Akteur

Dr. med. Liese-Lotte Eichler (1907–1985)

Psychiaterin und Reformerin

Liese-Lotte Eichler gehört zu den wichtigsten Sozialpsychiatern in der DDR. Sie war eine der Protagonisten der Rodewischer Thesen. In der Brandenburger Klinik setzte sie zahlreiche ambitionierte Projekte der Reformpsychiatrie um. Vor allem Verbesserungen im Bereich der Kinderpsychiatrie stößt sie an. Als Hauptrepräsentantin der Psychiatrie innerhalb der Gesellschaft für Rehabilitation der DDR war sie maßgeblich an der Initiierung und dem Erfolg des Rodewischer Symposiums 1963 beteiligt.

In einer späteren Phase ihrer Tätigkeit in Brandenburg widmete sich Liese-Lotte Eichler der rehabilitationspädagogischen Förderung von Kindern mit geistiger Behinderung, die auch internationale Aufmerksamkeit fand. 1969 erhielt ihr Arbeitskollektiv dafür den Orden „Banner der Arbeit“. Unter der Leitung von Eichler wurde die Brandenburger Einrichtung zu einem neuropsychiatrischen Krankenhaus ausgebaut. In diesem Zusammenhang entstanden paraklinische Abteilungen, psychiatrische Rehabilitation erhielten eine klarere Struktur und größere Bedeutung.

Die Fenster sind nicht mehr vergittert, der Blechnapf zu den Mahlzeiten gehört der Vergangenheit an, moderne Behandlungsmethoden, geschmackvoll ausgestattete Räume und liebevolle Pflege schaffen dem Kranken eine wohltuende Atmosphäre, nehmen dem Dortseinmüssen jeden Schrecken.

Liese-Lotte Eichler über die zu schaffenden Verhältnisse in Psychiatrien, in: Psychisch Kranke – Menschen wie wir, Deine Gesundheit 4 (1960), S. 4.

Porträt

190723. Juli: Liese-Lotto Oheim wird in Kiel geboren.
1935–1937Assistenzärztin am Pathologischen Institut des Allgemeinen Krankenhauses Barmbeck (Hamburg)
1928–1935zunächst Studium der Mathematik und Naturwissenschaften in Kiel, Wechsel zur Medizin (Kiel, Münster und Düsseldorf), 1934 Staatsexamen, 1935 Promotion zum Thema: „Ein Beitrag zur Bestimmung von Jod in organischen Materialien“
1937–1940Assistentsärztin in der Rheinischen Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg, 1939 Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten, „wegen Verheiratung“ zum 01.02.1940 ausgeschieden
1940–1943Leitung einer nervenärztlichen Praxis in Düsseldorf
1943–1947„infolge Kriegseinwirkungen“ in der Heil- und Pflegeanstalt Hildburghausen, ab 1945 kommissarische Leitung, ab 01.01.1946 Mitglied der KPD, ab 15.02.1946 Übernahme in die SED
1947–1954frei praktizierende Nervenärztin in Sonneberg, später an Poliklinik in Sonneberg, nebenamtlich auch Chefärztin im Nervensanatorium Steinach
1954–1971Ärztliche Direktorin des Bezirkskrankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Görden in Brandenburg (Havel), seit 1954 Bezirkspsychiaterin; Profilierung der Klinik durch Stärkung der Neurologie, Neuorientierung der Arbeitstherapie, Öffnung der Stationen unter Anwendung von Psychopharmakotherapien
ab 1955Bezirkspsychiaterin des Bezirkes Potsdam
1960„Verdienter Arzt des Volkes“
1962Gründung und Etablierung einer heilpädagogischen Abteilung zur qualifizierten Förderung „nicht behandlungsbedürftiger Kinder“ unter Anlehnung an die ungarische heilpädagogische Arbeit von Gustav Barczi
1961–1963In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Rehabilitation (Karlheinz Renker), den Psychiatern Rolf Walther in Rodewisch, Ehrig Lange in Dresden sowie den Gesundheitspolitikern Kurt Winter, Gerhard Misgeld und Alexander Mette bereitet Eichler des Internationale Symposium zur Rehabilitation in Rodewisch vor. Daraus entstehen die Rodewischer Thesen.
1960er-80er JahreMitgliedschaften:
– Rat für Planung und Koordinierung der medizinischen Wissenschaft des
Ministeriums für Gesundheitswesen
– korrespondierenden Mitglied der Polnischen psychiatrischen Gesellschaft
– Fachausschuss für Psychiatrie beim Ministerium für Gesundheitswesen, dort Beauftragter für die Belange der Kinderpsychiatrie im Fachausschuss
– Vorsitzende der Profilierungskommission des Fachausschusses
– Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie und des Vorstandes der dortigen Sektion Kinderpsychiatrie
– Mitglied des Vorstandes und stellv. Schriftführerin der Gesellschaft für Rehabilitation, dort Mitglied der Arbeitsgemeinschaft geschädigter Kinder und Jugendlicher
197131. Dezember: Ruhestand
1982Verleihung der Karl-Bonhoeffer-Medaille in Anerkennung hervorragender wissenschaftlicher Leistungen auf dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie
19859. September: Tod Liese-Lotte Eichlers in Brandenburg/Havel
Cover des von Liese-Lotte Eichler herausgegebenen Buchs „Einführung in die heilpädagogische Arbeit mit schwerst behinderten Kindern“ von 1967.
Heilpädagogische Förderungsarbeit in Görden, 1960er Jahre. Quelle: Rose: Anstaltspsychiatrie in der DDR. Die brandenburgischen Kliniken zwischen 1945 und 1990, S. 120.
Heilpädagogische Förderungsarbeit in Brandenburg Görden, 1960er Jahre. Quelle: Rose: Anstaltspsychiatrie in der DDR. Die brandenburgischen Kliniken zwischen 1945 und 1990, S. 120.

