Fachzeitschrift
„Psychiatrie, Neurologie, Medizinische Psychologie“

Die Zeitschrift „Psychiatrie, Neurologie, Medizinische Psychologie“ war die einzige Fachzeitschrift dieser Fachgebiete. Sie entstand 1949, um eine gegenüber der BRD konkurrenzfähige Zeitschrift ins Leben zu rufen. Sie existierte über den gesamten Zeitraum des Bestehens der DDR und fungierte ab 1960 auch als Mitteilungsorgan der Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie und ab 1961 der Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie in der DDR. Von Beginn an zeigte sich die politische Verflechtung u.a. in der personellen Auswahl von Herausgebern und Redaktionsleitern sowie der engen Verzahnung zwischen der Fachgesellschaft und der Schriftleitung der Fachzeitschrift.

Entstehung und Entwicklung

Nach dem Zweiten Weltkrieg ordnete der Alliierte Kontrollrat die Auflösung aller Organisationen an, darunter auch medizinische Gesellschaften und Fachvereine. Das wissenschaftliche Leben kam dadurch weitgehend zum Erliegen. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde am 21. Mai 1947 der Befehl Nr. 124 der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) erlassen, der die Gründung wissenschaftlicher medizinischer Vereinigungen ermöglichte. Regional entstanden so Fachgesellschaften für Psychiatrie und Neurologie an den Universitäten. Im Gegensatz zu den westlichen Besatzungszonen fehlte in der SBZ jedoch ein eigenes Publikationsorgan für diese Fachgebiete. Um eine konkurrenzfähige Fachzeitschrift zu schaffen, wie sie seit 1947 in der amerikanischen Besatzungszone mit „Der Nervenarzt“ wieder erschien, gründete man 1949 die Zeitschrift „Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie“. Diese blieb bis zum Ende der DDR die einzige Fachzeitschrift in diesem Bereich und wurde ab 1960 auch Mitteilungsorgan der Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie sowie ab 1961 der Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie der DDR.

Vorbereitungen zur Gründung

Der erste geplante Herausgeber war der international anerkannte Psychiater Karl Bonhoeffer, der jedoch kurz vor der ersten Ausgabe 1949 verstarb. Gemeinsam mit ihm engagierte sich der deutsch-russische Psychiater Wladimir Lindenberg für die Etablierung der Zeitschrift. Lindenberg, der nach Verfolgung durch das NS-Regime und Verlust seiner Approbation 1945 seine medizinischen Qualifikationen wiedererlangte, arbeitete zuvor in Bonn und wurde von der SMAD für die neue Zentralverwaltung des Gesundheitswesens in der SBZ gewonnen.

Die Gründung einer Zeitschrift erforderte eine Lizenzierung durch die SMAD. Diese durfte nur an Verlage vergeben werden, die selbst lizenziert waren. Um die schwierige Lage nach dem Krieg zu bewältigen, schlossen sich einige medizinische Verlage in der SBZ zu einer Arbeitsgemeinschaft medizinischer Verlage (AG med. Verlage) zusammen, darunter der Salomon Hirzel Verlag in Leipzig. Dieser stellte im März 1947 den Lizenzantrag für die neue Zeitschrift. Ein Bericht der AG med. Verlage von Januar 1947 verdeutlicht die schwierige Konkurrenzsituation zu den westlichen Zonen. Um aufzuholen, sollte die Auflage der bestehenden Zeitschriften erhöht und neue Lizenzen zügig vergeben werden. Zudem war die Sicherstellung der Papierversorgung entscheidend. Trotz intensiver Vorbereitungen verzögerte sich die Lizenzvergabe durch die SMAD. Gründe waren vor allem die Papierknappheit, die ein regelmäßiges monatliches Erscheinen unmöglich machte, sowie weitere bürokratische Hürden. Versuche von Lindenberg und Bonhoeffer, Sondergenehmigungen zu erwirken, scheiterten. Dennoch sammelte Lindenberg viele Artikel von Fachkollegen aus allen Besatzungszonen, da man die Zeitschrift schnell veröffentlichen wollte, um sich vor Konkurrenten zu etablieren. Bemühungen, namhafte West-Redakteure wie Viktor von Weizsäcker oder Paul Vogel zu gewinnen, blieben erfolglos. Der Posten eines westlichen Schriftleiters blieb unbesetzt.

