
Nervenklinik
der Medizinischen Akademie Erfurt
Psychotherapeutische Abteilung
1954 wird die Medizinische Akademie Erfurt gegründet. Schon im Jahr darauf wird die Nervenklinik eingerichtet und Psychiater Karl Leonhard übernimmt die Leitung, der 1957 seine Monographie „Aufteilung der endogenen Psychosen“ veröffentlicht und im selben Jahr sein Direktorat abgibt. Von 1958 bis 1985 leitet R. Heinrich die Klinik, der neben seiner Tätigkeit als Psychiater auch ein Interesse an Psychotherapie zeigt. Es folgt zunehmend eine Differenzierung der Fachbereiche Neurologie, Psychiatrie, Neuropsychiatrie des Kinder- und Jugendalters, Psychosomatik sowie auch Psychotherapie. 1971/72 wird die Spezialabteilung für Psychotherapie unter Michael Geyer eröffnet.

Therapeutische Strömungen und Behandlungssetting
1969 führen der Stationsarzt Jürgen Ott, Kinderpsychologin Karin Schneemann und Assistenzarzt Michael Geyer, alle gehören der Erfurter Selbsterfahrungsgruppe an, die symptomhomogene Gruppenpsychotherapie bei 12- bis 16-Jährigen in der psychiatrischen Abteilung, womit auch erwachsene Gruppen drei- bis fünfmal pro Woche behandelt werden. Die psychotherapeutischen Kapazitäten sind unzureichend. 1971/72 wird die Spezialabteilung für Psychotherapie an der Nervenklinik der Medizinischen Akademie Erfurt unter Michael Geyer eröffnet. Es handelt sich um die erste psychotherapeutische Ambulanz Erfurts. Räumlichkeiten in der Bahnhofstraße 5a sind ab etwa 1973 für tagesklinische und stationäre Behandlung verfügbar.
Das Konzept sieht vor, zuerst ein Beschwerde-Fragebogen-Screening sowie ein Aufnahmegespräch durchzuführen, woraufhin die Patienten in Autogene-Trainings-Gruppen eingegliedert werden. In den ersten Jahren des Bestehens der Abteilung werden etwa Zehn dieser Gruppen pro Woche durchgeführt. Im Anschluss werden 60% der Patienten in Form von Entspannungs- oder Gruppenpsychotherapie versorgt. Es wird differenziert zwischen leichteren Fällen, die wöchentlich mit eineinhalbstündiger Gruppentherapie und teilweise Einzeltherapie behandelt werden und schwereren Fällen. Letztere sollen in einer tagesklinischen psychotherapeutischen Intensivtherapie behandelt werden. Nur ein kleiner Anteil an Patienten wird einzeltherapeutisch behandelt.
Innerhalb einer Gruppe werden bis zu zwölf Personen über acht Wochen behandelt. Es finden an fünf Wochentagen Gruppengespräche statt, ergänzt durch tägliche Bewegungs-, Entspannungs- und Gestaltungstherapie sowie regelmäßige Musiktherapie, sportliche Aktivitäten und Einzelgespräche.
Im Jahr 1979 hat die Abteilung sechs Betten und eine Kapazität für zehn Tagesklinik-Patienten. Die jährlichen Konsultationen beliefen sich auf etwa 6.000.
Forschung und Lehre
Ab circa 1974 ist die Psychotherapieabteilung ein Mittelpunkt aller psychotherapeutischen Fort- und Weiterbildungsaktivitäten in Erfurt. Die Abteilung kooperiert in ihrer Forschung mit der Präventivkardiologie der somatischen Medizin, woraus ein informeller psychosomatische Konsiliardienst für die Innere Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt entsteht.
Praktizierte Verfahren
- Gruppenpsychotherapie (ab 1972), Autogenes Training, Verhaltenstherapie und Verhaltenstraining, Konzentrative Entspannungstherapie (ab 1972), Kommunikative Bewegungstherapie (ab 1972), Musiktherapie (ab 1972), Arbeitstherapie, Psychodynamische Einzeltherapie (ab 1972)
Quellen und Literatur
Abe, H. R. (1992) Die Medizinische Akademie Erfurt (1954-1991). In Medizinische Akademie Erfurt (Hrsg.), Festschrift der Medizinischen Akademie Erfurt aus Anlaß der Erfurter Universitätsgründung 1392: 600 Jahre Universität Erfurt; vier Jahrzehnte Medizinische Akademie Erfurt, S. 46-54. Erfurt.
Anger, G., Nowak, W. (1992). Die klinischen Disziplinen an der Medizinischen Akademie Erfurt. In Medizinische Akademie Erfurt (Hrsg.), Festschrift der Medizinischen Akademie Erfurt aus Anlaß der Erfurter Universitätsgründung 1392: 600 Jahre Universität Erfurt; vier Jahrzehnte Medizinische Akademie Erfurt, S. 76-101. Erfurt.
Geyer, M. (2011a). Ostdeutsche Psychotherapiechronik 1960-1969. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995, S. 145-151. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Geyer, M. (2011b): Die Erfurter Selbsterfahrungsgruppe und ihr Einfluss auf die Psychotherapie der DDR. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995, S. 203-214. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Geyer, M. (2011c) Stationäre, ambulante und tagesklinische Psychotherapie an der Nervenklinik der Medizinischen Akademie Erfurt. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945–1995, S. 394-398. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Höck, K. (1979). Psychotherapie in der DDR – Eine Dokumentation zum 30. Jahrestag der Republik.
Ullrich, R. & Ullrich de Muynck, R. (1975): Das Emotionalitätsinventar (EMI) — Struktur und faktorenanalytische Untersuchungen streßinduzierter Antworten. Diagnostica, 21, S. 84-95.