Auswahl Publikationen

Eichler, Liese-Lotte: Rehabilitation in der Psychiatrie, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 53 (14), 1959, S. 936–939.

Eichler, Liese-Lotte: Voraussetzungen für die berufliche Rehabilitation Debiler und Imbeziller, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 55, 1961, S. 29–34.

Eichler, Liese-Lotte (Hg.): Einführung in die heilpädagogische Arbeit mit geistig schwer und schwerst behinderten Kindern: unter Anlehnung an die ungarische heilpädagogische Arbeit (nach Dr. Gustav Bárczi), Berlin 1967.

Eichler, Liese-Lotte: Eindrücke eines Besuches in den westfälischen Anstalten Lengerich und Gütersloh, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 9 (8), 1957, S. 241–248.

Eichler, Liese-Lotte: Psychisch Kranke – Menschen wie wir, in: Deine Gesundheit 4, 1960, S. 3–5.

Eichler, Liese-Lotte: Ohne Blechnapf und Gitter. Moderne Behandlungsmethoden im Krankenhaus für Psychiatrie, in: Deine Gesundheit 2, 1961, S. 3–5.

Eichler, Liese-Lotte: Bewegungstherapie in der Psychiatrie, in: Institut für Weiterbildung mittlerer medizinischer Fachkräfte (Hg.): Zweiter Weiterbildungslehrgang für Arbeitstherapeuten in der Psychiatrie: vom 14. bis 17. Februar 1966 in Brandenburg-Görden; 5 Vorträge, Potsdam 1967, S. 13–17.

Eichler, Liese-Lotte: Die Entwicklung der Psychiatrie und Kinderneuropsychiatrie nach 1945 (eigene Erlebnisse), in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 68 (18), 1974, S. 955–957.

Quellen und Literatur

Historisches Archiv des Asklepios Fachklinikums Brandenburg, Signatur SC M/039.

Historisches Archiv des Asklepios Fachklinikums Brandenburg, Personalakte, Dr. Eichler, Lieselotte.

BArch, DQ 1/20451.

in memoriam Liese-Lotte Eichler, in: Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie 37 (10), 1985, S. 581.

Rose, Wolfgang: Anstaltspsychiatrie in der DDR. Die brandenburgischen Kliniken zwischen 1945 und 1990, Berlin-Brandenburg 2005.

Loos, Herbert: Von “lebensunwert” zu hirngeschädigt – unter besonderer Berücksichtigung: Menschen mit Behinderung im Fachkrankenhaus Herzberge und dem KEH nach 1945, Herzberg 17.05.2017.

Falk, Beatrice; Hauer, Friedrich: Brandenburg-Görden: Geschichte eines psychiatrischen Krankenhauses, Berlin 2007.

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