
Akteur

Prof. Dr. med. Hans Heygster (1905–1961)
Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Rostock
Hochschullehrer in Notzeiten
Nach 1945 übernahm Hans Heygster kommissarisch die Leitung der Rostocker Universitäts-Nervenklinik. Der Lehrkörper setzte sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammen: Neben den aus der Zeit des Nationalsozialismus „Übriggebliebenen“ und den nach 1933 emeritierten oder amtsenthobenen Professoren, die nach dem Krieg reaktiviert wurden, gab es an den Medizinischen Fakultäten noch eine dritte Gruppe. Diese Hochschullehrer kamen, wie Heygster, aus der außeruniversitären Praxis. Sein Weg verdeutlicht, wie pragmatisch die Universität damals handelte: Angesichts des akuten Personalmangels verzichtete man zunächst auf die sonst obligatorische Habilitation.
In den ersten Nachkriegsjahren war die medizinische Grundversorgung weit von der Normalität entfernt. Dennoch gelang es Heygster, sowohl die medizinische Betreuung als auch die Lehre aufrechtzuerhalten – trotz massiven Mangels an Ärzten und Hochschullehrern. Durch Entnazifizierung und Abwanderung fehlte in Ostdeutschland rund ein Drittel des Lehrpersonals, ein Defizit, das bis Anfang der 1960er Jahre anhielt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß seine Einstellung zur Deutschen Demokratischen Republik sehr unklar ist, ja, daß man manchmal sogar den Eindruck hat, als stehe er den Maßnahmen unserer Regierung ablehnend gegenüber. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus hat die Personalabteilung gegen die Ausstellung eines Auslandspasses nichts einzuwenden, jedoch kann sie auf Grund der gesellschaftspolitischen Haltung des Herrn Prof. Dr. Heygster keine Befürwortung aussprechen.
Einschätzung von Hans Heygster durch die Verwaltung der Universität Rostock (Abteilung Personal) an das StHSW vom 5. Juli 1952, Quelle: BArch, MfS 1776/67, Bl. 89Porträt
1905 | 19. Februar: Hans Heygster wird in Memel (heute Klaipeda/Litauen) geboren. |
1923–1928 | Studium der Medizin an den Universitäten Marburg, Königsberg und Kiel |
1928 | Promotion zum Thema „Pupillenstörungen und Lebensdauer“ |
1928–1932 | Medizinalpraktikantenjahr in Kiel, Berlin und Aachen, anschließend Assistenzarzt an der Universität Kiel bei Georg Stertz (1878–1959) |
1932–1939 | nervenärztliche Praxis in Stettin, ab 1934 Gutachter am Erbgesundheitsgericht in Stettin, ab 1935 Leiter der neurologischen Abteilung am Krankenhaus Bethesda, |
1939–1945 | Wehrdienst, betreute dann bis Kriegsende als Militärarzt verschiedene Lazarette in Stettin, u. a. als Leiter eines Lazaretts für Hirnverletzte |
1945–1946 | Übersiedlung nach Rostock, ab 1946 zunächst kommissarischer Leiter der Universitäts-Nervenklinik Rostock |
1948 | Dozentur im Zuge der 1947 vorgelegten Habilitationsschrift „Über die psychische Symptomatologie bei Stirnhirnläsionen“ |
1949–1953 | Klinikdirektor, Professor mit vollem Lehrauftrag, jedoch kein Ordinariat |
1952 | Heygsters Widerstand gegen die Zweite Hochschulreform zieht politische Anfeindungen nach sich. |
1953 | „Republikflucht“ nach Berlin (West) |
1956–1961 | Übersiedlung nach Surabaya (Indonesien). An der neu gegründeten Airlangga-Universität übernimmt er den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie. |
1961 | 30. August: Tod Hans Heygsters in Surabaya |

Im Visier der politisch-ideologischen Hochschulpolitik der DDR
1952 stellte sich Heygster offen gegen die Zweite Hochschulreform – ein Schritt, der ihn ins Fadenkreuz der SED brachte. Bald darauf begann eine Kampagne: Zeitungen diffamierten ihn und andere Hochschullehrer als „rückschrittlich“ und „volksfern“, sogar angebliche Dienstvergehen wurden konstruiert. Heygster musste sich den absurden Vorwurf gefallen lassen, er lasse in seinen Vorlesungen gezielt Patienten mit „staatsfeindlichen“ Äußerungen auftreten. Mit Unterschriftensammlungen und anonymen Eingaben sollte seine Entlassung erzwungen werden – doch der Versuch scheiterte.
Die politischen Anfeindungen veranlassten Heygster im Juni 1953 zur Flucht aus der DDR. Zwar versuchte die Universität, ihn mit dem Angebot einer ordentlichen Professur und eines Einzelvertrags zurückzugewinnen, doch Heygster lehnte ab. Er verwies auf die Vorgänge an Klinik und Fakultät sowie auf die von der SED gesteuerte Pressekampagne, die ihm eine sachliche Arbeit in Lehre und Forschung unmöglich gemacht habe.
Heygster übersiedelte 1956 nach Surabaya und begann in den fünf Jahren bis zu seinem Tod die psychiatrische Versorgung vor Ort aufzubauen.
Auswahl Publikationen
Heygster, Hans: Pupillenstörungen und Lebensdauer, Diss. med. Kiel, 1928.
Heygster, Hans: Probleme der Hirnlokalisation, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 43 (7/8), 1949, S. 204–208.
Heygster, Hans: Über doppelseitige Stirnhirnverletzungen, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 1 (4), 1949, S. 114–123.
Quellen und Literatur
Kumbier, Ekkehardt: Hans Heygster: Direktor der Universitätsnervenklinik Rostock von 1946 bis 1953, in: Medizingeschichte in Mecklenburg, 2015, S. 98–104.
Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Psychiater im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft: Hochschullehrer an den Universitätsnervenkliniken in der SBZ und DDR bis 1961, in: Psychiatrie in der DDR, 2018, S. 95–108.
Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Sozialistische Hochschulpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Das Beispiel Hans Heygster an der Universitäts-Nervenklinik Rostock, in: Würzburger Medizinhistorische Mitteilungen 30, 2011, S. 139–162.