
Suizid in der DDR
– Tabu und Pflicht zur Prävention
Die Suizidforschung in der DDR wurde stark von den wechselnden Tabuisierungspolitiken der SED beeinflusst. Trotz theoretisch günstiger Voraussetzungen für Suizidprävention scheiterte die Einrichtung eines Netzwerks meist an materiellen Engpässen und Kommunikationsbarrieren. Die SED beschränkte die Suizidprophylaxe auf den medizinischen Bereich und verschärfte die Tabuisierung in Krisenzeiten wie 1963 und 1977, was systematische Bemühungen erschwerte. Eine gesamtgesellschaftliche Unterstützung, die für wirksame Prävention notwendig ist, war im SED-Staat kaum möglich. Dennoch trug die ostdeutsche Forschung unter erschwerten Bedingungen wesentlich zum Verständnis suizidaler Handlungen bei.
Frühe Forschung und
erste Betreuungsstellen
Nach Vorbildern wie der Wiener Schule von Erwin Ringel forderten Fachleute wie Kurt Scheidler und Alexander Lengwinat eine aktive Suizidprävention. Erste Betreuungsstellen wurden gegründet, etwa von Erwin F. Wiele in Görlitz und später von Ehrig Lange in Dresden, die ein praxisnahes Modell der Versorgung suizidgefährdeter Menschen entwickelten.
Politische Einschränkungen und Geheimhaltung
Nach dem Mauerbau 1961 wurden Suizidstatistiken weitgehend geheim gehalten, was die Forschung erschwerte. Trotz intensiver wissenschaftlicher Beschäftigung blieben viele Ergebnisse intern, öffentliche Diskussionen waren tabu, um negative Zahlen nicht für politische Kritik zuzulassen.

Kooperation mit Polizei und medizinische Forschung
Die enge Zusammenarbeit von Ärzten und der Kriminalpolizei zur systematischen Erfassung von Suizidversuchen war ein besonderes Merkmal. Die Forschung orientierte sich methodisch am westlichen Diskurs, hatte aber auch mit personellen und materiellen Engpässen zu kämpfen.
Erfolge und Grenzen der Suizidprävention
Betreuungsstellen in Dresden und Brandenburg wurden wichtige Anlaufstellen, blieben aber unterversorgt. Sie wurden von engagierten Ärzten wie Helmut Kulawik, Helmut F. Späte und Karl Seidel initiiert. Obwohl es medizinische Fortschritte gab – etwa im Umgang mit suizidalen Soldaten – konnte ein flächendeckendes Präventionsnetzwerk nicht aufgebaut werden. Politische Zensur und Tabuisierung verhinderten eine breite gesellschaftliche Wirkung.
Fazit
Die Suizidforschung in der DDR war geprägt von Widersprüchen zwischen ideologischer Tabuisierung und staatlicher Präventionspflicht. Trotz einzelner Erfolge und engagierter Fachleute blieb das Thema politisch heikel, die Forschung weitgehend intern, und die gesellschaftliche Akzeptanz eingeschränkt.
Quelle
Grashoff, Udo: Suizidforschung und -prävention in der DDR, in: Kumbier, Ekkehardt; Steinberg, Holger (Hg.): Psychiatrie in der DDR. Beiträge zur Geschichte., Berlin-Brandenburg 2018 (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte, Bd. 24), S. 173–190.
Weiterführende Literatur
Felber, Werner: Das Suizidtabu in der ehemaligen DDR – Notizen, Erscheinungsformen, Auswirkungen, Gründe, in: Götze, Paul; Mohr, Michael (Hg.): Psychiatrie und Gesellschaft im Wandel, Regensburg 1992, S. 147–163.
Grashoff, Udo: «In einem Anfall von Depression …»: Selbsttötungen in der DDR, Berlin 2006 (Forschungen zur DDR-Gesellschaft).
Grashoff, Udo: Suizidforschung und -prävention in der DDR, in: Kumbier, Ekkehardt; Steinberg, Holger (Hg.): Psychiatrie in der DDR. Beiträge zur Geschichte., Berlin-Brandenburg 2018 (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte, Bd. 24), S. 173–190
Grashoff, Udo: Selbsttötungen als Indikator für psychosoziale Lebensqualität? Eine Sondierung zu “suizidalen Strukturen” in der DDR, in: Paragrana 20 (1), 01.08.2011, S. 128–139.
Driesch von den, Ellen: Unter Verschluss: eine Geschichte des Suizids in der DDR 1952–1990, Frankfurt 2021.