Nervenklinik
des Bereiches Medizin
der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock

Frühe Geschichte und Bedeutung bis ins 20. Jahrhundert

1896 wurde die Heil- und Pflegeanstalt Rostock-Gehlsheim eröffnet (Abb. 1). Zur Sicherstellung des psychiatrischen Unterrichts wurde ein Lehrstuhl eingerichtet. In der Zeit des Nationalsozialismus wir die Klinik erst spät in die Krankentötungen einbezogen, 23 Patienten werden verlegt, andere durch den Klinikdirektor Ernst Braun zurückgestellt. Erhöhte Sterberaten gibt es in der Klinik bis 1945 nicht.

Neubeginn nach dem Krieg: Die Universitätsnervenklinik ab 1946

Mit der Wiedereröffnung der Medizinischen Fakultät im Herbst 1946 wurde die bisherige Psychiatrisch-Neurologische Klinik in Gehlsheim zur Universitätsklinik. Die Bedingungen waren durch Kriegsschäden und Personalmangel äußerst schwierig. Nur drei Ärzte standen zur Verfügung, mehrere Gebäude waren unbrauchbar. Trotz dieser Lage konnte sich Hans Heygster habilitieren und wurde 1949 Direktor der Klinik. Heygster geriet jedoch 1952 durch seine Beteiligung an einem Protest gegen die zweite Hochschulreform in politische Bedrängnis. Ihm wurden „staatsfeindliche Handlungen“ vorgeworfen, woraufhin er 1953 die DDR verließ. Die Universität musste den Lehrstuhl neu besetzen – keine leichte Aufgabe angesichts des Mangels an geeigneten Hochschullehrern in der DDR.

Franz Günther von Stockert: Ein unbequemer Professor

Am 1. September 1954 wurde Franz Günther Ritter von Stockert, ein westdeutscher Psychiater aus Frankfurt, nach Rostock berufen. Als Enkel des renommierten Wiener Psychiaters Theodor Meynert galt von Stockert als konservativ und vertrat Ansichten, die nicht mit der sozialistischen Ideologie vereinbar waren. Seine kritischen Äußerungen über die Zustände in der DDR führten zu zunehmendem politischen Druck, insbesondere im Vorfeld der dritten Hochschulkonferenz 1958. Im selben Jahr wurde er wegen „Staatsverleumdung“ verhaftet. Zwar endete das Verfahren mit einer Bewährungsstrafe, doch noch 1958 kehrte er in den Westen zurück, wo er an der Universität Frankfurt eine kinderpsychiatrische Abteilung leitete.

Politisch motivierte Umstrukturierung: Aufteilung des Lehrstuhls 1958

Die Repressalien gegen von Stockert gingen mit einer umfassenden Umstrukturierung einher: Im November 1958 wurden in Rostock erstmals eigenständige Lehrstühle für Psychiatrie, Kinderpsychiatrie und Neurologie eingerichtet – eine Premiere in der DDR. Doch die Teilung stieß auf erheblichen Widerstand. Weder die Fakultät noch von Stockert oder andere führende Fachvertreter waren konsultiert worden. Obwohl diese Aufteilung offiziell der Spezialisierung dienen sollte, war sie stark politisch motiviert. Die Umsetzung erfolgte überstürzt: Der neue Lehrstuhl für Neurologie blieb zunächst unbesetzt, da Elsaesser bald nach Greifswald wechselte. Auch für die Psychiatrie fand sich kein Nachfolger. Gerhard Göllnitz (Abb. 2), als Leiter der Kinderpsychiatrie berufen, vertrat zwischenzeitlich alle drei Bereiche.

Langsamer Aufbau: Sayk und die Entwicklung der Neurologie

Erst 1961 konnte Johannes Sayk als Professor für Neurologie nach Rostock berufen werden. Er modernisierte das Fach grundlegend, baute klinische und wissenschaftliche Strukturen auf und förderte Spezialgebiete wie Neuroimmunologie, Neuroradiologie und Liquorologie. 1969 wurde er ordentlicher Professor. Auch international war Sayk aktiv, u. a. als Gründungsmitglied der CSF Research Group. Obwohl Neurologie und Psychiatrie in Rostock lange organisatorisch verbunden blieben, war die Eigenständigkeit des neurologischen Fachgebiets in Klinik, Lehre und Forschung zunehmend erkennbar. 1995 erfolgte schließlich die institutionelle Trennung durch die Gründung des Zentrums für Nervenheilkunde.

Kinderneuropsychiatrie als eigenständige Disziplin

Bereits 1953 war in Rostock eine kleine kinderpsychiatrische Abteilung entstanden, die 1958 in eine selbständige Einheit umgewandelt wurde. Göllnitz wurde deren erster Leiter und später ordentlicher Professor für Kinderneuropsychiatrie. Er verstand das Fach im Sinne einer Einheit von Psychiatrie und Neurologie des Kindes- und Jugendalters, wie es in der DDR besonders betont wurde. Die Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rostock war auch von Stockert zu verdanken, der zu den Wegbereitern dieses Fachgebiets in Deutschland zählt. Die Gründung eigenständiger Lehrstühle in den 1950er Jahren – 1954 in Marburg, 1958 in Rostock – war ein entscheidender Schritt zur akademischen Etablierung.

Fortschritte in Psychiatrie und Forschung

Nachfolger von Göllnitz und Sayk setzten die Spezialisierung fort. In der Psychiatrie profilierte sich Alphons Herbst (ab 1971) und später Klaus Ernst durch biologisch orientierte Forschung. Ernst beschäftigte sich insbesondere mit neurophysiologischen Ursachen psychischer Erkrankungen und deren therapeutischer Beeinflussung. Die psychiatrische Therapie entwickelte sich parallel zur allgemeinen Entwicklung des Fachgebiets: Neben der Psychopharmakotherapie wurden zunehmend sozialpsychiatrische und psychotherapeutische Verfahren eingesetzt. Aber auch an der Universitätsnervenklinik war der Mangel spürbar. Neben personellen Engpässen und Versorgungsmängeln, waren die Gebäude zunehmend renovierungsbedürftig (Abb. 3).

Quellen

Kumbier, Ekkehardt; Haack, Kathleen: Zur Genese, Etablierung und Ausdifferenzierung der Psychiatrie an der Universität Rostock, in: Schriftenreihe der DGGN, Bd. 26, Würzburg 2020, S. 287–312.

 

Bildlegenden:

1: Die Gehlsheimer Klinik von oben, Mitte 1990er Jahre, Quelle: Vorlass Klaus Ernst.

2: Gerhard Göllnitz im Gespräch mit einem unbekannten Mann in einem Krankenzimmer der Nervenklinik Rostock-Gehlsheim, Quelle: UAR, Bild 006473.

3: Beginnende Sanierung der Gebäude der Rostocker Klinik in den 1990er Jahren, Quelle: Vorlass Klaus Ernst.

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