Beginn der Publikation

Erst im Januar 1949 erschienen die ersten beiden Hefte der Zeitschrift, die fortan monatlich erschien. Bis 1990 musste jährlich eine erneute Lizenz beantragt werden. 1951, nach der Gründung der DDR, wurden alle SMAD-Lizenzen überprüft und neu vom Amt für Literatur und Verlagswesen vergeben. Ab 1963 erteilte das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates die Lizenz. Alexander Mette, Psychoanalytiker und Herausgeber der Zeitschrift „Das Deutsche Gesundheitswesen“, übernahm 1949 die Herausgeberschaft von Lindenberg. Mette war politisch stark engagiert, Mitglied der DDR-Volkskammer und des ZK der SED. Er war Vorstandsmitglied der Fachgesellschaften für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie und wandte sich von der Psychoanalyse ab, hin zur politisch geförderten Lehre Pawlows.

Unter Mette wurde die Zeitschrift inhaltlich geprägt durch eine starke ideologische Ausrichtung. Das Ministerium für Gesundheitswesen lobte 1958 die ideologische Auseinandersetzung mit westlicher Psychiatrie und die breite Nutzung sowjetischer und ostblocklicher Quellen. 1959 ergänzten Karl Leonhard und Dietfried Müller-Hegemann das Herausgebergremium. Müller-Hegemann übernahm die Schriftleitung, hatte wichtige politische Ämter inne und setzte die pawlowsche „rationale Psychotherapie“ durch. Nach seiner Flucht aus der DDR 1971 schied er aus der Redaktion aus.

Die „inhaltliche Gestaltung und redaktionelle Leitung [muss] geeignet sein, einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion und Klärung wichtiger Grundfragen des Fachgebietes in der DDR zu leisten und hierdurch insbesondere durch die Behandlung ideologischer Grundfragen des Faches zu seiner ideologischen Weiterentwicklung beizutragen.“

Lothar Rohland, Leiter des Generalsekretariats der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften beim Ministerium für Gesundheitswesen, an Siegfried Schirmer, in: Historisches Archiv des Asklepios Fachklinikums Brandenburg: HAB, 02.3/054, Zeitschrift „Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie“, Schriftwechsel Dr. Siegfried Schirmer 1967–1972, unpag.

Politische Einflussnahme und Kritik

Bereits 1958 analysierte das Ministerium für Gesundheitswesen alle 47 medizinischen Fachzeitschriften der DDR. Dabei bemängelte es die mangelnde Repräsentation der DDR-Wissenschaft in den Publikationen. Zur Verbesserung sollten zentrale wissenschaftliche Gremien gebildet werden, die eng mit der Arbeitsgemeinschaft volkseigener Verlage zusammenarbeiten sollten.

1969 regte der Vorstand der Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie Verbesserungen der Zeitschrift an, etwa inhaltlich und gestalterisch, wobei sie das westdeutsche Pendant „Der Nervenarzt“ bewunderten. 1971 fand eine Konferenz in Brandenburg statt, an der alle SED-Mitglieder unter den Fachprofessoren der Psychiatrie und Neurologie teilnahmen. Anlass war eine Analyse des Politbüros, die ernste Mängel in der ideologischen Ausrichtung und Weiterentwicklung des Fachgebiets in der DDR feststellte.

Kritisiert wurden die führenden Fachvertreter und Herausgeber der Zeitschrift wegen mangelnder marxistisch-leninistischer Fundierung der Forschung und unzureichender ideologischer Kontrolle. Diese Vorwürfe führten in der Folge zu verstärkter politischer Überwachung und Eingriffen in die Redaktionstätigkeit. Die Herausgeber mussten sich den politischen Vorgaben beugen und die ideologische Linie der SED strikt umsetzen.

Quellen und Literatur

Teitge, Marie: Die Nervenheilkunde in der DDR im Spiegel der Zeitschrift «Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie» (1949-90), Dissertation, Rostock, 2013.

Teitge, Marie; Kumbier, Ekkehardt: Publizieren als Politikum: das «Mette-Blättchen» oder Die Geschichte der Fachzeitschrift «Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie», in: Kumbier, Ekkehardt; Steinberg, Holger (Hg.): Psychiatrie in der DDR. Beiträge zur Geschichte, Berlin 2018, S. 205–219.

Teitge, Marie; Kumbier, Ekkehardt: Zur Geschichte der DDR-Fachzeitschrift Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie (1949–1990), in: Der Nervenarzt 86 (5), 2015, S. 614–623.

Weiterführende Literatur

Scholz, Albrecht; Wunderlich, Paul: Möglichkeiten und Grenzen des Publizierens in der DDR, in: DMW – Deutsche Medizinische Wochenschrift 125 (38), 2000, S. 1131–1132.

Sattler, Carina: Zensurpolitik sowie staatliche Lenkung in medizinischen Fachzeitschriften in der SBZ und frühen DDR, Universität Ulm 2021.

Storch, Monika; Schneider, Nico; Kirschner, Hariet u. a.: Psychotherapeutische Fachliteratur der DDR und BRD: Eine vergleichende Zitationsanalyse, in: Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie.

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