Hans Hiebsch (1922 – 1990)

Psychologe und Hochschullehrer

Hans Hiebsch gehörte zur ersten Generation von Wissenschaftler*innen, die in der DDR ausgebildet zu internationaler Anerkennung gelangten. Als langjähriger Lehrstuhlinhaber am Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat er die Entwicklung der Sozialpsychologie im SED-Staat maßgeblich geprägt und mitbestimmt.

Sozialisation und Ausbildung

Hans Hiebsch erblickt 1922 im böhmischen Bodenbach (dem heutigen Děčín) als Sohn eines Schlossers und einer Hausfrau das Licht der Welt. Schon bald nach seinem Abitur wird er 1941 zum Kriegsdienst einberufen und zur Kriegsteilnahme an der Ostfront verpflichtet. Nach einer schweren Verwundung, infolge der ihm der rechte Arm amputiert werden muss, wird Hiebsch 1943 als kriegsverwendungsunfähig eingestuft. Noch im gleichen Jahr beginnt er an der Karlsuniversität Prag ein Psychologiestudium. Mit dem Kriegsende beendet Hiebsch auch vorübergehend sein Studium in Prag und siedelt nach Leetza im Landkreis Wittenberg, wo er zunächst für mehrere Jahre als Dozent für Psychologie und Pädagogik in der Neulehrerausbildung tätig ist, dann als Schulleiter einer Landschule. 1951 kehrt Hiebsch als Aspirant der Psychologie an die Hochschule zurück – nach Leipzig. An der Karl-Marx-Universität Leipzig erwirbt er sich 1952 sein Diplom, eben dort schließt er 1954 auch seine Promotion ab, 1960 folgt mit einer Arbeit zum Thema „Grundlagen für eine Psychologie der Erziehung“ schließlich auch seine Habilitation sowie die Befugnis, nun selbst an der Hochschule zu lehren.

Beruflicher Werdegang

Erste prägende Berufserfahrungen, die später starken Einfluss auf seine Spezialisierung zum Sozialpsychologen ausüben, sammelt Hans Hiebsch in den Jahren 1946 bis 1949 als Lehrer und Schulleiter einer kleinen Landschule im Kreis Wittenberg. Nach Abschluss seines Psychologiediploms 1952 arbeitet er während der Zeit seiner Promotion zunächst als wissenschaftlicher Assistent, während und nach seiner Habilitation schließlich als Dozent am Institut für Psychologie der Universität Leipzig, Abteilung allgemeine und angewandte Psychologie. 1962 ist Hiebsch zunächst für eine Professur am Psychologischen Institut der Universität Leipzig vorgesehen, wird dann aber stattdessen nach Jena berufen. Dort ist er zwischen 1962 und 1966 als Professor mit Lehrauftrag, dann als Professor mit eigenem Lehrstuhl und schließlich ab 1969 als ordentlicher Professor wirkend. Während dieser Zeit und auch in den Folgejahren ist Hiebsch maßgeblich mit daran beteiligt, das erst 1960 unter Friedhelm Klix wiedereingerichtete Jenaer Institut für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena in ein Zentrum der Sozialpsychologie in der DDR umzuwandeln. Von 1971 bis 1973 sowie von 1975 bis 1979 übernimmt er vor Ort das Amt des Direktors der von ihm mitbegründeten Sektion Psychologie. Seine ordentliche Professur an der Sektion Psychologie endet mit seiner Emeritierung im Jahr 1987.

Politische Orientierung

Hans Hiebsch tritt bereits 1947 und noch vor Gründung der DDR in die SED ein. Seine Überzeugung in die ideologischen Ziele und Vorstellungen des sozialistischen Staates finden sich, der allgemeinen Staatsdoktrin entsprechend, auch in der von ihm in den folgenden Jahrzehnten betriebenen Lehre und Forschung sowie in seinen zahlreichen Fachpublikationen wieder. Zumindest in Teilen versucht er gleichwohl die Psychologie als Wissenschaft vor einer zu starken Ideologisierung zu schützen – wendet sich so beispielsweise Anfang der 1950er Jahre entschieden gegen eine allgemeine Pawlowisierung der Psychologie. Ohne ideologische Scheuklappen verfolgte er zudem auch die Entwicklung der Sozialpsychologie im Westen. Für seine Verdienste um die Psychologie in der DDR erhält Hiebsch 1967 die Verdienstmedaille der DDR, 1971 die Verdienstmedaille der NVA und 1975 Humboldt-Medaille für hervorragende Leistungen im sozialistischen Hoch- und Fachschulwesen. 1982 schließlich den Nationalpreis für Wissenschaft und Technik III. Klasse.

