisch-psychische Krankheiten auf, die ab 1976 in eine Gerontopsychiatrie umgewandelt wird. Innerhalb der neurologischen Klinik wird 1979 die psychotherapeutische Station unter der Leitung von Dr. med. Dieck eröffnet. 1980 erfolgt die Angliederung einer psychiatrischen Tagesklinik und im Jahr 1985 die Eröffnung einer Suchtstation. Ab 1986 werden die Patienten gemischtgeschlechtlich und nach dem Prinzip der Sektorisierung (das heißt, je nach Wohnort) zu einer von jeweils drei Stationen innerhalb einzelnen Fachkliniken zugewiesen.
Nach dem Mauerfall geht die Klinik in die Trägerschaft des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie über und wird in „Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie“ umbenannt. Klinikmitarbeitende mit leitenden Parteifunktionen in der SED werden von ihren Leitungsfunktionen innerhalb der Klinik abgelöst und Mitarbeitende der Staatssicherheit sowie ihre Informanten fristlos entlassen. Die Betriebsparteiorganisation der Klinik wird im Januar 1990 aufgelöst, die Betriebsgewerkschaftsorganisation kurz darauf ebenfalls. Die Untersuchungskommission „Psychiatrieopfer“ beginnt damit, die Behandlung psychiatrischer Patienten im Sozialismus aufzuarbeiten und untersucht politische Einflüsse in der Einweisung und Behandlung der Patienten (zum Beispiel Urlaubs- und Ausgangssperre während der Leipziger Messe, siehe oben). 1992 wird die kinderneuropsychiatrische Klinik geschlossen und im Juli des gleichen Jahres eine Abteilung für forensische Psychiatrie mit Maßregelvollzug eröffnet. Der Langzeitpflegebereich der Klinik gehört ab 1999 zur Trägerschaft des Kreisverbandes der Volkssolidarität Leipziger Land/Muldental e.V. und entwickelt sich durch Neubau- und Sanierungsmaßnahmen zu einer Wohn- und Lebensgemeinschaft für Menschen mit Behinderung. Eine Umstrukturierung der psychotherapeutischen Station im Jahr 1999 eröffnet schließlich die Möglichkeit einer vollstationären sowie tagesklinischen Einzel- und Gruppentherapie am gleichen Standort. Heute befindet sich die Klinik als „Sächsisches Krankenhaus Altscherbitz: Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie“ in Trägerschaft des Freistaates Sachsen und behandelt Patienten mit einer Kapazität von über 300 Betten und rund 80 tagesklinischen Behandlungsplätzen.
Quellen und Literatur
Sächsisches Krankenhaus Altscherbitz. (o. D.). Geschichte. www.skh-altscherbitz.sachsen.de. Abgerufen am 16. April 2025, von https://www.skh-altscherbitz.sachsen.de/ueber-uns/geschichte/
Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Altscherbitz. (2001). Festschrift 125 Jahre Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Altscherbitz 1876-2001.
Sächsisches Staatsarchiv. (o. D.). 20047 Landesheilanstalt Altscherbitz. www.archiv.sachsen.de. Abgerufen am 16. April 2025, von https://www.archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?bestandid=20047&syg_id=217624&_ptabs=%7B%22%23tab-einleitung%22%3A1%7D#einleitung
Schwabe, C. (2011). Christoph Schwabe: Nicht-Märchengeschichten eines Psychotherapeuten III. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 666-667. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Volkssolidarität Leipziger Land/Muldental e.V. (o. D.). Von der Provinzial-Irrenanstalt Altscherbitz zur Wohn- und Lebensgemeinschaft für Menschen mit Behinderung. www.volkssolidaritaet-altscherbitz.de. Abgerufen am 16. April 2025, von https://www.volkssolidaritaet-altscherbitz.de/ueber-uns-2/geschichte/von-der-provinzial-irrenanstalt-altscherbitz-zur-wohn-und-lebensgemeinschaft-fuer-menschen-mit-behinderung/