Gefragt nach meiner gesellschaftlichen Wirkung als Psychologe, mußte ich wohl oder übel zuvörderst bemerken: Meine mehr als 35jährige Tätigkeit als Forscher und Hochschullehrer brachte mir zwei Einsichten – erstens, die Psychologie wurde bei uns immer, trotz mancher gegenteiliger verbaler Beteuerungen, als eine verdächtige Wissenschaft angesehen, vor allem bei der bisherigen Parteiführung […]; zweitens, demzufolge war dieses Fach in unserem Wissenschaftsbetrieb (außer bei Prestigeprojekten) immer das allerletzte Rad am Wagen.

S. 12, Hiebsch, Hans, 1990.

Fachpolitisches Engagement

Schon vor seiner Berufung an die Universität Jena leistet Hans Hiebsch einen großen Beitrag für die theoretische Entwicklung der Psychologie in der DDR: zum einen durch verschiedene Publikationen, in denen er sich mit der Funktion und den Aufgaben der Psychologie für die DDR-Pädagogik und die Erziehungspraxis von Schülern befasst. Zum anderen durch die von ihm in die Wege geleitete Herausgabe der Standardwerke des russischen Psychologen Sergei L. Rubinsteins in deutscher Übersetzung, die nachfolgend zu wichtigen Lehrbüchern der DDR-Psychologie werden.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Manfred Vorweg trägt Hans Hiebsch während seiner Jenaer Zeit federführend dazu bei, dass die Sozialpsychologie zu einem eigenständigen Fachgebiet und die Jenaer Universität zu dem großen Zentrum der Sozialpsychologie innerhalb der DDR wird – entgegen starker ideologischer Vorbehalte durch die politische Führung, die in diesem Teilgebiet der Psychologie eine rein bürgerliche Wissenschaft sieht. Ihr 1966 erstmals erschienenes Buch „Einführung in die marxistische Sozialpsychologie“ wird 1976 bereits in der 10. Auflage veröffentlicht.

Großen Einfluss auf die Entwicklung der Psychologie in der DDR übt Hans Hiebsch auch über seine Mitarbeit in diversen zentralen Gremien und Wissenschaftsakademien sowie durch seine engen Kontakte zum Zentralkomitee der SED aus. Fast dreißig Jahre hat er das Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden der Gesellschaft für Psychologie der DDR inne, mehr als zwanzig Jahre ist er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat, darüber hinaus Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Gründungsmitglied und zeitweise Vorstandsmitglied der European Association of Experimental Social Psychology u. v. m. Hans Hiebsch gehört zur ersten Generation von Wissenschaftler*innen (die sogenannte „neue Intelligenz“), die in der DDR ausgebildet und politisch geschult zu internationaler Anerkennung gelangen.

Weiterer Lebensweg

Hans Hiebsch wird 1987 emeritiert. Das Ende der DDR markiert auch sein persönliches Lebensende: Hans Hiebsch stirbt 1990 in Jena.

Quellenangaben

Hiebsch, H. (1990). Stalinismus und Psychologie. Die Weltbühne: Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft, 85(1), 12–14.

Eckardt, G. (1982). Hans Hiebsch zum 60. Geburtstag—Skizze seines wissenschaftlichen Entwicklungsweges (Beiträge zur experimentellen Sozialpsychologie, S. 7–16). Friedrich-Schiller-Universität, Sektion Psychologie, Jena

Institut für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (o. J.). Zur Geschichte der Psychologie in Jena. Institut für Psychologie. https://www.psychologie.uni-jena.de/institut/geschichte

Lück, H. E. (2019). Hiebsch, Hans. In Dorsch Lexikon der Psychologie. Hogrefe. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/hiebsch-hans

Friedrich, W. (2009). Das erste Psychologie-Institut der Welt. Die Leipziger Universitätspsychologie 1879-1980. Rosa-Luxemburg-Institut Sachsen, Leipzig